Galilei, verstoßen und vergöttert: bei der Inquisition, ein in einem Museum ausgestellter Finger des Physikers und seine Notizen zum Jupiter.

Collage: Korn

Es war der Sidereus Nuncius, der "Sternenbote", in dem Galileo Galilei 1610 einige seiner bekanntesten Entdeckungen publizierte. Seine Beobachtung von vier Monden des Jupiter, den Galileischen Monden, ist darin erstmals beschrieben. Oder die Entdeckung, dass die Oberfläche des Mondes nicht, wie man bis dahin annahm, perfekt glatt, sondern von Kratern und Erhebungen übersät ist. Um Letzteres zu verdeutlichen enthält das Buch auch noch fünf Abbildungen des Mondes in verschiedenen Phasen. An der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit konnte Galilei durch sein Teleskop deutlich die verräterischen Schattenwürfe der Unebenheiten erkennen.

Im Jahr 2005 tauchte plötzlich ein ganz besonderes Exemplar des "Sternenboten" auf, das sich vor allem in einer Hinsicht von den anderen unterschied: Wo normalerweise Radierungen mit den Abbildungen des Mondes zu finden sind, waren es in hier handgemalte Aquarelle, vermutlich aus der Hand Galileis.

Galilei, der Künstler

Horst Bredekamp, renommierter Kunsthistoriker an der Humboldt Universität zu Berlin, war beim Anblick der Zeichnungen wie elektrisiert. Perfekt fügten sie sich in seine Theorie, der zufolge das künstlerische Gestalten für die wissenschaftliche Erkenntnis förderlich sei. Ebenso perfekt passten sie zu seinem in Arbeit befindlichen Buch Galilei, der Künstler, das die kreative Seite Galileis beleuchtete.

Bredekamp nahm die neuen Abbildungen als zentrales Kapitel in sein Buch auf. Außerdem scharte er eine internationale Gruppe von Forschern um sich, die den Sidereus Nuncius bis ins kleinste Detail analysierte und ihre Ergebnisse schließlich in zwei englischsprachigen Sammelbänden mit dem Titel Galileo's O publizierte. Ihrer Annahme zufolge diente das Buch als Vorlage für den Druck der anderen Exemplare und ist somit einzigartig. In den Druckfahnen befanden sich anstelle der Abbildungen leere Flächen, die Galileo eigenhändig mit den Aquarellen befüllt habe.

Noch während ihrer Arbeit häuften sich jedoch die Hinweise darauf, dass etwas faul war. Mehrere sehr seltene Bücher waren plötzlich bei Auktionen aufgetaucht, viele von ihnen zeigten Ähnlichkeiten mit dem Sidereus Nuncius, und vor allem ließen sie sich alle auf einen Mann zurückführen: den Italiener Marino Massimo De Caro, den ehemaligen Direktor der Biblioteca dei Girolamini in Neapel.

Der Fälscher als Spieler

De Caro, Studienabbrecher und großer Bewunderer Galileis, wurde beschuldigt, unzählige wertvolle Bücher aus der Bibliothek entwendet zu haben. Im Mai 2012 wurde er festgenommen und ein Jahr später wegen Veruntreuung zu sieben Jahren Haft verurteilt. Über 2000 gestohlene Bücher hatte die italienische Polizei beschlagnahmt, noch viele weitere könnte er bereits verkauft haben. Auch die Fälschung des Sidereus Nuncius hat er mittlerweile gestanden. Er habe als Autoditakt mit den Akademikern spielen wollen, erzählt er dem New Yorker. Eine bloße Fälschung war ihm nicht genug, er habe etwas Neues schaffen wollen.

Rückblick und Aufarbeitung

Es stellt sich freilich die Frage, wie es ihm gelingen konnte, die Forscher so lange zum Narren zu halten. "Es handelt sich um eine der perfektesten Fälschungen überhaupt", sagt Manfred Mayer von der Universitätsbibliothek Graz zum Standard. Mayer hat für den ersten Band von Galileo's O einen Aufsatz geschrieben, in dem er das neue Buch dem zweifellos echten Exemplar der Universitätsbibliothek Graz gegenüberstellte. Dieses diente dabei als Referenz für einen drucktechnischen Vergleich. "Natürlich hat es Unterschiede gegeben", sagt er. Das sei aber auch kein Wunder, "denn man weiß heute, dass während des Druckprozesses immer wieder Verbesserungen vorgenommen und Fehler korrigiert wurden". Dass es sich um ein Meisterwerk der Fälschung gehandelt hat, attestiert auch Bredekamp. Allein das Papier herzustellen muss ein enormer Aufwand gewesen sein, sagt er. "Die Materialien, die Schöpftechnik, die Wasserzeichen, alles war täuschend echt."

Im De-Gruyter-Verlag erscheint nun am 14. Februar das dritte und abschließende Werk aus der Reihe Galileo's O, ein Buch, das insofern ohne Vorbild ist, als darin die Forschergruppe um Bredekamp ihre eigenen Fehler korrigiert und die Chronologie der Ereignisse aufarbeitet. A Galileo Forgery - Unmasking the New York Sidereus Nuncius ist ein Buch über die Methoden der modernen Fälscher sowie ein Psychogramm der Täter und somit wissenschaftliche Analyse und Krimi zugleich.

Bredekamp ist trotz des herben Rückschlages unbeirrt. Die Frage, ob seine Theorie zur Bedeutung der Kunst für die wissenschaftliche Erkenntnis nach wie vor gültig sei, beantwortet Bredekamp dem Standard mit einem klaren "Ja, zu 100 Prozent. Galilei hat eine Künstlerausbildung genossen, das ist eine Tatsache. Nur so konnte er sofort die Unebenheiten des Mondes erkennen. Das gelingt nur dem Auge des Künstlers." (Elisabeth Guggenberger, DER STANDARD, 12.2.2014)