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Ein Chemielehrer, der in das Drogengeschäft einsteigt: Crystal Meth im Fernsehen.

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Inhalt eines Fernsehabends: Der unterbezahlte krebskranke Chemielehrer Walter White produziert in einem Wohnwagen irgendwo in New Mexico Crystal Meth, um sich damit seine Therapie zu finanzieren. Die Kristalle, die – geschnupft, geraucht, injiziert oder oral eingenommen – Hunger, Müdigkeit und Schmerz vergessen lassen und extrem euphorisierend wirken, werden von einem ehemaligen Schüler verkauft. Schnell wird das Duo in der Drogenszene für die Qualität seines Produkts bekannt, verdient damit Millionen und driftet immer weiter in die Kriminalität ab.

Fast genauso dramatisch wie die TV-Serie "Breaking Bad" ist aber für Experten die tatsächliche Situation in Teilen Österreichs und Deutschlands: "Tonnenweise" werde Crystal Meth über die Grenzen nach Österreich und Bayern geschmuggelt, sagt Kurosch Yazdi, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Crystal Meth habe "ähnlich wie Kokain eine extrem aufputschende Wirkung", sei aber viel stärker und gleichzeitig viel billiger, "weil es einfach im Labor herstellbar ist und die Rohmaterialien legal in der Apotheke erhältlich sind". Die Hauptbestandteile der Droge sind nämlich in handelsüblichen Hustensäften enthalten, die Rezepte zur Herstellung findet man im Internet.

Schizophrenie durch Drogenkonsum

Die Situation in Linz sei "eine Katastrophe": "Wir werden seit einem Jahr mit Crystal-Meth-Patienten überschwemmt", sagt Yazdi. Normalerweise gebe es 3.800 Kontakte an der Suchtambulanz pro Jahr. Das seien bisher fast zur Gänze Opiatabhängige gewesen. Nun gebe es zusätzlich rund 760 Kontakte mit Crystal-Meth-Abhängigen pro Jahr – dafür aber nicht mehr Ressourcen.

In Deutschland ist man schon einen kleinen Schritt weiter: Die Bezirksklinik Hochstadt im bayerischen Oberfranken ist seit fünf Jahren auf die Behandlung von Crystal-Meth-Süchtigen spezialisiert. Hier werden momentan 65 Suchtkranke behandelt, rund 60 Prozent davon sind ausschließlich von Crystal Meth abhängig, berichtet der Psychologe Maximilian Straif. Seine Patienten kämen aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen. Viele würden Crystal Meth konsumieren, um im Beruf leistungsfähiger zu werden – ein Maler etwa, dem unter Drogeneinfluss seine Arbeit mehr Spaß mache und schneller von der Hand gehe. Zu den Patienten gehören auch Heroinabhängige, die sich Crystal Meth spritzen. "Was bei uns aber immer mehr auftaucht, sind Leute, die vorher gar keinen Drogenkontakt hatten", erzählt Straif.

Zu den großen Gefahren der schnell süchtig machenden Droge gehört für ihn deren Neurotoxizität, die Gehirnstrukturen zerstört. Auch psychische Krankheiten wie Schizophrenie könnten durch den Konsum ausgelöst werden. Die größte körperliche Gefahr sei das verminderte Risikobewusstsein der Konsumenten: Viele der Patienten hätten sich etwa mit Hepatitis C durch intravenösem Konsum oder ungeschützten Geschlechtsverkehr angesteckt. Bei einer Überdosis kann es zu Herzrhythmusstörungen und dadurch bedingt zu Herz-Kreislauf-Versagen kommen, erzählt Yazdi.

"Lauwarmer Entzug"

Die Therapie besteht in Oberfranken aus zwei bis drei Wochen Entgiftung und einer 24 Wochen dauernde Entwöhnung, bestehend aus täglichen Gruppengesprächen und wöchentlichen Einzelgesprächen. Zusätzlich gibt es für Patienten Sitzungen, in denen beispielsweise der Umgang mit Suchtdruck und Drogenträumen thematisiert wird.

Straif spricht von einem "lauwarmen Entzug", der den Abhängigen in Oberfranken geboten wird: Für spezifische Probleme wie Schlafstörungen würden Medikamente verabreicht. Substitutionsmedikamente gebe es aber nicht. Darüber klagt auch Yazdi: "Wir können den Crystal-Patienten kaum etwas anbieten."

Einem Heroinabhängigen könne etwa ein milderes Opiat als Dauergabe oder in immer geringerer Dosierung verschrieben werden. "So ein Mittel haben wir für Crystal nicht, weil es keine pharmazeutisch ähnliche Substanz gibt, die legal ist", sagt er, denn dazu gehören Kokain und Speed. Das Medikament, das Crystal Meth am ähnlichsten ist, ist Ritalin, das Kindern mit ADHS verschrieben wird. "Aber das ist streng verboten bei Suchtpatienten", so Yazdi, denn das Medikament kann abhängig machen. Im Endeffekt bleibt nur der kalte Entzug. Das macht die Behandlung schwierig, weil viele abbrechen. "Crystal Meth gehört zu den ganz, ganz harten Drogen", betont er.

Zu wenige Ressourcen

Straif kann Yazdis Kritik nicht ganz nachvollziehen: Der Entzug von Crystal Meth sei "weniger heftig" als bei Opiaten. Außerdem sei die Substitution mit Ritalin getestet worden, aber nicht wirksam gewesen. Nach einer Langzeittherapie bleiben rund 50 Prozent der Suchtkranken über ein Jahr clean, schätzt er.

Einig sind sich die Experten, dass der Höhepunkt der Crystal-Meth-Welle noch nicht erreicht ist. Straif erzählt, dass sich das Suchtproblem mittlerweile auch ins deutsche Inland ausbreitet. "Auf die Problematik reagiert die Politik nicht", klagt Yazdi. Maximilian Straif hofft darauf, dass bald mehr Geld für die Prävention zur Verfügung gestellt wird: "Freilich ist das spät", räumt er ein. "Da wurde viel verschlafen." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 25.4.2014)