Riklef Rambow: "Viele Leute haben mit modernen Architektursprachen Schwierigkeiten."

Foto: Nicola Moczek

Gebäude, die die Gemüter erhitzen, gehören für Riklef Rambow zu jeder Stadt dazu - häufig wird jedoch über ganz andere Aspekte als die allzu moderne Architektur gestritten, erzählte er Franziska Zoidl

STANDARD: Auf Blogs werden vermeintliche Bausünden gesammelt – wieso?

Rambow: Solche Blogs werden interessanterweise selten von Laien geführt, sondern eher von Architekturfans. Ich glaube, es gibt da eine Faszination für den schlechten Geschmack und für die lustvolle Übertretung der Regeln, die in der Architektur gelten. Da tritt man den Architekten ein bisschen gegen das Schienbein und sagt: „Schaut mal, was eigentlich im wirklichen Leben vor sich geht."  Aber nicht nur in der Absicht,  sich darüber lustig zu machen, sondern auch, um einen zweiten Blick zu riskieren und zu überlegen, ob es nicht manchmal zulässig ist, von Gestaltungsrichtlinien abzuweichen. Ich denke, das hat auch mit der Tendenz zu Partizipation und Mitbestimmung zu tun.

STANDARD: Warum regen vermeintliche Bausünden so auf?

Rambow: Viele Leute haben mit modernen Architektursprachen Schwierigkeiten, weil sie beispielsweise der herkömmlichen Vorstellung von Gliederung und Verzierung nicht entsprechen. Die Strategien sind heute in der Architektur anders – das wird von manchen als unästhetisch abgelehnt.

STANDARD: Warum finden so viele den Westbahnhof hässlich?

Rambow: Er hat schräge und geknickte Elemente. Das sind sicherlich Formensprachen, die – da sie ungewohnt und neuartig sind – von vielen Leuten als willkürlich und unnötig aggressiv empfunden werden. Wenn ich mir als "Normalzustand" Wiens die historisch gewachsene Altstadt vorstelle, dann gibt es viele neue Ergänzungen, die sich gegen diesen Kontext klar abgrenzen .

STANDARD: Warum?

Rambow: Das kann der Gestaltungswille der Architekten sein. Viele Bauten sind aber auch aus immobilienwirtschaftlichen oder -funktionalen Gründen so groß und vielleicht auch monoton – etwa das AKH oder die Bahnhöfe. Die wirken für die Anwohner erstmal wie eine Störung oder eine feindliche Besetzung des Raumes. Das stößt sich mit den Vorstellungen, die man von Wien hat. Man sieht in einem Gebäude ja immer auch Absichten und Interessen. Bei großen Gebäuden, die an prominenten Orten entstehen, mutmaßt man schnell privates Macht- und Gewinnstreben, gelegentlich ja auch zurecht.

STANDARD: Hat Architektur einen Gewöhnungseffekt?

Rambow: Man darf sich nicht darauf verlassen. Viele prominente Gebäude der 60er und 70er Jahre werden jetzt abgerissen, weil es ihnen auch nach 40 Jahren Gewöhnung nicht gelungen ist, die Herzen der Menschen zu erobern. Der Karl-Marx-Hof ist wahrscheinlich im_Wiener Bewusstsein angekommen, andere Klassiker des 20. Jahrhunderts sind auch heute noch erklärungsbedürftig.

STANDARD: Sind angebliche Bausünden schlecht für eine Stadt?

Rambow: Eine Stadt ohne Bausünden ist für mich gar nicht vorstellbar. Irgendwie gehört es auch dazu, dass es Objekte gibt, bei denen sich die Gemüter ein bisschen erhitzen. Grundsätzlich finde ich Diskussionen über Architektur immer positiv. Häufig wird allerdings gar nicht über die Architektur gestritten, sondern über Bauzeitverlängerung, Skandale und Kostenexplosionen, das ist nicht produktiv für die Baukultur. Ästhetische Diskussionen – ob etwas zu groß oder zu klein ist, ob man etwas anders hätte machen können – finde ich sehr produktiv, und da müssen auch nicht immer alle einer Meinung sein. (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 17.5.2014)