The Last of Us

Für: PS3

Von: Sony/Naughty Dog

Ab: 16 Jahren

UVP: 69,99 Euro

Marktstart: 14.6.2013

Foto: Sony
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In den vergangenen sechs oder sieben Jahren, in denen PlayStation 3 und Xbox 360 Videospielern treue Dienste geleistet haben, stand der Tod mehr als jedes andere Leitthema im Mittelpunkt. Spieler durften die griechischen Götter bezwingen, die Erde von bestialischen Aliens und Zombies befreien und in den Krisengebieten der Welt die Menschheit vor Terroristen beschützen. Tausende Schurken mussten Spieler töten und tausende Tode mussten sie sterben. So oft und auf so viele Arten, dass man meinen könnte, die virtuelle Sterblichkeit könne nicht mehr überraschen.

Der Tod ist auch in "The Last of Us" das, worum sich alles dreht. Doch wird man in Naughty Dogs jüngstem Überlebensdrama mit einer Intensität und Glaubwürdigkeit mit der Endlichkeit konfrontiert, wie man sie in einem Videospiel noch nicht erleben konnte. Nicht jeder Lösungsweg zu diesem Gesamtkunstwerk mag überzeugen, am Ende bleibt dennoch eine Erfahrung, die man nicht vergessen wird. Es ist zum Abschied einer Konsolengeneration der vielleicht deutlichste Fingerzeig in die Richtung, in die sich narrative Videospiele entwickeln. Und noch viele Games der nächsten Generation dürften an "The Last of Us" gemessen werden.

Die Endzeit

Anschließend an die Abenteuer des Nathan Drake ("Uncharted") nahmen sich die Entwickler von Naughty Dog dem klassischen Endzeitepos an. Nach dem Ausbruch einer Seuche ist die Welt in Überlebende und zur Unkenntlichkeit entstellte Monster geteilt. Sporen infizieren den Organismus mit einem Pilz, der das Gehirn befällt und mit der Zeit durch Knochen und Haut bricht. Die Betroffenen mutieren zu blutrünstigen Zombies, werden ihrer Menschlichkeit beraubt.

20 Jahre nach dem Outbreak hat die Natur die Großstädte zurückerobert und den amerikanischen Traum zu einem anarchistischen Ort der Überlebenskünstler gewandelt. Wer nicht infiziert wurde, hat sich bewachten Gemeinschaften oder plündernden Banden angeschlossen. Das Militär existiert auch noch irgendwo, doch in den Weiten der Quarantänezonen gilt das Gesetz des Stärkeren.

Joel und Ellie

In dieser Grauzone in die Jahre gekommen ist der mürrische Schmuggler Joel. Er kannte die Welt, wie sie vorher war und weiß, wie es nie wieder sein wird. Bei einem Auftrag stößt er auf die 14-jährige Ellie, die in den Ausnahmezustand geboren wurde. Beide suchen die Fireflies, eine von wenigen Kommunen, die noch an die Zukunft der Menschen glaubt. Von da an beginnt eine Reise in die gefährliche Ungewissheit der Außenwelt, während zwei Persönlichkeiten dazu gezwungen werden einander zu vertrauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Schon von Beginn an entfaltet sich ein Spiel, dessen Geschichte nicht aufgesetzt wirkt. Anstelle wie so oft der Kleister für einzelne Gameplay-Bausteine zu sein, wurde die Erzählung mit der Handlung verschmolzen. Eine Kunst, die Naughty Dog schon bei der "Uncharted"-Serie unter Beweis stellte, nun aber auf eine neue Ebene hebt. Was Joel und Ellie in den virtuellen Monaten und realen 15 Stunden erleben, ist nicht nur schlüssig, sondern wirkt sich auch auf ihre Persönlichkeiten aus. Ihre Taten haben Konsequenzen, die nicht spurlos an ihnen vorüber gehen.

Scherbensammler

In den verwahrlosten Ortschaften, die man durchkreuzt, ist man ständig auf der Suche nach Ressourcen. Um sich vor Banditen und Mutanten schützen zu können, gilt es alles zu sammeln und zu Waffen oder Hilfsmitteln zusammenzubauen. Munition für Gewehre und Pistolen ist Mangelware, weshalb aus Alkohol und Stofffetzen Molotov Cocktails und Sprengfallen gebastelt werden. Mit Klebeband und Klingen lässt sich ein Baseballschläger in eine tödlichen Keule verwandeln, mit Schrauben und Werkzeug lässt sich die Durchschlagskraft von Flinten und Revolvern verbessern. Stoffe und Alkohol nutzt man zur Wundheilung, eine automatische Regeneration gibt es nicht.

