Yannick Grannec, "Die Göttin der kleinen Siege", aus dem Französischen von Gaby Wurster, € 21,90 / 480 Seiten. Ecowin-Verlag, Salzburg 2013

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"Wiener Wäschermädeltyp", notierte Oskar Morgenstern über sie," energisch, wortreich, ungebildet - und hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet". Ihm, damit war der Logiker und Mathematiker Kurt Gödel gemeint, einer der wichtigsten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts. Der " Wiener Wäschermädeltyp" war seine Frau Adele.

Die Geschichte dieser Beziehung ist faszinierend. Kurt Gödels Leben war ein langer Balanceakt zwischen Genie und Wahnsinn, der sich fast ausschließlich zwischen Wien und Princeton abspielte (seine Kindheit verbrachte er in Brno). Er verkehrte mit den hervorragendsten Denkern seiner Zeit, den Philosophen und Mathematikern des Wiener Kreises und den Mitgliedern des Institute for Advanced Study. Adele war eine ehemalige Tänzerin, die Kurt, solange er konnte, vor der Familie und den Bekannten verbarg. Und doch war sie sein Lebensmensch, die wahre Heldin seiner Biografie.

Gödels Leben hat bereits einige Schriftsteller inspiriert, wie Hans Magnus Enzensberger oder Daniel Kehlmann. Jetzt hat Yannick Grannec, eine Französin, Adele Gödel zur Hauptfigur gewählt, in einem fulminanten Romandebüt.

Bestechend einfach

Grannecs Strategie ist von bestechender Einfachheit. Die verwitwete, greisenhaft schrullige und schnaufend fette Adele wird in ihrem Seniorenheim von der jungen Archivarin Anna besucht, die den Auftrag hat, Gödels voluminösen Nachlass für das Institute for Advanced Study zu sichern. An dieser Begegnung macht die Autorin ihre beiden Handlungsstränge fest: einerseits die in Rückblenden erzählte Geschichte der fast fünfzigjährigen Beziehung zwischen Adele und ihrem Kurt; andererseits die berührende Entwicklung einer Freundschaft zwischen Anna und Adele.

Beide, Anna wie Adele, sind kluge, verletzliche Wesen, ohne viel Illusionen. Frau-Sein ist schwer; Frau eines Mathematikers zu sein anscheinend eine Sonderprüfung. Die Szenen im Seniorenheim sind mit Verve erzählt (inklusive einer Séance nach der Weihnachtsfeier und einem unerlaubten Ausflug ins Kino, wo The Sound of Music gespielt wird). Nach Adeles Tod wählt Anna, offenen Auges, die Verbindung mit einem jungen Genie, die ebenso problematisch zu werden verspricht wie einst die zwischen der kleinen Tänzerin und dem großen Logiker.

Den jungen Gödel, wohlerzogenen Sohn aus wohlhabendem Haus, hat die schon etwas gallige Adele Ende der Zwanzigerjahre in der Josefstadt kennengelernt. Das Hauptthema des Romans ist die akribisch nacherzählte Geschichte dieses unwahrscheinlich ungleichen Paares. Kurt Gödel erzielt schon als Fünfundzwanzigjähriger wissenschaftliche Durchbrüche höchsten Ranges, doch bald melden sich die ersten psychischen Zusammenbrüche. Während der Dreißigerjahre pendelt er fortwährend zwischen dem neugegründeten Institute for Advanced Study in Princeton, der von Tumulten geplagten Wiener Universität und kostspieligen Nervenheilanstalten.

Bald nach dem "Anschluss" heiraten Kurt und Adele endlich. Kurts Familie ist nicht begeistert: Die Braut ist beinah vierzig, geschieden, eine ehemalige Nachtklubtänzerin mit einem riesigen Brandmal auf der Wange. Aber schon jetzt ist allen klar, dass Kurt lebensunfähig wäre ohne sie. Es folgt die abenteuerliche Reise, die das Paar im Jahr 1940 über Sibirien und den Pazifik bis nach Princeton führt. Dann kommen die Kriegszeiten als "enemy alien"; die Freundschaft mit Albert Einstein; die Einbürgerung in die Vereinigten Staaten und die langen Jahre des allmählichen Niedergangs, bis zu Kurt Gödels Hungertod.

Yannick Grannec hat die Biografie hervorragend recherchiert. Experten mögen kleine Fehler aufspüren (Adele war 1930 nicht mehr Tänzerin, sondern Masseuse; und die Riemann'sche Vermutung ist noch keineswegs schlüssig bewiesen), aber insgesamt ist das historische Material akkurat aufgearbeitet und geschickt wiedergegeben. Viele der Sätze aus den zahlreichen Dialogen sind wohldokumentierte Zitate, scheinbar mühelos in die Konversation eingeflochten. Die Nebenfiguren (wie etwa der gesamte Haushalt Albert Einsteins, die Oppenheimers und die Morgensterns) sind präzis gezeichnet und lebendig.

Biografisch makellos

Diese kunstvolle Collage konnte nur deshalb gelingen, weil es an Material nicht fehlt. Das Archiv in Princeton enthält sechzig große Schachteln mit Kurt Gödels Nachlass (es handelt sich um ebenjenen Schatz, den im Roman die junge Anna für ihr Institut an Land zieht). Die Briefe Kurt Gödels an Mutter und Bruder, die in der Wienbibliothek aufbewahrt werden, sind für den Roman ebenso herangezogen worden wie die Tagebücher Oskar Morgensterns.

Vom Biografischen her ist also die Darstellung weitgehend makellos. Die Erklärung der wissenschaftlichen Leistungen Kurt Gödels gelingt nicht immer so präzis, aber das spielt für den Roman auch nur wenig Rolle: Denn dieser wird ja aus der Perspektive Adeles erzählt, für die Unvollständigkeitssatz und Kontinuumshypothese eine fremde Welt bleiben müssen. Aber die Schwächen ihres Mannes hat sie aus nächster Nähe gekannt und couragiert konfrontiert in den Rückzugsgefechten des Alterns, wo es nur noch um die kleinen Siege geht. (Karl Sigmund, Album, DER STANDARD, 26./27.1.2013)