Schmaler Saal, großer Andrang: Reservierungen sind in den großen Cervejarias der portugiesischen Hauptstadt Makulatur. Man stellt sich um einen Tisch an, trinkt und isst reichlich – und macht dann schleunigst Platz für die anderen Wartenden.

Foto: Majken Corti

Lagosta nacional ist der stolze Name der andernorts bereits stark überfischten Languste. Eine Bierhalle von Rang wie die Ramiro hat aber stets einige kapitale Exemplare vorrätig.

Foto: Majken Corti

Das lokale Sagres-Bier ist buchstäblich eiskalt. Die gekühlten Zapfhähne sind mit einer dicken Eisschicht überzogen, die digitale Temperaturanzeige verkündet stolz: minus 1,8 Grad.

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Hammer und Hummergabel: Wer Taschenkrebs und Languste zu Leibe rücken will, braucht schweres Gerät – in den Bierhallen Lissabons ist es dementsprechend automatisch Teil des Gedecks.

Foto: Majken Corti

Gegen halb neun Uhr abends, wenn der Iberer von Rang sich gemeinhin zum Aperitif begibt und das Abendmahl noch in deutlicher Entfernung liegt, steht die Kundschaft der Cervejaria Ramiro, etwas abseits des Stadtzentrums der portugiesischen Hauptstadt, bereits bis vor die Tür um einen Tisch an.

Trinken ist hier das Thema, aber das Essen wird bei Ramiro zumindest ebenso ernst genommen. Innen ist alles dicht besetzt, so bleibt den Wartenden nichts übrig, als sich in Vorfreude zu üben. Patron José, ein stattlicher Mann mit blankpolierter Glatze, ist aber bald um die neue Kundschaft bemüht, er kommt vor die Tür und nimmt Bestellungen auf. Wenig später ist man mit dem ersten Bier versorgt, dazu gibt es einen Teller mit von Hand geschnittenem Pata-negra-Schinken und frisch geröstete, großzügig mit Butter eingestrichene Weißbrötchen. Das aber soll für diesen Abend die einzige Nahrung fleischlicher Natur bleiben.

Kapitale Langusten

Denn während uns Mitteleuropäern die Kombination aus deftiger, auf Schweinernes und Knödel konzentrierter Küche zu Bier als ebenso logisch wie unvermeidlich erscheinen mag, stellt sich das für portugiesische Bierhallen-Sitzer ganz und gar anders dar. Einen ersten Hinweis liefert das auch von draußen einsehbare Aquarium der Ramiro, in dem sich etliche kapitale Langusten tummeln. Sie sind in Portugals Gewässern noch vergleichsweise häufig und werden auf der Karte nicht ohne Stolz als "Lagosta nacional“ vermerkt. Billig sind sie freilich nicht.

Zum Bier wird in Lissabon der Meeresfrucht aber in vielfältiger Gestalt zugesprochen, weshalb Bierhallen gleichzeitig stets auch Kompetenzzentren für die fachgerechte Vorrichtung von Seespinnen und Taschenkrebsen, Muscheln und allerhand Krebsgetier der durchwegs taufrischen Art darstellen. Die Tische stehen dicht an dicht Sobald ein Tisch frei und man von draußen hereingebeten wird, wird klar, mit welcher Ernsthaftigkeit das Thema in der Cervejaria Ramiro abgehandelt wird.

Extrem unauffällige Trinkbarkeit

Die Tische stehen dicht an dicht, sodass das gut 120 Quadratmeter große Lokal mit der auf Azulejo-Kacheln gemalten Meeresboden-Menagerie an der Stirnseite gut und gern 100 Sitzplätze fasst. Im schmalen Gang, der zwischen der Schank samt offener Küche und den Tischen verläuft, wuselt eine Armada schmaler, früh ergrauter Kellner in erheblich gestresstem Zustand (aber nichtsdestoweniger blendend gelaunt) hin und her, um die diversen Leckereien, aber auch den ständig benötigten Biernachschub zu den Gästen zu befördern.

Für Mitteleuropäer mag das "Imperial“ genannte 0,2-l-Maß, das wie in Spanien ("caña“) hier die Norm ist, nämlich gar klein erscheinen. In der Ramiro stammt es von der wohl bekanntesten portugiesischen Brauerei Sagres, die längst dem Heineken-Konzern gehört und durch extrem unauffällige Trinkbarkeit wegen minimierten Eigengeschmacks auffällt. Dementsprechend gehört es an Premium-Ausgabestellen wie der Ramiro zum guten Ton, es aus solide vereisten Hähnen samt stolz angeführter Schanktemperatur ("–1,8° C“) zu zapfen – da schmeckt man noch weniger, dafür rinnt es noch zischiger die Kehle hinab.

Exponierte Lage

Die exponierte Lage Portugals, das sich am Westzipfel Europas weit in den Atlantik hinaushängt, bringt natürlich außerordentlichen Reichtum wie auch Qualität bei Meeresfrüchten mit sich. Seespinnen und Taschenkrebse werden einigermaßen rudimentär vorgerichtet: Das zart blätternde weiße Fleisch verbleibt in den Beinen, Scheren und sonstigen Körperhöhlen. Es muss vom Gast mithilfe von Plastikhammer und Krebsengabel selbst für den Genuss freigelegt werden, während das vergleichsweise flüssige Braunfleisch samt Corail fixfertig mit Löffelchen versehen in der Rückenschale vorbereitet zu Tisch kommt.

Austern gibt es im halben, rohe Venusmuscheln im ganzen Dutzend – in Petersil-Knoblauch-Weißwein gedämpft sind sie aber auch zu haben. Kaum ein Tisch bringt es über sich, den Abend nicht mit den in allerhand Knofl, Olivenöl und Chili streng angebratenen und grandios knackigen "Gambas à la Aguilho“ zu beginnen. Garnelen in der Schale kommen nicht etwa aus Südostasien, sondern tagesfrisch von der Algarve, die unvergleichlichen "Percebes“-Krebse (im Deutschen fälschlich als Entenmuscheln bezeichnet) sind knapp gegart und von begeisternder Meeresfrische.

Achtsamkeit walten lassen

Kleine Bärenkrebse (Camarão do Porto) werden der Länge nach aufgeschnitten serviert, um in ihrer ganzen Herrlichkeit genossen werden zu können. Einzig die massiven, gut 30 Zentimeter langen, wilden Riesengarnelen werden aus der Ex-Kolonie Mosambik herangeschaftt, um auf grobem Salz gegrillt zu werden.

Weil die schiere Menge maritimer Proteine auf die Dauer nur mangelhaft mittels Bier hinuntergespült werden kann, steht irgendwann doch noch ein einfacher Weißwein auf dem Tisch. Alles schön und gut, man ist schließlich auf Urlaub.

Beim Verlassen des Lokals gilt es aber, aller Vinho-Fidelität zum Trotz, Achtsamkeit walten zu lassen: Die Remodelado genannten Straßenbahnen der Stadt schießen dort nämlich mit einem abenteuerlichen Karacho die abschüssige Straße hinab. (Severin Corti, Feinkost, Mai 2013, DER STANDARD)