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Der Genuss des Podests.

Foto: apa/solero

Wien/Antholz - Der 26-jährige Johannes Dürr legt Wert darauf, weder "ein Sonderling" noch "ein Ungustl" zu sein. Skilangläufer können durchaus mit sich und der Welt im Reinen sein. Sie suchen nicht die Einsamkeit des Waldes, um dort stundenlang im Schnee Spuren zu ziehen und der Kommunikation zu entfliehen. "Ich bin maximal ein verrückter Hund. Es ist nicht immer lustig, aber es zahlt sich aus." Spitzensportler müssten zudem nicht über Leichen gehen. "Sie müssen nur wissen, was sie selbst wollen."

Der Tag danach. Dürr war in der Früh in der Loipe, die Drei Könige schliefen noch. Kreislauf und Stoffwechsel lechzten nach Beschäftigung. "Es ist wichtig, weiterzutrainieren, damit du in kein kleines Loch fällst." In Bälde wird Dürr "ein paar Tage regenerieren". Um in kein großes Loch zu fallen, denn die Olympischen Spiele in Sotschi nahen. Dürr hat die 30 und die 50 Kilometer eingeplant.

Nach Anregung des Stoffwechsels hat er den Sonntag Revue passieren lassen. Den brutalen Anstieg in Val di Fiemme (bis zu 28 Prozent), das Schneetreiben während der letzten Etappe der Tour de Ski. Für Langläufer ist diese Veranstaltung quasi die Vierschanzentournee, allerdings besteht sie aus sieben Etappen. Dürr nahm den letzten Teil als Fünfter in Angriff. Er lief und lief, schnappte sich den Vierten und den Dritten, den gewaltigen Petter Northug. Nur dessen norwegische Landsleute Martin Sundby und Chris Jespersen hatten nichts zu befürchten. Weil Dürr die Folter über neun Kilometer als Schnellster absolvierte, feierte er seinen ersten Weltcupsieg.

Über Nacht hat sich die Gefühlslage kaum geändert. "Genuss pur, enorme Freude." Wie er es geschafft hat? "Es gibt einen Mechanismus, der von den Schmerzen ablenkt. Ich habe mir gedacht, schau ja nicht rauf, sonst bist du geschockt, wie steil das ist. Kopf runter und renn einfach." Das Preisgeld von 30.000 Schweizer Franken sei ein netter Nebeneffekt. "Bisher habe ich es fast zum Nulltarif gemacht. Aber ich habe es gerne gemacht."

Dürr stammt aus Göstling. Der Ort liegt in Niederösterreich und an der Ybbs. Kathrin Zettel und Thomas Sykora kommen auch von dort, also kann Dürr kein Zufall sein. "Der Skiklub hier ist sehr aktiv, Göstling lebt für den Sport." Dürr, er hat sieben Geschwister, überlegte kurz, Fußballer zu werden. Er kann mit einem Probetraining bei Rapid dienen. "Aber ich hab dann im Langlauf meine Familie gefunden. Ich bin süchtig nach Harmonie, das Umfeld ist ideal. Ich konnte jetzt einiges zurückgeben." Den Serviceleuten, den Trainern, allen voran Chefcoach Gerald Heigl. Dürr: "Trainer sind wesentliche Berater und Begleiter. Aber im Endeffekt liegt der Schlüssel in der Selbstverantwortung. Ich bin seit 13 Jahren bereit, 24 Stunden pro Tag alles zu tun."

Er lebt in Antholz, Südtirol. Das hat mit der Herkunft seiner Frau zu tun. "Die Trainingsbedingungen sind ideal. Das ist ein Nebeneffekt. Ich habe meine Frau nämlich nicht nach geografischen Kriterien ausgewählt." Sohn Noah ist neun Monate alt. "Er hat nach meinem Erfolg gelacht."

Dürr kennt die Geschichte des österreichischen Langlaufs, das Doping, die Razzien während der Spiele 2006 in Turin. "Der Sport war tot, man musste sich fast genieren, Langläufer zu sein. Für mich war das aber alles weit weg, ich war jung." Dürr weiß, dass Ausdauerathleten generell Verdächtigungen ausgesetzt sind. "Ich sehe mich als Teil eines neuen Werks, stehe für einen sauberen Weg. Ich wäre doch ein Depp, würde ich alles aufs Spiel setzen. Ich habe ja noch viel vor." (Christian Hackl - DER STANDARD, 7.1. 2014)