Stefania Ricci, Leiterin des Museo Salvatore in Florenz.

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STANDARD: Wann wurden Frauenschuhe spannend?

Ricci: Die interessanteren Schuhe waren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts jene der Männer. Als die Frau gesellschaftlich zunehmend in den Vordergrund tritt, drehte sich das Verhältnis um: Die Frau hat schöne Kleider an, der Mann schwarze Anzüge. Hinsichtlich der Schuhe sind die 1920er-Jahre wichtig, weil die Füße und die Schuhe der Frauen plötzlich gut zu sehen waren.

STANDARD: Der Absatz ist eine Errungenschaft des 17. Jahrhunderts. Was sagt er heute aus?

Ricci: Die Bedeutung des Absatzes hat sich verschoben. Heute gilt: Hauptsache sexy. Dem ganz hohen Absatz sage ich keine große Zukunft voraus, weil er nicht bequem ist.

STANDARD: Sie selbst tragen heute aber High Heels ...

Ricci: Ich mag Absätze ja auch: Der Gang verändert sich, die Beine sehen toll aus, und man wirkt femininer und eleganter. Aber normalerweise habe ich flache Schuhe an. In meinem Privatleben mit Kindern geht das nicht anders. Es ist aber wichtig, regelmäßig auf Absätze zu wechseln, denn sonst haben die Füße damit ein Problem. Ganz flach ist übrigens unbequem.

STANDARD: Was ist die Alternative?

Ricci: Am besten lässt es sich auf drei oder vier Zentimeter hohen Absätzen gehen.

STANDARD: Spiegelt sich in der Wahl des Absatzes die Persönlichkeit der Trägerin wider?

Ricci: Unbedingt. Das beste Beispiel ist Marilyn Monroe. Als ich eine Ausstellung über sie gemacht habe, habe ich gelernt, dass die Höhe der Schuhe ein wichtiger Bestandteil ihrer Verwandlung in die platinblonde Marilyn war. Im Alltag als Norma Jeane mochte sie es modisch gerne einfach.

STANDARD: Die Garbo war hingegen eine Flachschuhträgerin ...

Ricci: Die Garbo hatte einen sportiven Körper und wollte zu Kleidern und Hosen bequemes Schuhwerk tragen. Außerdem war sie sehr groß.

STANDARD: Viele große Frauen haben Angst vor hohen Absätzen ...

Ricci: Dabei sehen große Frauen mit High Heels am allerbesten aus: Dann stimmen die Proportionen.

STANDARD: Warum trugen Frauen in den 1950er-Jahren diese nadeldünnen High-Heels?

Ricci: Der Stiletto war eine Reaktion auf den Keilabsatz, der während des Krieges dominierte. Zum Keilabsatz passten kürzere Röcke, High Heels schienen die perfekte Ergänzung zur Dior-Silhouette der 1950er-Jahre.

STANDARD: Gibt es heute noch wirklich innovative Schuhe?

Ricci: Vollkommen neue Schuhmodelle zu erfinden ist fast unmöglich: Ballerinas und Keilabsätze gibt es schon seit den 1940ern, die Stilettos auch schon lange. Insgesamt haben Accessoires aber an Bedeutung gewonnen.

STANDARD: Wie sieht es mit neuen Materialien aus?

Ricci: Viele Unternehmen versuchen mit ökologischen Materialien zu arbeiten. Das ist eine Herausforderung, hochwertiges Leder wird heute nämlich noch mit Chrom gegerbt. Eine andere Möglichkeit ist, alternative Materialien zum Leder zu finden. Keilabsätze werden heute auch aus Kunstkork und nicht mehr aus Naturkork hergestellt. Sie sind allerdings schwerer.

STANDARD: Einer Studie gemäß besitzen Italienerinnen mehr High Heels als deutsche oder französische Frauen ...

Ricci: Das kann ich fast nicht glauben: Die Französinnen legen sehr viel Wert auf Mode. Allerdings machen sie aus der Mode immer etwas Eigenes. In Italien ist das anders, da machen alle die gleichen Trends mit. In Deutschland steht wie in den USA der Komfort an erster Stelle.

STANDARD: Angela Merkel trägt zum Beispiel immer flache Schuhe.

Ricci: Frau Merkel tritt vielleicht nicht besonders feminin auf, ein Blazer zu flachen Schuhe mit einem kleinen Absatz passt zu ihr aber. Der Look der Politikerinnen ist jenem der Männer so nahe, weil sie Angst haben, sonst nicht ernst genommen zu werden.

STANDARD: Und die Politikerinnen in Italien?

Ricci: Ganz einfach: Hier sitzen in bedeutenden Positionen fast keine Frauen. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 14.6.2013)