Foto: STANDARD/Hendrich
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STANDARD: (denkt laut) In welche Richtung legt man das Aufnahmegerät hier am besten?

Oberhuber: In jede Richtung.

STANDARD: Typische Antwort für Sie. Weil Sie sich nie festlegen, jedenfalls nicht als Künstler einer Stilrichtung. Sie haben sich der "permanenten Veränderung" verschrieben.

Oberhuber: Das ist richtig. (lacht)

STANDARD: Nennen Sie sich deshalb einen schwierigen Künstler?

Oberhuber: Ja, das Schwierige liegt daran, dass man mich nicht festsetzen kann. Sammler haben es lieber, wenn etwas immer gleich aussieht. Das wäre mir viel zu fad.

STANDARD: Sie wollten so sehr nie Gruppen angehören. Sie waren auch nicht bei den Wiener Aktionisten dabei.

Oberhuber: Der Aktionismus wird falsch interpretiert. Aktion ist Tätigkeit, wenn Kokoschka mit großen Schwung, als Wilder drauf los gemalt hat, so war das auch eine Form des Aktionismus. In Österreich hat Otto Mühl den Aktionismus bekannt gemacht; aber man darf nicht vergessen, dass er das aus einer Erfolglosigkeit als Künstler heraus getan hat. Günter Brus wiederum hat das französische Informel auf den Körper übertragen, das kann man Malerei nennen oder Aktionismus.

STANDARD: Sie haben zwar nicht dazu gehört, aber dann später in jener Wohnung im Nestroyhof in Wien-Leopoldstadt gewohnt, in der davor die Mühl-Kommune daheim war.

Oberhuber: Ja, das war eine unfassbare Baustelle, als ich da eingezogen bin: das Bad total zertrümmert, die Klos total kaputt, Löcher in den Böden – alles furchtbar. Ich habe das dann alles renoviert.

STANDARD: Als Mühl im Gefängnis saß, haben sie ihn ab und zu besucht. Haben Sie mit ihm über Kunst geredet?

Oberhuber: Auch, ich kannte ihn ja schon lange. Vielleicht habe ich mich zu sehr mit ihm auseinander gesetzt. Es war ja schon sehr fragwürdig, was da geschehen war. Mühl hat ein autoritäres Regime geführt, seine Kommunarden waren Leute, die selbst Probleme hatten – und er betrieb eine falsche Psychologie, die war absolut dilettantisch. Ich habe mir ja öfter Sitzungen von Mühl angeschaut, es war schrecklich. So etwas entsteht, wenn ein Maler plötzlich Tiefenpsychologe wird, ohne zu wissen, worum es dabei geht. Man kann Freud schon lesen, für mich ist er ein guter Schriftsteller, sein Werk liest sich wie ein Roman – aber dass Mühl das so anwandte, wie er es tat, das war ein großer Fehler.

STANDARD: Nach Ihrer ersten Ausstellung, 1952 in Innsbruck, beschrieb man Sie als "kompromisslosen Feuergeist". Sie sind das heute, mit 82, noch ein bisserl, oder?

Oberhuber: Da war ich halt ein Feuergeist. Ob ich das heute noch bin? (Lacht sehr.) Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht bin ich weniger streitsüchtig. Ich habe mich früher oft zu Wort gemeldet, das tue ich nicht mehr. Es meldet sich ja überhaupt keiner mehr.

STANDARD: Wo sind all die Feuergeister unter den Künstlern hin?

Oberhuber: Das frage ich mich auch. Aber es hängt schon auch mit Ämtern zusammen. Als Rektor wurde ich eher gehört, als wenn ich nur Künstler gewesen wäre. Bei Sängern ist es vielleicht anders, denen hört man immer zu.

STANDARD: Apropos Sänger, Sie haben in dieser Saison den Eisernen Vorhang für die Staatsoper gestaltet: 176 Quadratmeter. Ihr größtes Kunstwerk?

Oberhuber: Nein, ich habe noch größere gemacht, Leinwände und Tücher für Bilbao und Gent zum Beispiel.

STANDARD: Sie selbst lieben ja Barockopern. Die hört man in der Staatsoper aber selten.

