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Geschützt hinter kugelsicheren Glasscheiben: Adolf Eichmann 1962 beim Prozess vor einem Bezirksgericht in Jerusalem.

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Den namentlichen Bezug zum Elektrohandel in Oberösterreich gibt es bis heute. "Früher einmal wussten die meisten Linzer, dass der Laden Elektro Eichmann vom Vater Adolf Eichmanns gegründet und später dann von dessen Brüdern geführt wurde", sagt der Zeithistoriker Hans Safrian. "Und als es 1960/61 darum ging, wer Adolf Eichmann in Jerusalem verteidigen soll, trat seine Familie in Linz auf den Plan."

Der Mann, der an der Ermordung von sechs Millionen Menschen mitverantwortlich war, wurde zwar 1906 in Solingen in Deutschland geboren. 1914 aber übersiedelt seine Familie nach Linz, wo Eichmann auch in die Schule geht, diese vorzeitig abbricht und seine ersten Anstellungen hat. Wenn man Originalaufnahmen seiner Stimme hört - wie etwa im Film Hannah Arendt, der gerade in den Kinos läuft -, lässt sich ein leichter österreichischer Akzent wahrnehmen.

Mit 26 tritt Adolf Eichmann der NSDAP und der SS bei und geht nach dem Verbot der NSDAP 1933 nach Deutschland. Fünf Jahre später, nach dem "Anschluss", kehrt er zurück nach Österreich und baut im Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße - da, wo heute die Arbeiterkammer steht - die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien auf.

Anmaßung von Vollmachten

Eichmann hat als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zwar keine exekutiven Vollmachten. "Er maßt sich diese aber sofort an", sagt Hans Safrian, der mit dem Buch Eichmanns Männer 1993 eine erste detaillierte Studie über die Rolle der Österreicher rund um den SS-Sturmbannführer vorlegte.

Diese gewalttätige Gruppe, die zahllose Razzien veranstaltet und die Vertreter der Kultusgemeinde zu Befehlsempfängern macht, ist mit dafür verantwortlich, dass in 18 Monaten 150.000 Juden aus Wien vertrieben werden, nachdem man ihnen zuvor Hab und Gut geraubt hat. Aufgrund dieser "Leistungen" macht Eichmann groß Karriere: Sein "Wiener Modell" wird zum Vorbild für Vertreibungen und Deportationen aus ganz Deutschland und Böhmen.

Bereits vor der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942, bei der die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" koordiniert wird, steigt er zum Koordinator der Vernichtung auf: Eichmann ist für den hocheffizienten Transport von Millionen Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslager verantwortlich und vollstreckt als SS-Obersturmbannführer den Auftrag mit aller Härte und bis zuletzt, 1944 noch in Budapest.

Kurz vor Kriegsende kann Eichmann ins Salzkammergut flüchten, lebt einige Jahre unerkannt in Deutschland, ehe er sich 1950 mithilfe deutsch-katholischer Geistlicher in Südtirol und Rom nach Argentinien absetzen kann. Dort wird er zehn Jahre später vom israelischen Geheimdienst Mossad geschnappt und nach Israel entführt, wo ihm in einem Bezirksgericht in Jerusalem ein aufsehenerregender Prozess gemacht wird. Eichmann, der darauf beharrt, nur Befehle anderer ausgeführt zu haben, wird zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet.

Ein Jahr später, also vor genau 50 Jahren, erscheint das Buch Eichmann in Jerusalem der politischen Theoretikerin Hannah Arendt, die für die Zeitschrift The New Yorker den Prozess verfolgt. Ihr umstrittener "Bericht von der Banalität des Bösen" - so der deutsche Untertitel - wird trotz der heftigen Kritik zu einem Bestseller mit "Diskurshoheit", wie Safrian formuliert. Die deutsch-amerikanische Philosophin, die selbst vor den Nazis aus Europa flüchten musste, beschreibt in ihrem Buch Eichmann als normalen Menschen, der gar nicht einmal übermäßig antisemitisch gewesen, aber unfähig zum Denken gewesen sei.

Die Rolle der "Judenräte"

Eine der bis heute andauernden Kontroversen um das Buch, die übrigens auch in Margarethe von Trottas neuem Arendt-Film ausführlich dargestellt wird, bezieht sich auf die Rolle der sogenannten "Judenräte". Ihnen gab die Theoretikerin erhebliche Mitschuld daran, dass Eichmann so viele Juden in den Tod schicken konnte: Wäre die jüdische Führung nicht so gut organisiert gewesen und hätte sie nicht so eng mit Eichmann und seinen Schergen kollaboriert, hätten keine sechs Millionen Menschen vernichtet werden können.

Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici, der über dieses Thema seine Dissertation schrieb (als Buch unter dem Titel Instanzen der Ohnmacht: Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat im Jahr 2000 erschienen) hält Arendt jedenfalls in diesem Punkt gleich mehrfach für widerlegt: "Zum einen überschätzt Arendt den Handlungsspielraum der jüdischen Administration und versteht deren Zwangssituation nicht. Immerhin verhalf die Kultusgemeinde in Wien durch Kooperation zwei Dritteln der Juden zur Flucht." Zum anderen "vernichteten die Nazis die jüdischen Gemeinden in der Sowjetunion auch ganz ohne Judenrat".

Für Rabinovici, der Arendt nach wie vor für ihre politische Theorie des Totalitarismus schätzt, sind aufgrund ihres Eichmann-Buchs bestimmte Klischees "zumindest in der Öffentlichkeit nach wie vor präsenter als die Erkenntnisse der jüngeren Forschung". Die internationale Tagung "Eichmann nach Jerusalem", an der sowohl Rabinovici wie auch Safrian teilnehmen werden, soll nicht zuletzt gerade solche Klischees widerlegen

Aktiver Überzeugungstäter

Die wohl wichtigste Kritik an Arendts Bestseller bezieht sich bis heute auf die Darstellung Eichmanns als "banalen Bösen". Rabinovici kritisiert an Arendt, dass sie sich für diese Zuschreibung den völlig Falschen ausgesucht habe und im Grunde auf seine Verteidigungslinie hereingefallen sei: Adolf Eichmann war gerade nicht der bloße und ganz normale Befehlsempfänger, sondern ein Überzeugungstäter, der auch selbst aktiv wurde.

Oder in den resümierenden Worten Hans Safrians: "Eichmann war kein bloßer Bürokrat und auch kein Monster, sondern einfach ein überzeugter österreichischer Nationalsozialist." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 20.03.2013)