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Zwei Bilder, die das Zwiespältige an der Person Eugenio Pacellis illustrieren: Pius XII. erteilt von seinem Thron im Vatikan aus den Segen (September 1945). Das Foto unten entstand einen Tag vor der Judenrazzia in Rom: Der Papst betet am 15. Oktober 1943 mit römischen Bürgern nach einem Bombenangriff der Alliierten.

Foto: AP

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Am 27. April 2014 werden in Rom zwei populäre Päpste heiliggesprochen: Johannes XXIII. und Johannes Paul II. Die nüchterne Ankündigung des Ereignisses durch den Vatikan sorgte letzthin für Überraschung - nicht wegen der zwei unbestrittenen Anwärter, sondern wegen des fehlenden, durchaus strittigen Kandidaten: Pius XII. Kommentarlos ließ der Vatikan jenen Papst unter den Tisch fallen, dessen Heiligsprechungsprozess bereits drei Jahrzehnte dauert und dem Benedikt XVI. schon 2009 den "heroischen Tugendgrad" bescheinigt und ihn zum "Diener Gottes" erklärt hatte.

Dass im Laufe des nächsten Jahres noch ein dritter Papst heilig­gesprochen wird, gilt als unwahrscheinlich. Offenbar befürchtet Franziskus, dass die Kanonisierung des 1958 verstorbenen Kirchenoberhaupts die Diskussion über dessen Rolle während des Zweiten Weltkriegs wieder aufleben lassen könnte. Nicht zu Unrecht. Denn trotz Vorlage tausender Dokumente aus den Archiven des Vatikans bleibt Eugenio Pacelli eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.

Verhärtete Fronten

Die Fronten sind seit Jahren verhärtet. Die einen verehren den vergeistigten Asketen als Heiligen, die anderen sehen ihn als Sünder - nicht wegen seiner Taten, sondern wegen seines Versäumnisses, den millionenfachen Judenmord laut und deutlich zu verurteilen. Der deutsche Jesuit Peter Gumpel, der als nunmehr greiser Relator im Seligsprechungsprozess 3000 Akten gesammelt hat, widerspricht den Vorwürfen energisch: "Es gibt keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die so viele Erweise der Dankbarkeit von der jüdischen Gemeinde erhalten hat." Pius, der vielen Juden das Leben gerettet habe, sei "ein Opfer tief verwurzelter Vorurteile".

Das mag zum Teil stimmen. Doch die zwiespältige Persönlichkeit Pacellis stand einem eindeutigen Urteil über sein Pontifikat stets im Weg. Er war der letzte ­Monarch auf dem Papstthron, auf dem er noch über den Petersplatz getragen wurde. Er sympathisierte mit den faschistischen Regimen in Spanien und Kroatien und hielt den Bolschewismus für schlimmer als den Nationalsozialismus. Ein Schwerpunkt seines Pontifikats war der Kampf gegen den "atheistischen Kommunismus".

So laut seine Proteste gegen realsozialistische Verbrechen waren, so kraftlos wirkten seine Einwände gegen die Shoah. Seine Enzyklika gegen Judenverfolgung und Rassismus hielt er in der Befürchtung zurück, sie könne Schaden anrichten. "Er hat nicht die Kraft aufgebracht zu einem prophetischen Zeugnis", so der Theologe Hans Küng. "Pius hat sich geweigert, den größten Massenmord der Geschichte öffentlich zu kritisieren. Gegen dieses Faktum kann man nicht einfach irgendwelche Dokumente anführen."

Kritiker sehen in Pius XII., der das Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Marias verkündete, einen mutlosen Papst, dem die Moderne zeit seines lebens suspekt blieb. Es war Rolf Hochhuths brisantes Drama Der Stellvertreter, das 1963 Pacellis Wirken ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit rückte. Das in Berlin unter der Regie von Erwin Piscator uraufgeführte Stück löste die bis dahin heftigste Theaterdebatte in Deutschland aus und sorgte auch international für Kontroversen.

Sympathien für Deutschland

Hat der römische Monsignore, der bereits 1917 zum Nuntius in München und später in Berlin ­ernannt wurde, die Gefahr des ­Nationalsozialismus verharmlost und die Judenverfolgung nur halbherzig angeprangert? Waren dafür seine übertriebene Sympathie für Deutschland und seine antijüdischen Reflexe verantwortlich, die bereits in den Berichten des Nuntius durchscheinen, der vor einer "jüdisch-bolschewistischen Verschwörung" warnt?

"Die Diskussion über Pius XII. ist weitgehend eine über die ­Shoah", glaubt der Historiker ­Matteo Luigi Napolitano, Mitar-beiter des päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften. Bei allen Differenzen stimmten die Interpretationen über Pacellis Verhalten in einem Punkt überein: "Pius XII. war nie Hitlers Papst", wie es John Cornwells Buch Hitler's Pope suggeriert.

"Ein Christ kann niemals Antisemit sein", stellte Papst Franziskus am Wochenende bei einem betont herzlichen Empfang für die jüdische Gemeinde klar. Ist das die Endstation für die Heiligsprechung Pacellis? Eine schlüssige Antwort steht aus. Doch Experten im Vatikan verweisen darauf, dass nach 75 Jahren den Historikern 2014 die Archive 1939-1958 zugänglich werden, in denen entscheidende Dokumente vermutet werden über das Wirken eines zaudernden Papstes, der Gott in seinem Testament um Gnade anfleht: "Die Mängel und Fehler, die in so schwerer Zeit begangen wurden, haben mir meine Unzulänglichkeit klar vor Augen geführt." (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD, 14.10.2013)