Juergen Teller: "Modefotografie mache ich immer noch sehr gern. Kunst und Mode ist für mich absolut gleichwertig."

Foto: Juergen Teller

Selbst fotografieren wollte Juergen Teller in Wien zwar nicht, aber er ist persönlich an diesen Motiven vorübergegangen!

Foto: CHristian Schachinger
Foto: CHristian Schachinger
Foto: CHristian Schachinger
Foto: CHristian Schachinger

Die Gegend, durch die wir spazieren, mag nicht die beste sein. Im Schatten des alten Wiener Südbahnhofs auf der Favoritner Seite nahe des Reumannplatzes stapft Juergen Teller nicht sonderlich ambitioniert durch die Straßen rund um die in Kunstkreisen hochhippe Anker-Brotfabrik. Am Abend wird er dort eine Gemeinschaftsausstellung seiner Werke und aktueller Fotografien des dank Bondage-Fotos berüchtigten japanischen Kollegen Nobuyoshi Araki eröffnen: Araki Teller Teller Araki.

Die Vorstadt wirkt zwischen türkischen Friseuren, Fußpflege, Brautmodegeschäften, Tagestrinkertreffpunkten und Imbissbuden mit Schwerpunkt Gammelfleisch und Pommes ziemlich abgerockt. Nicht einmal Krawall-Sprayer Puber hat hier seine Spuren hinterlassen. Dafür sehen wir das angerostete Firmenfahrzeug der "Vienna Ghosthunters (Verein für paranormale Untersuchungen)". Und es begegnet uns ein Bub im Vorschulalter. 

Superman-Kostüm

Er trägt ein Superman-Kostüm. Teller fotografiert im Wesentlichen nie, also nur, wenn er muss. Entweder ihm fehlt der Antrieb, oder er vergisst blöderweise darauf. Teller sagt: "Den Jungen hätte ich vielleicht fotografiert." Mit Handy fotografiert er allerdings gar nicht: "Meine Frau macht mit dem Ding bessere Fotos. Ich weiß nicht, woran es liegt, ich bin deswegen auch ziemlich sauer."

Aus dem Plan, billig zu Fotos des Weltstars zu kommen, wird wohl nichts werden. Es riecht nicht nur nach Teerarbeiten auf der Quellenstraße und Fritierfett aus dem geschlossenen "Feinschmecker-Kebap". Juergen Teller hat auch den Braten gerochen. Er sieht beim Gehen meist auf seine Schuhe. Teller hat empfindliche Augen, das Sonnenlicht nervt. Die Hitze ist trotz der Jahreszeit okay. 

Freundlich, zurückhaltend, wortkarg

Wenn man in London lebt, weiß man schönes Wetter zu schätzen. Juergen Teller bleibt freundlich, zurückhaltend, wortkarg. Gestern hat seine Fußballmannschaft FC Bayern München in einem irgendwie wichtigen Spiel gegen Dings verloren. Der Mann ist fix und fertig. Die Gesprächspausen sind lang. Juergen Teller leiht sich dankbar die Sonnenbrille aus. Jetzt geht es besser. Das Leben geht weiter.

Mit Modefotografie ist der 50-Jährige vor 20 Jahren berühmt geworden. Große Stars, nackte Haut, ungeschönte, überbelichtete Gesichter, viel Mumu und Pimmel, rote Augen. Wie viel Hässlichkeit verträgt der schöne Schein? Warum zeigt man die Krampfadern von Schneewittchen?

Das war in der Fashion-World ein Schock. So fotografiert man nicht! Eben doch! Dazu kam die Kunst. Und seine Mutter Irene. Berühmt sein Foto, in dem Mutter von einem ausgestopften Krokodil gefressen wird. Berühmt auch sein Selfie nackt am Grab des trinkenden Vaters mit Zigarette und Bier in der Hand. Zwischen schonungslos und grausam bestehen wenige Unterschiede.

Im deutschen Wald

In Wien zeigt Teller bekannte Arbeiten. Die sind für einen Familienausflug zur Kunst nicht immer geeignet. Die ebenfalls zu sehende Serie "Irene im Wald" von 2012 dafür schon. Juergen Teller will nicht länger Fotos machen, er will "Geschichten erzählen". Das mag etwas irritierend sein, immerhin brüllt einem aus einem Foto Tellers immer eine Geschichte entgegen. Vielleicht meint er aber einfach auch, dass er subtiler werden möchte. Keine mit Reitgerten versohlten Hintern mehr, dafür deutscher Wald im deutschen Licht und in gedeckten Farben. Der geliebte Spielplatz seiner Kindheit bei Erlangen - mit Mutter Irene dabei.

Juergen Teller macht vor der Auslage eines hier in der Umgebung grotesk wirkenden Modelleisenbahngeschäfts halt: "Binnen 2 Tagen einen Berg oder eine Landschaft bauen!" Fotografieren bedeutet nicht nur Welt ablichten, sondern Welt erschaffen. Wie muss man sich Juergen Teller bei der Arbeit vorstellen? Teller verrät jetzt ein Geheimnis. Er geht weiter und bleibt vor einem Geschäft stehen, das für 15 Euro Hoodies von der Stange anbietet. Juergen Teller berührt mitten im violetten Austria-Wien-Bezirk Favoriten einen rapidgrünen Ladenhüter: "Man kann beim Fotografieren sagen: Genau so muss es sein! Das muss aber nicht sein. Es geht auch anders."

Kunst und Mode

Juergen Teller gibt einem in einem Hauseingang sitzenden Bettler Geld: "Modefotografie mache ich immer noch sehr gern. Kunst und Mode ist für mich absolut gleichwertig. Ohne die Modesachen würde ich auch nicht so viel rumkommen. Es ist doch toll, wenn man bekannt ist und eine ganze Nacht lang Charlotte Rampling nackt im Pariser Louvre fotografieren kann - und niemand sonst ist im Gebäude."

Der Druck, der auf Modeproduktionen liegt, weil wenig Zeit, aber sehr viel Geld und Leute dahinterstehen, ist ertragbar. Juergen Teller sagt: "Ein Modelabel will seine Sachen im rechten Licht sehen. Man soll zumindest erkennen, um was es im Foto geht. Die eigentliche Arbeit geht meist ganz schnell. Ich mach da nicht viel rum. Oft plant man etwas, und dann merkt man, dass das Model, das man gebucht hat, wider Erwarten vielleicht doch lustiger ist, als man dachte. Dann fotografiert man halt spontan oder in einer Rauchpause auf dem Sofa."

Seltsame Gegend

Juergen Teller raucht. Er sagt: "Das ist aber eine seltsame Gegend, durch die wir da gehen. Hier war ich in Wien noch nie." Vor einiger Zeit wurde ihm angeboten, bei Heidi Klums Fernsehshow Germany's Next Top Model mitzumachen: "Die mag ich nicht. Ich habe abgelehnt. Das hat mit Mode nichts zu tun, und die Fotografen, die da mitmachen, sind ja gar keine Fotografen. Niemand kennt die. Das ist ein Kasperletheater. Aber manchmal ist das schon richtig gut."

Wir sind beim Amalienbad angekommen - eine Festung, mitten in Wien. Sie stammt aus einer Zeit, in der es noch Arbeiter und Sozialisten gab. Das findet Jürgen Teller nun fast interessant. Er muss jetzt aber weiter und gibt die Sonnenbrille zurück. Juergen Teller behält solche Sachen im Auge. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 11.4.2014)