Mithilfe von Supercomputern erstellte Simulation der gewaltigen Explosion 30 Kilometer über Tscheljabinsk.

Illustration: Andrea Carvey et al.

Die Einschagstelle im Tschebarkulsee.

Foto: Eduard Kalinin

London/Washington/Wien - Was sich am Morgen des 15. Februar 2013 am Himmel über Tscheljabinsk abspielte, war allem Anschein nach der größte Meteor seit mehr als 100 Jahren. Während das sogenannte Tunguska-Ereignis, das sich im Jahr 1908 in Sibirien zutrug, die Wissenschaft bis heute vor Rätsel stellt, ist die Explosion, die sich 1500 Kilometer östlich von Moskau ereignete, nicht einmal ein Jahr danach wissenschaftlich bereits recht gut aufgearbeitet.

In gleich vier Forschungsarbeiten in den aktuellen Ausgaben der führenden Fachblätter "Nature" und "Science" wurden nun die Explosion und die Einschläge des Himmelkörpers analysiert. Diese Studien wurden nicht zuletzt dadurch erheblich erleichtert, dass das spektakuläre Ereignis von diversen wissenschaftlichen Beobachtungsinstrumenten rund um den Globus, aber auch von hunderten russischen Autokameras aufgezeichnet wurde.

Zudem konnte man am 16. Oktober 2013 das wohl größte Meteoritenbruchstück mit einem Gewicht von mehr als 570 Kilogramm aus dem Tschebarkulsee etwa 80 Kilometer südwestlich von Tscheljabinsk bergen. Ist die Größe des Brockens zwar außergewöhnlich, so ist seine Zusammensetzung vergleichsweise "normal": Es handelt sich um einen "gewöhnlichen Chondriten".

Weitaus spektakulärer war die Explosion, die sich rund 30 Kilometer über der Millionenstadt ereignete, als der Himmelskörper in mehrere Teile zerbrach. Ihre Druckwelle beschädigte rund 7000 Gebäude in der Region am Ural, zerborstene Fensterscheiben verletzten etwa 1500 Menschen.

Der Lichtblitz der Explosion, also der Meteor, war laut der russischen Forscherin Olga Popowa rund 30-mal heller als die Sonne und löste eine lokale Hitzewelle aus. Tatsächlich klagten zahlreiche Menschen über Hautreizungen im Gesicht - Sonnenbrände, die allerdings nicht durch die Sonne verursacht wurden.

Popowa und andere Forscher eruierten zudem, dass der Brocken aus dem All einen Durchmesser von etwa 19 Metern hatte und ein Originalgewicht von 10.000 Tonnen. Laut ihren Analysen sind mindestens 76 Prozent des Asteroiden bei der gewaltigen Explosion verdampft, deren Energie in etwa einer Explosion von 500 Kilotonnen TNT entsprach oder der von 30 Hiroshima-Atombomben.

Ein weiteres Forscherteam um Jirí Borovicka hat außerdem die Flugbahn des explodierten Himmelskörpers rekonstruiert: Allem Anschein nach war er Teil eines größeren Brockens im All. Der andere Teil ist der Asteroid 86039. Zwar sei dessen Flugbahn ähnlich, doch bestehe keine Gefahr. "Er wird vermutlich im Frühjahr in sicherer Entfernung an der Erde vorbeifliegen."

Der kanadische Forscher Peter Brown warnt in "Nature" dennoch davor, dass sich die Menschheit der Gefahren aus dem Weltall weiterhin nicht genügend bewusst sei. Sogar die meisten Wissenschafter seien sich nicht im Klaren darüber, welch große Schäden bereits ein solch "kleiner" Brocken wie der von Tscheljabinsk anrichten könnte "Derzeit beobachten wir nur etwa 500 Objekte mit einem Durchmesser zwischen zehn und 20 Metern in Erdnähe." Daneben gebe es aber tausende kleinere Himmelskörper, die gefährlich werden könnten. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 7.11.2013)