Oberhuber: Ich liebe vor allem die französische Oper, die bei uns sehr vernachlässigt wird. Die ist inhaltlich lustig, die Musik ist so aufregend, da passiert so vieles - ich sehe gar nicht ein, dass die so wenig gespielt wird. Meine Illustration auf dem Eisernen Vorhang verstehe ich als Notation – ein Musiker oder ein Komponist würde mich dafür vielleicht erschlagen.

Standard: Kommt Ihre Liebe für die französische Oper noch aus der Zeit im von den Franzosen besetzten Tirol, als Sie sich viel im französischen Kulturinstitut in Innsbruck aufhielten?

Oberhuber: Schon auch. Die französische Kunst war aber nach 1945 überhaupt die prägende Kunst. Ohne die französische Kunst und Zuwanderung nach Amerika gäbe es die amerikanische Kunst in ihrer Intensität nicht; das vergessen die Amerikaner gern. Aber es vergessen ja grundsätzlich alle gern, von wem sie beeinflusst wurden. Ich gebe gern zu, dass ich von den Italienern und Franzosen sehr viel profitiert habe, weniger von den Österreichern.

STANDARD: Sie waren zwölf Jahre lang Rektor der Hochschule für Angewandte Kunst. Haben Sie heute nie Lust, sich zu Wort zu melden?

Oberhuber: Oh ja, laufend hätte ich Lust.

STANDARD: Was sagen Sie denn zur Uni- und Wissenschaftspolitik?

Oberhuber: Die gibt es ja nicht. Es war eine Fehlleistung, den Herrn Töchterle als Wissenschaftsminister einzusetzen, mag er auch ein guter Wissenschaftler sein. Früher haben sich Minister an die Künstler gewandt, ob Hertha Firnberg oder Heinz Fischer. Ihnen konnte ich etwas sagen, und sie haben sich mit den Argumenten auseinandergesetzt. Die Betroffenen müssen doch in die Politik miteinbezogen werden; das beobachte ich heute nicht mehr.

STANDARD: Man erzählt, dass man mit Wissenschaftsministerin Firnberg am Opernball tanzen musste, wenn man seine Planposten-Wünsche bei ihr durchsetzen wollte.

Oberhuber: Blödsinn. Ich hab sie nie tanzen gesehen. Und ich hab nie mit ihr getanzt, trotzdem ich sicher einer ihrer Lieblinge war.

STANDARD: Warum denn?

Oberhuber: Weil ich so unkonventionell war.

STANDARD: Unkonventionell war auch, dass Sie 1970 Nazi-Jäger Simon Wiesenthal zum Kunstwerk des Jahres erklärten. Ihre Reaktion darauf, dass er von der SPÖ attackiert wurde, als er Minister mit NS-Vergangenheit von Kreiskys Minderheitsregierung angriff?

Oberhuber: Ja, das hat mich sehr geärgert, und ich wollte in der Öffentlichkeit etwas für Wiesenthal machen, was niemand andrer tut. Ich habe ihn in der Galerie Nächst St. Stephan, die ich führte, als Kunstwerk des Jahres geehrt. Er hat den Preis angenommen.

STANDARD: Blieb aber Ihr einziges Kunstwerk des Jahres.

Oberhuber: Nein, im Jahr darauf wurden die Indianer Kunstwerk des Jahres. Weil die Amerikaner diesen riesigen Völkermord völlig verharmlost haben.

STANDARD: Sie mögen die USA aber. Sie haben in den vergangenen Jahren alle 50 Bundesstaaten bereist ...

Oberhuber: Ich mag die wunderbaren Landschaften in Amerika, diese herrlichen Gegenden, riesigen Abwechslungen: Wüsten, Berge, Flüsse. Ich reise so gern, weil mir Landschaft gefällt, und weil ich mir Museen und Sammlungen und Originale ansehen will. Wenn man die betrachtet, kriegt man einen andren Blick. Ich lerne dabei, so entsteht mein System der Veränderung. Sonst bliebe ich immer bei der gleichen Aussage.

STANDARD: Ihre Lieblingsgegend?

Oberhuber: England, Schottland, wo es kahl ist wie auf der Alm. Gegenden, wo kaum was wächst sind ungeheuer lebendig, unmittelbar. Weil die Gegend ursprünglich ist, und Lebendigkeit hat mit Ursprünglichkeit zu tun.

STANDARD: Sie sagen, Künstler wären die besseren Manager, weil sie "anders und neu denken". Wie denn?

