Halbstündige Reportagen mit vollem Körpereinsatz: Maria Schrader (links) und ihr Kameramann bei der Arbeit: "24h Jerusalem", Samstag, ab sechs Uhr früh, auf Arte.

Foto: Arte

500 Stunden Filmmaterial.

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Drei Drehteams, zu je zehn Gruppen waren im Einsatz.

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Regisseur Volker Heise.

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STANDARD: Vor "24h Jerusalem" waren 500 Stunden Filmmaterial. Wie haben Sie verdichtet?

Heise: Wir haben sehr gute Cutter, die ein Jahr lang geschnitten haben, und gingen stufenweise vor. Nach der ersten Sichtung hatten wir "nur noch" 150 Stunden. 24h Jerusalem ist ein Programm mit halbstündigen Einheiten. Die Grundidee war, szenisch zu arbeiten, Geschichten zu erzählen, mit Protagonisten mitzugehen und zu zeigen, wie sie die Stadt sehen. Das ist letztlich eine Frage der Schnittkunst.

STANDARD: Wie viele Menschen waren beteiligt, wie viele Stunden haben Sie am Schnittplatz verbracht?

Heise: Insgesamt waren 500 dabei. Es gab drei Drehteams, zu je zehn Gruppen. Wir arbeiteten neun Monate an vier Schneidetischen in zwei Schichten, tags Hauptschnitt, nachts Vorschnitt und Übersetzungen, Untertitel schneiden. Es war extrem anspruchsvoll.

STANDARD: Wieso fiel die Wahl nach Berlin auf Jerusalem?

Heise: Nach Berlin sagte ich: "Danke, nie wieder." Ich wollte mir damit beweisen, und der Welt auch, dass so etwas funktioniert. Ich hatte mich gefragt, wie erzählt man Stadt heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts. Es ging um modernes Fernsehen, und dass es ging, fand ich toll. Hätte mich jemand gefragt, ob ich dasselbe für London oder Paris machen würde, ich hätte abgelehnt, weil es zu ähnlich wäre. Als ich zu Jerusalem gefragt wurde, sagte ich spontan Ja. Jerusalem ist eine Stadt voller Konfliktlinien. Für Berlin war die Frage, wie sieht die Politik des Alltags aus, in Jerusalem ging es darum, den Alltag in dieser Politik zu finden.

STANDARD: In Berlin ging es um Armut. Was ist die Grunderkenntnis aus Jerusalem?

Heise: Wie verstrickt dieser Konflikt ist und wie schwer es ist, da herauszufinden. Jeder hier hat jemanden im Krieg verloren und ist in irgendeiner Weise direkt betroffen. Dieses Ausmaß an Verletztheit hat mich überrascht.

STANDARD: Wie haben Sie die Protagonisten gefunden?

Heise: Wir hatten drei Drehteams, europäisch, palästinensisch, israelisch, mit je zwanzig weiteren Teams. Es ging darum, die wichtigsten Gruppen und Elemente der Stadt zu berücksichtigen, das heißt: Rabbi, Priester, Mönch, Imam, Muezzin. Dann geht es darum, den Konflikt abzubilden. So setzt sich das nach und nach zusammen. Wenn man nach solcher thematischer Besetzung vorgeht, muss man gegenbesetzen, um nicht zu klischeehaft zu werden. So fügt sich schließlich eins ins andere, bis man ein gutes Bild der Bevölkerung hat.

STANDARD: Sie konnten wieder namhafte Regisseure engagieren, Maria Schrader, Dani Levy, Hans-Christian Schmid, Andres Veiel. Alle haben sofort zugesagt?

Heise: Alle, wir waren selbst überrascht. Wir haben eine erste Liste erstellt und gefragt: Wollt ihr kommen? Wir können euch kein Geld bezahlen, nur Hotel, Flug und Essen und eine Party am Ende. Aber es sagten alle Ja.

STANDARD: Wo waren die Schwierigkeiten?

Heise: Wir haben sicher unterschätzt, wie sehr das Politische das Drehen erschwert. Wenn man in so eine Region geht und nicht nur einen Film macht, sondern ein großes Projekt aufsetzt, wollen alle Parteien sich da mit ihrer Erzählung reinsetzen und das auch mit aller Macht durchdrücken.

STANDARD: Was war geschehen?

Heise: Es gibt aufseiten der palästinensischen Zivilgesellschaft die Boycott-Divestment-and-Sanctions-Bewegung, BDS, der es darum geht, Israel zu boykottieren. Im Alltag ist das nicht zu halten, es gibt ganz viele Filme, die von Israelis und Palästinensern zusammen gemacht werden. Wir hatten nicht im Auge, dass ein Projekt dieser Größe auf dem Radar von BDS erscheint. Sie riefen den Boykott aus, und in dem Moment waren alle weg. Es gab nur eine Möglichkeit, diesen Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen: Wir machen aus diesem Projekt ein europäisches. Eine europäische Firma macht einen Film über Jerusalem.

STANDARD: Beim Drehen selbst war dann alles ruhig?

Heise: Für die israelischen Teams schon, an die europäischen traute sich auch keiner ran. Die palästinensischen Kollegen waren ab dem Moment des Boykotts in Gefahr. Ihnen gab man deutlich zu verstehen, dass sie mit uns nicht zusammenarbeiten sollen.

STANDARD: Die unvermeidliche Frage: Welche Stadt würde sich fürs nächste Mal anbieten?

Heise: Im Moment wär's das jetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, in Korea oder Japan zu drehen, weil mir das zu fremd ist. Rio fände ich vielleicht spannend. (Doris Priesching, DER STANDARD, 12./13.4.2014)