"Mit Esperanto kann man die Welt aus einer anderen Sicht kennenlernen. Es ist eben eine neutrale Brückensprache", sagt der Esperanto-Lehrer Walter Klag.

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Der Landwirt, Journalist und Esperanto-Lehrer Walter Klag gibt im Gespräch mit daStandard.at Einblicke in die Welt der Esperanto-Sprachgemeinschaft. Das Gespräch fand im Café Schopenhauer im 18. Wiener Gemeindebezirk statt, wo sich Esperanto-Lernende regelmäßig treffen.

daStandard.at: Wie sind Sie zu Esperanto gekommen?

Klag: Ich habe in einem Kaffeehaus eine Broschüre gefunden, "Freude durch Esperanto". Zuerst habe ich gedacht, das kann doch nicht funktionieren, weil es nur Regeln und keine Ausnahmen gibt. In der Schule hatte ich ja gelernt, dass Sprachen immer Ausnahmen haben.

daStandard.at: Wie alt waren Sie damals?

Klag: Ich war 30 Jahre alt.

daStandard.at: Und wie haben Sie die Sprache dann gelernt?

Klag: Der nächste Schritt war, die Sprache mit einem Lehrbuch zu lernen. Das habe ich einen Sommer lang getan. Dann habe ich gedacht, Reden muss ich noch üben, und habe einen Kurs an der Pädagogischen Akademie besucht, und nach etwa zehn Lektionen konnte ich sprechen. Mein Vater und meine Frau haben ebenfalls Esperanto gelernt.

daStandard.at: Sprechen Sie mit Ihren Kindern Esperanto?

Klag: Ja. Meine Tochter kam 1985 zur Welt, und später mein Sohn. Ich habe mich gefragt, wie das funktioniert, wenn ich mit ihnen Esperanto spreche. Ich habe mit ihnen immer Esperanto gesprochen, meine Frau Deutsch. Das ist ganz normal und natürlich.

daStandard.at: Für Sie ist Esperanto also Familiensprache und für Ihre Kinder eine ganz natürliche Sprache?

Klag: Ja, ganz normal. Esperanto ist zwar eine Plansprache, weil die Keimzelle von einer Person stammt, aber der Begründer Ludwik Zamenhof hat gesagt, ich mache nur die Keimzelle, die Sprachgemeinschaft soll die Sprache selbst weiterentwickeln. Bei der Plansprache Volapük war es anders. Der Erfinder Johann Martin Schleyer, ein deutscher Pfarrer, hat Volapük erfunden und gesagt, nur ich darf etwas ändern oder hinzufügen. Die Volapük-Sprecher mussten dann immer dorthin schreiben und nachfragen. An sich ist Volapük genial, aber es ist schwerer zu erlernen als Esperanto.

daStandard.at: Sie haben Esperanto also an Ihre Kinder weitergegeben. Ist das eine gängige Praxis?

Klag: Ja, das hat in den 80er-Jahren begonnen. Es gibt zwei Arten, wie Esperanto sich verbreitet: im Rahmen von Sprachkursen, wo meistens Ältere die Sprache an Jüngere weitergeben, oder eben in der Familie.

daStandard.at: Ändert sich Esperanto, wie sich auch die Nationalsprachen laufend ändern?

Klag: Ja, die Sprache entwickelt sich weiter. Es wurden auch kleine Änderungen an der Grammatik vorgenommen.

daStandard.at: Wie kann man sich das vorstellen, Leben mit Esperanto? Wie sieht die gelebte Sprachpraxis aus?

Klag: Man kann es unterschiedlich leben. Es gibt Menschen, die perfekt Esperanto sprechen, aber sich nicht aktiv einbringen wollen. Man kann auf Kongresse fahren, auf Esperanto korrespondieren, die Sprache zu Hause pflegen ...

daStandard.at: Worum geht es bei den Kongressen?

Klag: Es gibt Universalkongresse, wo alle möglichen Fachgebiete abgedeckt werden. Es gibt auch Fachgruppen, ich bin beispielsweise in der Vereinigung der esperantistischen Journalisten. Das heißt, Esperanto wird verwendet, um sich inhaltlich auszutauschen. Und dann gibt es auch Sprachgruppen, die sich mit der Sprache selbst auseinandersetzen. Und vieles spielt sich im Internet ab. 

daStandard.at: Hat das Internet viel verändert für die Esperanto-Sprachgemeinschaft?

Klag: Ja, sehr viel. Früher musste man lange auf eine Antwort warten, heute bekommt man am selben Tag eine Antwortmail. Als ich Esperanto gelernt habe, konnten viele noch nicht so frisch von der Leber weg Esperanto sprechen, auf den Kongressen haben die meisten ihre Vorträge heruntergelesen. Heute ist es anders, es ist eine Sprache, die flüssig und natürlich gesprochen wird. Man hört gar nicht mehr heraus, dass es eine Plansprache ist.

daStandard.at: Was ist anders, wenn Sie beispielsweise mit einem Chinesen Esperanto sprechen und nicht etwa Englisch?

Klag: Ich habe durch Esperanto mehr Menschen kennengelernt als durch alle anderen Sprachen, die ich in der Schule gelernt habe. Ich habe Französisch, Latein und Englisch gelernt, aber es war immer mühsam, sich auszudrücken. Und dann war plötzlich eine Sprache da, wo es leicht ging. Wenn ich jemanden in China treffe, der Englisch spricht, funktioniert das auch irgendwie, aber es ist nichts Besonderes, und es ist mühsam. Wenn dagegen beide Esperanto sprechen, ist es eine Kommunikation auf Augenhöhe. Wenn ich mit einem englischen Muttersprachler Englisch spreche, ist das nicht auf Augenhöhe. Aber auf Esperanto eben schon.

daStandard.at: Es gibt auch ins Esperanto übersetzte Literatur. Haben Sie das Gefühl, dass da möglicherweise etwas verlorengeht?

Klag: Nein, man kann auf Esperanto alles ausdrücken. Ich kann Gefühle genauso auf Esperanto ausdrücken wie auf Deutsch. Im Prinzip ist es keine künstliche Sprache, denn sie entwickelt sich auf eine natürliche Weise weiter. Auf der anderen Seite muss man sagen, auch Hochdeutsch ist letzten Endes eine geplante Sprache.

daStandard.at: Warum würden Sie jungen Menschen empfehlen, Esperanto zu lernen?

Klag: Mit Esperanto kann man die Welt aus einer anderen Sicht kennenlernen. Es ist eben eine neutrale Brückensprache. Esperanto hebt die Hierarchie der Sprachen auf. (Mascha Dabić, daStandard.at, 6.3.2014)