Schnee, nicht Wasser - Seekrankheit und Skikrankheit ähneln sich.

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Zuerst war da der Sturz, dann dieser schreckliche Moment: "Achtung, Lawine!", schrie Bergführer Kurt Stauder, um jene Kundin zu warnen, mit der er unterwegs durch die Südtiroler Berge war. Allein: Eine Lawine konnte diese weit und breit nicht erkennen. Stauder war verwirrt, wenige Minuten später trat ein ähnliches Gefühl noch einmal auf. "Diesmal schien sich der Hang unter mir zu bewegen, ich verlor die Orientierung," erinnert er sich an ein Gefühl, das einer Gleichgewichtsstörung ähnelte.

Keine Folge von Jagatee

Was sich nach zu viel Jagatee anhört, lässt sich wissenschaftlich erklären: "Wir nennen es Skikrankheit, ein häufiges Phänomen", sagt Martin Burtscher, ehemaliger Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin. "Es ist lästig, aber als Krankheit harmlos."

Das Phänomen Skikrankheit wurde erstmals 1995 vom Schweizer Mediziner Rudolf Häusler beschrieben. Er hatte das Gefühl, Schnee gleite an ihm vorbei mit gleichzeitig auftretender Übelkeit, selbst erlebt. Es erinnerte ihn an die Seekrankheit. Er wurde hellhörig. "Ich war erstaunt, wie viele Menschen ähnliche Beschwerden spürten, es aber immer auf zu viel Alkohol oder verdorbenes Essen in der Hütte zurückführten", sagt der ehemalige Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik am Inselspital Bern.

Typische Symptome

Die Symptome sind stets gleich: Der Berg scheint zu schwanken wie ein Schiff, Schneemassen schieben sich neben oder unter dem Skifahrer vorbei, in einigen Fällen kommt Schwindel, Übelkeit und Erbrechen dazu. Meist tritt die Skikrankheit bei schlechter Sicht auf, dann, wenn sich die Pisten kaum vom weißen Himmel unterscheiden lassen.

"Skikrank ist wie reisekrank in den Bergen", sagt Roland Laszig, Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Klinik an der Uni Freiburg im Breisgau. "Die drei Bewegungsmeldesysteme des Körpers müssen widersprüchliche Informationen im Hirn verarbeiten und reagieren mit Schwindel und Übelkeit." So nimmt das Gleichgewichtsorgan im Innenohr zwar die Schwünge des Skifahrers wahr, die Augen hingegen melden wegen schlechter Sicht Stillstand. "Hinzu kommt, dass unser drittes Bewegungsmeldungssystem, die Sensoren auf der Haut und in Gelenken, durch Skischuhe und dicke Kleidung quasi gedämpft ist", erklärt Laszig. "So kann es weniger Informationen ans Hirn liefern."

Unabhängig vom Meeresspiegel

Mit der viel schlimmeren Höhenkrankheit, bei der es auch zu Übelkeit und Erbrechen kommen kann, hat die Skikrankheit allerdings nichts zu tun, präzisiert Alpinspezialist Burtscher. "Höhenkrank wird man erst in Höhen von über 3.000 Metern", sagt er, "die Skikrankheit tritt aber unabhängig von der Höhe auf."

Statistik gibt es zum Phänomen der Skikrankheit nicht. "Milde Symptome mit Unsicherheit und leichter Orientierungslosigkeit erleben viele bei schlechter Sicht", sagt Burtscher, "aber die meisten können sich rasch darauf einstellen." Rudolf Häusler hat eine Umfrage unter Studierenden gemacht und herausgefunden, dass zwischen zehn und zwanzig Prozent Symptome von Skikrankheit schon erlebt haben.

In einer Studie von Wissenschaftern des Sportmedizinischen Forschungszentrums in Teheran gibt es zwischen 3,6 und 16,5 Prozent Betroffene. Die Forscher haben herausgefunden, dass jugendliche Skifahrer mit Kurz- oder Weitsichtigkeit oder Hornhautverkrümmung viermal so häufig unter der Skikrankheit leiden. Das hat auch Häusler beobachtet. "Selbst kleine Sehprobleme enthalten den Augen wichtige Informationen vor", sagt er.

Zurück zur Normalität

Für alle, die es erwischt, hat Höhenmediziner Burtscher ganz handfeste Ratschläge. "Am besten sucht man sich dann einen Punkt und fixiert den Blick darauf, das kann ein Baum oder ein Felsen sein", sagt er, und wenn das nicht hilft, müsse man halt die Ski abschnallen.

Jene, die sich deshalb das Skifahren nicht vermiesen lassen wollen, könnten sich mit Medikamenten gegen Reiseübelkeit helfen, etwa mit Cinnarizin, Dimenhydrinat oder Scopolamin. Doch Häusler warnt vor diversen Nebenwirkungen. Bei Scopolamin ist die Sicht beeinträchtigt, andere verursachen Schläfrigkeit, Kopfweh, Bauchschmerzen manchmal sogar Halluzinationen und Bewegungsstörungen, "alles eher blöd auf der Piste", sagt Laszig und empfiehlt, bei schlechter Sicht zu Hause bleiben. Das könne auch gemütlich sein. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 28.1.2014)