Die Artischocke ist der Angstgegner vieler Gemüseköche. Kochbücher schrecken den interessierten Erst-Esser mit unverständlichen Anleitungen, wie das widerspenstige Biest zu schälen und zu essen ist, und warnen, dass es sich, endlich entblößt, auch noch schnell unappetitlich verfärbt. Zudem lassen frühkindliche Pizzeria-Erinnerungen schwere Zweifel aufkommen, ob sich die Mühe überhaupt lohnt.

Ich liebe die Artischocke. Nicht nur, weil sie fantastisch aussieht und ihr Fleisch frisch genial schmeckt – süß, bitter, heuig, mit herrlich samtig-fleischiger Konsistenz -, sondern auch, weil sie erstaunlich viel Charakter hat: Die Artischocke will erobert werden. Weil nicht allzu viel dran ist an ihr, motiviert sie den Koch, sie ordentlich zu behandeln, damit die Mühe nicht vergebens war.

Dabei muss sie gar nicht viel Arbeit machen. Ich halte das Schälen nicht nur oft für überflüssig, sondern für einen Fehler. Es ist ein seltener Genuss, an einem dornigen Distelblatt zu zuzeln und dort ein kleines Stück Glück zu finden. Das Artischocken-Herz schmeckt noch viel besser, wenn der Esser es vorher erst voll Vorfreude entblättert hat. Der Esser kann ungeschält mit ihr nichts überstürzen und ist gezwungen, sie lange und langsam zu genießen. Und sie ist eines der wenigen Gemüse, die auch im feineren Rahmen mit den Fingern verspeist werden dürfen. All diese Freuden entgehen demjenigen, der die Artischocke auf ihr Herz reduziert.

Foto: Tobias Müller

In Barcelona, vielleicht die Artischocken-Hauptstadt Europas, wird sie gern am Stück, in ihrer ganzen Pracht serviert. Vergangenen Februar durfte ich sie dort mehrfach genießen, und damals habe ich mir fest vorgenommen, dass wir uns bald wiedersehen. Jetzt ist es endlich so weit – und die Artischocken-Saison auch bei uns angebrochen. Die Frau Theuringer war so nett, mir drei Kilo ihrer Köstlichkeiten zum Experimentieren zu schenken. Normalerweise gibt es die Disteln bei ihr am Brunnenmarkt bis Mitte Oktober zu kaufen, heuer wird wohl, dank sehr heißem Sommer, schon Ende September Schluss sein. Verlieren Sie daher keine Zeit!

Foto: Tobias Müller

Wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, kaufen Sie die Artischocken mit Stielen: Die Stiele schmecken fast genauso gut wie das berühmte Herz, bloß manchmal etwas bitterer. (Was mir ja gefällt. Bitter fehlt meiner Meinung nach in der hiesigen Küche oft.) Der Herr Reitbauer, der eindeutig weiß, was gut ist, geht noch einen Schritt weiter: Er fährt jeden Herbst zur Frau Theuringer aufs Feld und lässt seine Köche dort die dicken, verholzten Artischocken-Stämme umhacken. Aus dem Mark, das sich darin befindet, zaubert er dann im Steirereck diverse Köstlichkeiten. Ihre Markt-Artischocken verkauft die Frau Theuringer leider normalerweise stiellos, ein Anruf genügt aber, um das für die eigene Bestellung zu ändern.

Ich habe mich der schuppigen Schönheit auf dreierlei Art genähert: Einmal habe ich sie confiert, einmal geschmort und einmal kurz gebraten – bis auf ihre Stängel habe ich dabei nichts geschält.

Confierte Artischocken

Der Prozess unterscheidet sich technisch nicht von Enten- oder Schweinebauchconfieren. Die Artischocke wird samt Gewürzen in Fett (in diesem Fall, aus Mangel an Eigenfett, Öl) versenkt und bei niedrigen Temperaturen langsam gegart. Weil es hier aber nicht darum geht, zähes Bindegewebe weich und geschmeidig zu machen, dauert das Ganze deutlich kürzer als ein fleischliches Confit, und das anschließende Reifenlassen fällt ebenfalls weg. Der größte Vorteil dieser Methode liegt darin, dass der Artischocken-Confierer als Lohn für seine Arbeit jede Menge Artischockenöl erntet – flüssiges Gold für den Koch.

Foto: Tobias Müller

Es kann benutzt werden, um damit Mayonnaise (etwa als Artischocken-Dip) zu machen, um Salate zu marinieren, es auf getoastetes Weißbrot zu träufeln oder darin Artischockenstiele (siehe unten) zu braten. In ihm versenkt, halten die Artischocken locker bis in den Winter, wenn man mit ihnen die Sommer-Sehnsucht stillt. (Um danach das Restöl zu Mayonnaise zu verarbeiten, über Salate zu kippen, auf Weißbrot zu träufeln oder, mangels roher Artischockenstiele, Wurzelwerk darin zu braten.)

Ich habe die Artischocken einmal in Oliven- und einmal in Erdnussöl confiert, und ich muss sagen: Finger weg vom Olivenöl! Selbst ein mildes übertüncht schnell den Artischockengeschmack. Zudem ist Olivenöl gänzlich ungeeignet, um daraus später Mayonnaise zu machen, weil es viel zu bitter ist.