Oberhuber: Sie sind schöpferischer, ihre Gedanken breiter und weiter. Wären gute Manager, vorausgesetzt, sie sind g'scheit. Aber ein guter Künstler ist auch intelligent.

STANDARD: Sicher gibt es auch dumme Künstler.

Oberhuber: Sicher, eine ganze Menge. (lacht)

STANDARD: Kann ein dummer Künstler ein guter Künstler sein?

Oberhuber: Die Dummen sind meistens nicht gut. Aber es gibt sehr viele dumme Künstler, die sehr geschäftstüchtig sind.

STANDARD: Nennen Sie einen?

Oberhuber: Nein, das tu ich nicht.

STANDARD: Vielleicht einen, der eh schon gestorben ist?

Oberhuber: (lacht) Nein, auch keinen Verstorbenen.

STANDARD: Weil wir vom Managen reden: Sie wurden 2001 wegen der falschen Verwendung von 400.000 Schilling aus der Adlmüller-Stiftung in der Akademie wegen Untreue verurteilt; zudem haben Sie damals den Prozess rund um die Beuys-Werke verloren. Rund um Ihre strafrechtliche Verurteilung haben Sie gemeint, Sie erwarten eine Entschuldigung von der Akademie. Warum?

Oberhuber: Von der Schule erwarte ich mir schon eine Entschuldigung. Ich habe von dem Geld ja nichts für mich verbraten, sondern das blieb in der Akademie, und ich habe der Schule sehr viele meiner Werke geschenkt. Ich stehe zu meinem Fehler – aber verstehe nicht, dass die nicht sagen können: Es tut auch uns leid.

STANDARD: Kränkt Sie das?

Oberhuber: Ja, eigentlich schon. Ich bin immer noch sehr betroffen. Ich finde das Verhalten der Universität einfach kleinlich, aber vielleicht bin ich auch kleinlich. Ich geb's ja zu.

STANDARD: Sie sagen, die unbegrenzten Möglichkeiten reizen Sie an der Kunst. Haben Sie wirklich keine Grenzen?

Oberhuber: Ein Künstler ist unbegrenzt, weil er keinem Gesetz unterliegt. Sie können Gesetze schaffen, wie Mondrian, der sagte, es gibt nur drei oder vier Farben, keine Zwischentöne. Aber sonst ist alles unbegrenzt, Künstler können machen, was sie wollen. Auf dem Papier jedenfalls – schwierig wird es nur, wenn sie es übertragen müssen. Ein Architekt hat es schwerer. Mich interessiert ja auch Architektur sehr; die Skulptur ist ja ein wichtiges Element in meiner Arbeit.

STANDARD: In Ihrer ersten Ausstellung war Ihre Skulptur "Die Sitzende" zu sehen. Als die in die Wochenschau kam, lachte das ganze Kino, Sie auch. Was war so lustig?

Oberhuber: Damals war das unerträglich für die Leute, man hat ja niemanden sitzen gesehen. Ich habe die Skulptur aufgelöst, ging weg von der Masse als Skulptur zur Skulptur ohne Masse, einer, die flach ist, in der die Räumlichkeit sich anders definiert. Die ging sehr stark ins Malerische über.

STANDARD: Hat Sie das Auslachen nicht gekränkt?

Oberhuber: Nein, ich war sogar stolz. Ich fand es interessant, wie die Leute reagieren. Ich bin halt aufgefallen.

STANDARD: Das taten Sie schon mit 15 in der Gewerbeschule.

Oberhuber: Ja, als einer, der immer seinen Mund offen gehabt hat. Ich war immer aufmüpfig.

STANDARD: Daheim auch? Ihr Vater war ähnlich schwer einzuordnen wie Sie. Kam aus einer Lebensmittelhändler-Familie in Meran, war Kaffeehaus- und Varietébesitzer und nach der Aussiedlung nach Innsbruck 1940 Finanzbeamter.

Oberhuber: Daheim musst ich nicht aufbegehren. Ich bin großzügig und liberal erzogen worden.

STANDARD: Ihrer Mutter gefiel Ihre Berufswahl, Ihrem Vater weniger.

Oberhuber: Er hat gemeint: Wenn du den Blödsinn machst, musst du die Konsequenz tragen und davon leben. Aber ich hab eh immer gearbeitet.

STANDARD: Als Bestatter etwa.