Es ist ein cleveres Crafting-System, das gleichermaßen die Wichtigkeit der Ressourcensuche in der Wildnis deutlich macht und Spieler dazu bringt, die Landschaft zu erkunden. Es ist ein linearer Pfad, auf dem man wandelt, doch die gigantischen Ruinen, Wälder und Berge sind ebenso reich an Schönheit wie wertvollen Hinweisen von Dahingeschiedenen, die einem helfen können, das eigene Drama zu überstehen. Ein Plattenladen, ein Filmposter oder die verdorbenen Essensreste in einer verlassenen Küche werden wie der Brief eines Nachbarns zu berührenden Fundstücken, wenn die Welt in Scherben liegt.

Fressen und gefressen werden

Und dass die Welt in Scherben liegt, erkennt man besser denn je, wenn man auf Infizierte oder andere Überlebenskämpfer trifft. Egal wie gut man ausgerüstet ist, wird man nie genug Feuerkraft besitzen, um leichtfertig in eine Konfrontation gehen zu können. Wann immer es geht, ist die beste Option einem Kampf auszuweichen, an der Gefahr vorbeizuschleichen oder, wenn nötig, aus dem Hinterhalt anzugreifen.

Die Kämpfe erfolgen mit einer Brutalität, die einem nahe geht. Im klickenden, einschüchternden Geräusch der Zombies will man nicht angreifen und unbehelligt plaudernde Banditen nicht attackieren. Jemanden mit dem Ziegel zu erschlagen, mit einem Metallrohr ins Jenseits zu befördern oder ein Individuum in eine Sprengfalle laufen zu sehen, bedeutet einen Teil seiner Seele herzugeben. "Erlöse sie von ihrem Leiden", kommentiert Ellie das Grauen. "Jesus", fällt ihr manchmal nur noch ein. Die Untoten, so bestialisch sie erscheinen mögen, haben sich ihre Blutrünstigkeit nicht ausgesucht, Mitstreiter kämpfen nur wie man selbst ums Überleben. Im Unterschied zu einem "Call of Duty", "Halo" oder "Uncharted" empfindet man keine Befriedigung in der Überwältigung der Widersacher. Man ist Opfer und wird selbst zum Täter.

Kurvige Straßen

Ein Unterschied, an dem nicht jeder Gefallen finden wird. "The Last of Us" hat die Produktionsqualitäten eines Blockbusters, grenzt sogar an dem, was technisch auf der PS3 möglich ist. Doch es wirbelt Emotionen auf, die man mehr vom europäischen Kino erwarten würde, als von einem amerikanischen Sommer-Hit. Hinter Wänden schleichend, Wachposten ausspähend wird man ängstlich und zäh zugleich. Ein Tunnelsystem voller Clicker, die nur hören können, aber deren erster Biss schon tödlich ist, wird zum nervenaufreibenden Rätsel. Nutzt man die vier Patronen im Revolver und riskiert bei Fehlschüssen anschließend wehrlos zu sein? Vielleicht wäre es besser, die Meute mit einem geschickt platzierten Wurf einer Glasflasche anzulocken und einen Molotov Cocktail nachzuschicken? Oder bewegt man sich vorsichtig an den dösenden Ungetümen vorbei und nimmt einen anstregenden Nahkampf in Kauf, wenn der knisternde Untergrund einen verraten sollte.

In den besten Momenten leiten die Designer mit den spielerischen Herausforderungen die Erzählung. Artifizielle Rätsel gibt es nicht, anstelle dessen müssen Hürden überwunden werden, wie sie einem die zerstörte Umgebung entgegenstellt. Weil Ellie nicht schwimmen kann, muss Joel sie auf einem Floß über einen See geleiten. In einer anderen Szene macht sich Ellie im verschneiten Wald bei der Suche nach Nahrung auf die Jagd nach einem Reh und verfolgt die Blutspur des getroffenen Viehs in eine Wendung, wie man sie nicht erwarten würde. Der Übergang zwischen Spiel und Erzählung geschieht so fließend, dass man die technischen Nahtstellen oft nicht erkennt.

Ein Team, eine Wandlung

Das ist zu einem großen Teil auch dem stark geschriebenen Zusammenspiel zwischen den beiden Protagonisten zu verdanken, die eine immerzu unzufriedene Symbiose ergeben. Im Kampf steht keiner dem anderen im Weg, eine spielerisch mühsame Beschützerfunktion muss man in den seltensten Fällen einnehmen. Anstelle dessen wird man Zeuge einer Wandlung, die einen zu Tränen rührt. Was ist Joel widerfahren, dass ihm selbst das kleinste Lächeln die größte Überwindung kostet? Wie bringt die Teenagerin Ellie diese Kraft auf, die Hoffnung nicht aufzugeben? Es ist ein Zusammenspiel, das dem Beobachter viel abverlangt. Man lacht, man zweifelt, die Aussichtslosigkeit deprimiert. Wie oft konnte man das schon von einem Videospiel sagen?

