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"Bis heute, mehr als 65 Jahre später, habe ich gemischte Gefühle, wenn ich Österreich besuche. Was ich selten tue", schrieb Karplus in seiner Autobiographie.

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Mit Martin Karplus wird die Liste der in Österreich geborenen, von den Nationalsozialisten vertriebenen Nobelpreisträger wieder um einen Namen länger. Zuletzt waren Walter Kohn (Chemie-Nobelpreis 1998) und Eric Kandel (Medizin-Nobelpreis 2000) mit der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung geehrt worden.

Karplus wurde am 15. März 1930 in Wien geboren und wuchs in Grinzing auf. Die Wissenschaft wurde dem Spross einer jüdischen Medizinerfamilie praktisch in die Wiege gelegt: Bereits sein Großvater väterlicherseits, Johann Paul Karplus, war Professor an der Medizin-Fakultät der Universität Wien und an der Entdeckung der Funktion des Hypothalamus beteiligt. Nach ihm ist heute die Karplusgasse in Wien-Meidling benannt. Der Großvater mütterlicherseits, Samuel Goldstern, betrieb eine auf die Behandlung rheumatischer Erkrankungen spezialisierte Privatklinik.

Flucht aus Wien

In seiner Kurz-Autobiographie "Spinach on the ceiling: A Theoretical Chemist's Return to Biology" aus dem Jahr 2006 beschreibt Karplus, wie sich das Leben der Wiener Familie vor dem Hintergrund des immer radikaleren Antismitismus schon vor 1938 drastisch änderte. Wenige Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland verließ der damals Achtjährige zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder Robert (1927-1990), der später ein bekannter Physiker und Physik-Pädagoge in den USA wurde, Österreich in Richtung Schweiz. Der Vater wurde in Wien inhaftiert, konnte aber einige Monate später ausreisen. Die Familie emigrierte schließlich in die USA, wo sie vor fast genau 75 Jahren, am 8. Oktober 1938, ankam.

Erst 45 Jahre später kehrte Karplus erstmals wieder an den Ort seiner Kindheit zurück. Das Grinzinger Wohnhaus der Familie war von den Nazis arisiert worden. "Bis heute, mehr als 65 Jahre später, habe ich gemischte Gefühle, wenn ich Österreich besuche. Was ich selten tue", schrieb Karplus 2006. "Der Antisemitismus scheint heute fast genauso verbreitet zu sein wie damals". Dass er neben der US-amerikanischen auch nach wie vor die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, habe er erst vor wenigen Jahren erfahren.

Schüler von Doppel-Nobelpreisträger Linus Pauling

In den USA wuchs Karplus in Brighton im Großraum Boston auf. Er studierte zunächst ab 1947 in Harvard und wechselte später ans California Institute of Technology (Caltech), wo er beim zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling seinen PhD machte. Anschließend forschte er als Postdoc zwei Jahre in Oxford (Großbritannien), bevor er in die USA zurückging und zunächst an der University of Illinois und später an der Columbia University arbeitete.

1966 kehrte Karplus als Professor an seine Alma Mater in Harvard zurück, wo er bis heute forscht. In den 1970er-Jahren wollte er seine Forschungsgruppe nach Paris verlegen, scheiterte aber an administrativen Hürden. 1996 wurde er als Professor an die Universite Louis Pasteur in Straßburg (Frankreich) berufen und pendelt seither mit seiner Frau Marci zwischen seinen Wirkungsstätten.

Fotoreisen seit den 1950ern

Abseits der Forschung widmet sich Karplus auch intensiv der Fotografie: Schon während seiner Studienzeit in den 1950ern reiste er als Fotograf durch Europa. In den frühen 60er Jahren, als er bereits Professor war, folgten Vortragsreisen nach Lateinamerika, China und Japan. Dabei entstanden innerhalb von zwölf Jahren 4.000 Leica-Farbfotos von Straßenszenen. Erst im Sommer dieses Jahres wurde eine Auswahl seiner in der Französischen Nationalbibliothek ausgestellt. (APA/red, derStandard.at, 9.10.2013)