Oberhuber: (lacht) Ja, auch. Ich habe die Särge hergerichtet, Leichenpässe verschafft, ich war der, der für alles zuständig war.

STANDARD: Auch Leichen brauchen Pässe?

Oberhuber: Ja, wenn sie verschickt werden. Es kann ja ein Berliner in Wien sterben, aber in Berlin begraben werden.

STANDARD: Die Särge haben Sie gleich künstlerisch bearbeitet?

Oberhuber: Nein. Da gab es Särge erster, zweiter, dritter Klasse. Die Unterschiede wurden eingehalten.

STANDARD: Ihr erster Käufer war Paul Flora, kaufte eine Skulptur. Um wie viel? Heute kostet ein Oberhuber schon einmal 50.000 Euro.

Oberhuber: Er hat den "Fliegenden Kuss" gekauft. An den Preis erinnere ich mich nicht, aber das ist auch gleich. Auf den Preis kommt's oft nicht an. Einen Gerhard Richter um 100 Millionen kaufen? Da muss ich lachen. Ich würde nur Künstler kaufen, die hohe Qualität haben, aber keinen Preis. Das macht Sinn, so erzielt man später auch preisliche Erfolge. Es gibt so und so viele Künstler, die es verdienten, dass man sie kauft, die günstig im Preis sind und Qualität haben. Mit 100 Millionen richte ich Ihnen ein Museum ein, von hoher Qualität.

STANDARD: Weil wir bei Qualität sind: Durch seine Fähigkeiten wird ein Künstler aber schon begrenzt?

Oberhuber: Ja, man muss seine eigenen Möglichkeiten kennen. Und zur Erkenntnis kommen können: Ich werd lieber Galerist, Grafiker, Musiker, oder ich mach ein Wirtshaus auf und werde Koch. Das hat ja auch mit Kunst zu tun.

STANDARD: Bei Daniel Spoerri und seiner Eat Art jedenfalls. Ihn haben Sie, wie Jil Sander oder Karl Lagerfeld, als Gastprofessor geholt.

Oberhuber: Ja, viele große Namen.

STANDARD: Wo sind Ihre Grenzen?

Oberhuber: Ich höre auf, wenn ich sehe, dass mir etwas nicht gelingt. Aber mit der Zeit hat man solche Erfahrungen, dass eigentlich nichts schief gehen kann.

STANDARD: Schrecklich.

Oberhuber: Aber das ist das Grenzenlose! Sie wollten doch wissen, wo die unbegrenzten Möglichkeiten sind: Die liegen dort, wo man immer noch weiß, man beherrscht die Grenzenlosigkeit.

STANDARD: Als Künstler müsse man sich selbst auslöschen, so bleibe man lebendig, sagen Sie. Wie kann man sich permanent auslöschen, ohne daran zu Grunde zu gehen?

Oberhuber: Indem man Pausen einlegt. Man muss lernen, dass es Perioden der Unfähigkeit gibt, und man darin nicht stecken bleibt.

STANDARD: Waren Sie je unzufrieden mit Ihrer Arbeit?

Oberhuber: Ja, wenn ich sie nicht verstanden habe. Das passiert, wenn Künstler in eine Umbruchphase geraten; da werfen sie auch gern was weg, da wird viel Kunst vernichtet durch momentane Unzufriedenheit. Ich hab meine Arbeiten dann nur weggesperrt – wenn ich sie ein paar Jahre später wieder hervorgeholt hab, war ich froh drüber. Da habe ich begriffen, was in diesen Werken steckt.

STANDARD: Sie schreiben: "Politiker müssen lügen." Künstler nicht?

Oberhuber: Politiker müssen lügen, weil sie nie wissen, wo die Wahrheit steckt. Künstler wissen das auch nicht, aber sie behaupten nicht, die Wahrheit zu sagen.

STANDARD: Suchen Sie Wahrheit?

Oberhuber: Die Wahrheit ergibt sich aus den einzelnen Arbeiten. Wenn eine vollendet ist, wenn man sagt: "Jetzt ist's fertig", dann zeichnet sich die Wahrheit ab.

STANDARD: Wann ist's fertig?

Oberhuber: Plötzlich.

STANDARD: Passt zur letzten Frage. Worum geht's im Leben?

Oberhuber: (lacht) Es geht um eine glückliche Zuneigung. Darum, dass man sich mit einem Menschen gut versteht. (Renate Graber, 23.11.2013)