Im Topf ist eindeutig Rosmarin – weil aber die Artischocke mit Thymian konfiert besser schmeckt, ist das Kraut nur auf dem Foto, nicht aber im Text gelandet. Sorry für etwaige Verwirrung.
Foto: Tobias Müller

Die Artischocken vierteln – so lassen sie sich platzsparender in einen Topf schlichten, was weniger Öl nötig macht – und so viel Öl darübergießen, dass sie komplett bedeckt sind. In meinem Fall war das ein Liter Öl auf vier Artischocken. Nach Belieben würzen – ich habe frischen Thymian, Zitronenschale, Chili und Knoblauch genommen, wobei sich die Kräuter geschmacklich als eher nutzlos erwiesen haben. Der Knoblauch sollte auf jeden Fall rein: einmal confiert, ist er selbst ein süßer Hochgenuss, sei es unter die Mayonnaise gemischt oder für sich auf ein Brot geschmiert.

Die Artischocken beziehungsweise das Öl mit Backpapier bedecken, auf dem Herd zum Blubbern bringen und den Topf bei etwa 100 Grad eineinhalb Stunden in den Ofen schieben. Vorsicht: Wird das Öl zu heiß, frittiert die Artischocke eher. Auch keine Katastrophe, es macht aber ihre äußeren Blätter etwas zäh und kann die Gewürze verbrennen. Die fertigen Artischocken entweder noch heiß oder, besser, am nächsten Tag im Öl ausgekühlt servieren. Dazu passt hervorragend eine Mayonnaise aus dem Confier-Öl.

Foto: Tobias Müller

Gebratene Artischocke (beziehungsweise Artischocken-Stielverwertung)

Braten ist eine hervorragende Methode, um Artischockenstiele zu verwerten. Als ich meine Bestellung am Brunnenmarkt geholt habe, bin ich in einen netten Herrn gelaufen, der Artischocken-Kochkurse anbietet. Wir haben kurz über die Stiele geplaudert, und er hat vorgeschlagen, daraus Pastasauce zu machen – eine hervorragende Idee.

Foto: Tobias Müller

Die Artischockenstiele abschneiden, schälen (geht gut mit einem Spargelschäler) und, um die berüchtigte Oxidierung zu vermeiden, in Wasser mit Zitronensaft versenken.

Foto: Tobias Müller

In einer Pfanne Öl (am besten Artischocken-Confieröl) erhitzen und ein wenig gehackte Zwiebel, klein geschnittene Karotten und bei Lust und Laune eine scharfe Chili so etwa fünf Minuten anschwitzen. Währenddessen die Artischocken-Stiele klein schneiden, dann ins Öl werfen, die Hitze erhöhen und mitbraten. Ich habe noch einen Löffel Honig druntergemischt, um die Bitterkeit ein wenig auszubalancieren. Mit einem Schuss Weißweinessig ablöschen, Weißwein dazu gießen und ein wenig gehackten Knoblauch und frischen Thymian dazu geben. Einkochen, bis eine fast sämige Sauce entsteht. Wenn die Artischocken jetzt nicht gar sind, nochmals Weißwein oder Wasser nachschütten.

Wer will, mischt das nun einfach unter die Pasta, zusammen mit einem ordentlichen Schuss Artischocken-Confier-Öl. Besonders gut eignen sich Röhrennudeln, in denen sich die Artischockenstücke gut verfangen. Alternativ kann man das Ganze auch noch durch einen Häcksler jagen und als Füllung für hausgemachte Ravioli verwenden oder mit Öl bedecken und als Artischockenpesto für den Winter aufheben.

Foto: Tobias Müller

Sehr gut dazu passen (auch farblich) Cocktail-Tomaten. Idealerweise in, erraten, Artischocken-Confier-Öl gebraten.

Geschmorte Artischocke

Wenn es nur um die Distel geht, ist das meiner Meinung nach die beste Variante. Sie wird so saftiger und, kaum verwunderlich, weniger ölig, als wenn man sie confiert, zudem lässt sie sich besser würzen. Ich habe sie für Versuchszwecke einmal klassisch in Weißwein (Grüner Veltliner), einmal in Rotwein (Blaufränkisch) geschmort (weil ich hier einmal eine hervorragende Rotwein-Artischocke hatte). Nebeneinander sieht das zwar hübsch aus, der Weiße steht der Distel aber schon deutlich besser – er lässt ihren Eigengeschmack mehr zur Geltung kommen.

Foto: Tobias Müller

Die Artischocke halbieren (sie wird so handlicher, gart schneller und nimmt den Würzsud besser auf) und, für die Ästhetiker, die Schnittfläche mit Zitronen abreiben. In einem Topf oder Bräter klein geschnittene Zwiebel und Karotten braten, mit Weißweinessig und Weißwein ablöschen, Gewürze (Chili? Knoblauch? Thymian? Lorbeer, Petersil, Pfefferkörner!) dazugeben und ein wenig einkochen lassen. Die Artischocken mit der Schnittfläche nach unten hineinlegen und mit Wein oder Wasser so weit aufgießen, dass sie etwa zur Hälfte in der Flüssigkeit stehen. Weil jetzt gerade dieses so kurze Zeitfenster im Jahr ist, in dem es gute Tomaten gibt, habe ich noch ein paar grob gehackt und ebenfalls in den Topf geworfen – eine sehr gut Entscheidung.

Den Topf bei 140 Grad eine bis eineinhalb Stunden ins Rohr schieben. Die Tomaten und die Artischocken herausheben und den Saft nach Lust, Laune und Geschmack reduzieren. Die Tomaten auf getoastetes Weißbrot legen, mit dem Saft beträufeln und mit den ebenfalls beträufelten Artischocken und einer Dip-Mayonnaise servieren. (Tobias Müller, derStandard.at, 25.08.2013)

Foto: Tobias Müller