(An einem der Tische die 78-jährige Marianne und ihr Sohn Ralf, 47. Beide essen schweigend - Marianne Wiener Schnitzel, Ralf Gulasch - und lächeln einander zwischendurch freundlich zu.)
MARIANNE (nimmt einen Schluck Wein. Versonnen den Kopf schüttelnd): Jetzt ess' ich auch schon Wiener Schnitzel am Muttertag. Dabei hab' ich mich immer so geärgert über die Mama, weil sie nie was anderes bestellt hat.
RALF: Aber es is' gut, oder?
MARIANNE: Sehr gut. (Isst, dann zu einer Frau am Nebentisch:) Ein ausgezeichnetes Wiener Schnitzel, finden Sie nicht auch?
DIE FRAU: Sehr gut, ja.
RALF (betont gutgelaunt): Und ein Wetterl! Herrlich! So wünscht man sich' s am Muttertag!
MARIANNE: Was hast du gesagt?
RALF (lauter): Ich hab' gesagt, ein herrliches Wetterl haben wir.
MARIANNE: Nein. Du hast gesagt, Wenterl.
RALF: Ich hab' nicht gesagt, Wenterl. Ich hab' gesagt, Wetterl.
MARIANNE: Du hast gesagt, Wenterl. Ich hab's doch gehört. Wie damals. Weißt du noch?
RALF: Ja. Fang nicht wieder damit an.
MARIANNE: Liebes Münterlein. Das war so süß! Du hast einfach kein Doppel-t sagen können.
RALF: Ich weiß. Das ist vierzig Jahre her.
MARIANNE: Liebes Münterlein, du bist für mich die Allerbeste, du hast das Leben mir geschenkt ... Ich weiß es noch wie heute.
RALF: Willst du eine Nachspeis'?
MARIANNE: Man hat machen können, was man hat wollen, jedesmal hast du gesagt, Münterlein.
RALF (ärgerlich): Ja! Und du hast mich jedes Mal zur Sau gemacht vor alle Leut'!
MARIANNE: Aber geh, das war doch nur Spaß! Du hast ja nichts dafür können, das war ein Sprachfehler, wie Stottern.
RALF (erregt): Das war nicht wie Stont-... wie Stottern!
MARIANNE: Siehst du, du kannst es noch immer nicht.
RALF: Natürlich kann ich's! Nur du bringst mich jedes Mal so in Wut, wenn du immer wieder damit anfangst, dass ich - ...
MARIANNE (zur Frau am Nebentisch): Immer regt er sich so auf.
DIE FRAU (lächelt freundlich)
MARIANNE: Er hat nämlich als Kind kein Doppel-t sagen können. Als wär' sowas ein Drama.
RALF (hält sich die Ohren zu und summt halblaut vor sich hin)
MARIANNE (zur Frau): Wenn er sein Muttertagsgedicht aufgesagt hat, hat er immer gesagt, "liebes Münterlein". (Lacht.)
DIE FRAU (lächelt): Süß! (Wendet sich wieder ihrem Essen zu.)
MARIANNE (zu Ralf): Siehst du, alle finden es süß.
RALF (lauter): Mhmhmm...Hmmhmm... hmmhmm... hmmhmm...
MARIANNE (zur Frau): Er kann es bis heute nicht, aber er glaubt, es merkt niemand. Naja, eine Mutter merkt halt alles...
DIE FRAU (isst)
RALF (rot im Gesicht, mit geschlossenen Augen, zugehaltenen Ohren, laut) : Es ist ein Schninter, der heißt Tod...
MARIANNE (zur Frau): Haben S' es g'hört?
(Vorhang)
(Antonio Fian, DER STANDARD, 11./12.5.2013)