Die Büste von Eduard Suess im Spühregen des Hochstrahlbrunnens am Wiener Schwarzenbergplatz. Als die von ihm geplante Hochquellenwasserleitung ebenda im Oktober 1873 eröffnet wurde, schoss das Wasser auf sein Signal hin "vierzig bis fünfzig Meter hoch in die Sonne auf", wie sich Suess erinnerte.

Foto: Lois Lammerhuber / Edition Lammerhuber

Originalzeichnung von Eduard Suess, etwa 1860: Gesteinsschichten durchdringen die Böhmische Masse bei Eggenburg.

Illustr.: Suess, GBA

Wien - Franz Joseph I. war kein großer Freund der Wissenschaften. Doch im Fall von Eduard Suess ließ es sich der Kaiser nicht nehmen, eigenhändig einen Dankesbrief zu verfassen. "Die Gebildeten auf dem ganzen Erdball kennen Ihren Namen als einen der glänzendsten", schrieb der Kaiser höchstpersönlich im Mai 1911, "und die Welt der Gelehrten reiht ihn unter ihre besten."

Dann würdigte er Suess unter anderem dafür, die erste Hochquellenwasserleitung geschaffen zu haben, die Wiens Bewohner "an jedem Tag als Wohltat empfinden". Und am Ende des Briefes versicherte Seine Majestät Suess schließlich noch "Meiner dauernden Wertschätzung und Meiner unwandelbaren Huld".

Ein Forscher ohne Doktorat

Die Anrede des Kaisers lautete "Lieber Dr. Suess!" - und war so nicht ganz richtig. Denn Eduard Suess hatte nie ein Doktorat erworben und sich auch nie habilitiert - woran auch Franz Joseph schuld war. Der 1831 in London geborene und in Prag aufgewachsene Suess unterbrach 1848 sein Studium am Polytechnischen Institut (der heutigen TU Wien) und schloss sich den Revolutionären an. 1850 wurde er verhaftet und vor ein Kriegsgericht gestellt.

Man hatte einen Brief des 19-Jährigen konfisziert, in dem sich Suess positiv über eine "Erhebung Mittelitaliens" äußerte. Die Polizei des Kaisers vermutete Sympathien des jungen Forschers für die italienischen Aufständischen. Im Brief ging es freilich um eine neue Theorie zur Gebirgsentstehungen in Italien.

Suess wurde dennoch zu zwei Jahren Haft verurteilt, aber bald nach der Verurteilung rehabilitiert. Er erhielt eine Anstellung als Paläontologe im Mineralogischen Hof-Cabinet, der Vorgängerinstitution des Naturhistorischen Museums. An eine Promotion war jedoch nicht mehr zu denken, und auch nicht an eine Habilitation. Dennoch bestellte der junge Kaiser, der ziemlich genau ein Jahr älter war als Suess, den erst 25-Jährigen zum außerordentlichen Professor für Paläontologie an der Universität Wien.

Suess war nicht nur der erste Professor für Paläontologie, er wurde später auch erster Lehrstuhlinhaber für Geologie - und der mit Abstand einflussreichste Geowissenschafter, den Österreich je hervorbrachte. Seine Forschungen gingen von seiner unmittelbaren Umgebung aus: In Der Boden der Stadt Wien (1862) befasste sich Suess mit der Geologie des Wiener Raumes. Danach folgte 1875 Die Entstehung der Alpen, in dem Suess unter anderem den Begriff der Biosphäre einführte und prägte.

Sein wissenschaftliches Hauptwerk war Das Antlitz der Erde, das zwischen 1883 und 1909 erschien. Was Suess zuvor über die Alpen und andere europäische Gebirge herausgefunden hatte, erweiterte er in seinem dreibändigen Opus magnum für die Entstehungsgeschichte der Erde in ihrer Gesamtheit. Suess machte dabei bahnbrechende Entdeckungen - etwa dass es früher einmal einen Superkontinent gegeben haben muss, den er Gondwana nannte, oder einen Ur-Ozean, dem er den bis heute gebräuchlichen Namen Tethys gab.

Schon allein diese Bücher hätten ihm einen Ehrenplatz in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte gesichert. Suess war dazu aber auch noch langjähriger Präsident der Akademie der Wissenschaften, die unter seiner Führung von 1898 bis 1911 ihre vermutlich beste Zeit hatte.

Antisemitische Anfeindungen

Sehr viel kürzer hingegen fiel sein Rektorat an der Uni Wien aus: Suess, dessen Mutter jüdischer Herkunft war, wurde deshalb 1889 Zielscheibe heftiger antisemitischer Attacken sowohl von deutschnationalen Burschenschaftern wie auch von Karl Lueger, der sich damals um das Bürgermeisteramt Wiens bemühte. Wie die Historikerin Brigitte Hamann rekonstruierte, waren diese Anfeindungen der wahre Grund, warum Suess das Rektorat nach wenigen Monaten wieder aufgab.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Suess längst allergrößte Verdienste um Wien erworben. Der Forscher, der ab 1863 für die Liberalen im Wiener Gemeinderat saß, von 1873 bis 1896 auch ins Parlament gewählt wurde und als einer der brillantesten Redner seiner Zeit galt, sollte sich wegen der vielen Typhus-Epidemien um die Wiener Wasserversorgung kümmern. Der Geologe verwarf 56 Projektvorschläge und entwickelte selbst die radikalste und beste Lösung: Quellen im Rax- und Schneeberggebiet sollten angezapft und knapp 100 Kilometer nach Wien geleitet werden.

Trotz heftigster Widerstände setzte Suess seine Pläne durch, und am 24. Oktober 1873 schoss auf sein Signal hin und unter Beisein des Kaisers erstmals Hochquellwasser aus dem Hochstrahlbrunnen am heutigen Schwarzenbergplatz. Der Anteil der Typhus-Opfer unter den Todesfällen Wiens sank in den nächsten 15 Jahren von 3,5 auf unter ein Prozent. Für den Forscher war dieser Erfolg wichtiger als all seine rein wissenschaftlichen Leistungen.

Die Wiener mit erstklassigem Wasser aus dem Gebirge zu versorgen war aber nicht die einzige infrastrukturelle Großtat des Geologen: Um die Donau zu zähmen, die häufig für Überschwemmungen sorgte, setzte sich Suess dafür ein, dem Strom ein neues Bett zu graben. Auch das war damals die radikalste Lösung - und die beste.

Damit hat sich das politische und organisatorische Engagement des großen Wissenschafters aber noch lange nicht erschöpft: Suess setzte sich als Landesschulinspektor für die achtklassige Volksschule und die Reduktion der Klassenschülerhöchstzahl auf 80 Schüler ein, er war zudem Gewerbeinspektor und engagierte sich für Wiens Findelkinder.

Ein Professor im besten Sinn

Bei all seinen Aktivitäten und Erfolgen blieb Eduard Suess ein Professor im besten Sinne des Wortes: einer, der sich öffentlich als Lehrer zu erkennen gibt. Bis zu seinem Tod lebte er in einfachen Verhältnissen in der Leopoldstadt. Höfische Ehrungen und Auszeichnungen lehnte Suess stets ab. Auch den Titel eines Hofrats verweigerte er.

Der Kaiser nahm Suess die Zurückweisung höfischer Ehren nicht weiter übel. So musste Franz Joseph I. seine unwandelbare Huld eben in Form eines kaiserlichen Handschreibens zum Ausdruck bringen. Knapp drei Jahre später, am 26. April 1914, starb der Wohltäter Wiens. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 23.4.2014)