Die Erfolgsgrundlage dafür ist ein kluges und einfühlsames Skript, das sich gewiss nicht kompromisslos entfalten lässt. Man schlüpft in die Rolle des Überlebenskämpfers, hat aber nicht die Möglichkeit, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet auch, dass man sich am Steuer sitzend auf das Schauspiel einlassen und der Fiktion hingeben muss. Was in der Freiheit einer interaktiven Spielwelt (mit Sicherheit auch beabsichtigt) beengend wirkt. Egal wie gut Sie spielen, Sie können das Schicksal des ungleichen Paares nicht ändern.

Widerstände im Spielfluss

So gut die Schöpfer bei schon metaphorisch anmutenden Kulissen und Kameraeinstellungen die technischen Aspekte im Griff haben, ist auch der Gameplay-Fluss nicht frei von Strudeln. Wie effektiv sie sich auch verstecken, werden Ellie oder andere Begleiter immer wieder in der freien Sicht der Gegner stecken bleiben. Das ist glücklicher und kurioser Weise ohne Folgen, doch reißt es einen aus der Illusion heraus. Genauso lässt sich nicht abstreiten, dass das Abenteuer nach langen und abwechslungsreichen Passagen wiederholt in Gameplay-Routinen verfällt. An der zweifellos fantastischen, dezenten musikalischen Begleitung ist nicht zu selten zu erkennen, wann sich einem Schurken in den Weg stellen oder ein Raum zur Falle wird. Es sind Hilfen, wie die Erleichterungsäußerungen Joels nach einem zehrenden Gefecht, die den Nervenkitzel der aufregenden Ungewissheit berauben. Ganz entkommt auch "The Last of Us" nicht den gängigen Videospielkonventionen. Und wenngleich man weit entfernt von den Gemetzeln eines Shooters ist, stimmt auch bei diesem Trip noch das Verhältnis aus Glaubwürdigkeit und Leichen im Keller nicht.

Auf der anderen Seite hat es Naughty Dog wie kein anderes Studio verstanden, dass gerade in punktuell eingesetzten stillen Momenten unschätzbare Videospielkost steckt. Ein Ritt durch den Sonnenuntergang oder ein schweifender Blick auf die urbane Verwüstung können als Akzente oft mehr mitreißen, als jedes noch so heftige Duell. Das Pacing, also die Abwechslung einzelner Spielelemente, ist die meiste Zeit hinweg vorbildhaft.

Multiplayer? Check!

Wer das Gameplay über die Spielzeit der Story hinaus auskosten möchte, wird am kompakten Mehrspielermodus gefallen finden. In nur zwei Team-Bewerben (vier gegen vier) steht die taktische Handhabung der Ressourcen und die Überraschung aus den Hinterhalt im Mittelpunkt. Es erfordert viel Zusammenarbeit und laufende Absprachen, um in den defensiv geprägten Matches erfolgreich zu sein.

Wenngleich sich die Entwickler um Abwechslung zu etablierten Multiplayer-Modi bemüht haben, und die Umsetzung gelungen ist, ist es fraglich, ob eine Mehrspielerkomponente einem narrativ geprägten Werk nicht etwas an Charme nimmt. Vielleicht war es die Erkenntnis, dass viele Spieler für 15 Stunden Spielzeit keine 60 Euro ausgeben möchten und deshalb ein wichtiger Punkt auf der Marketingcheckliste. Nach einem schweißtreibenden Durchlauf sei gesagt: Diese Erfahrung ist in ihrer Reinform jeden Cent wert. Es ist ein forderndes Erlebnis, das schon auf moderaten Schwierigkeitsgraden viel Köpfchen erfordert.

TLDR

"The Last of Us" ist nach einer unvergesslichen Reise noch nicht ganz dort angekommen, wo Story-getriebene Videospiele eines Tages sein könnten. Aber es kommt der Verschmelzung von Gameplay und Erzählung so nahe, wie bisher kein anderes Werk – ohne dabei wie ein klassisches Adventure vom Schlage "The Walking Dead" oder auch einem "Heavy Rain" die Interaktivität zurückzuschrauben. Und muss in anderen Games eine Atombombe gezündet werden, um Emotionen zu erzeugen, reicht aufgrund einer beispiellosen Charakterentwicklung hier bereits ein Wimpernschlag. Die Gewalt wird unerträglich, Zärtlichkeit wird greifbar. Und ist der letzte Satz in "The Last of Us" gefallen, will man im Moment wissen, wie es weitergeht. Ein Kompliment, das nicht zu unterschätzen ist. Denn ein viel stärkeres Verlangen, kann eine Geschichte nicht erzeugen. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 9.6.2013)