Yotam Ottolenghi beim Einkaufen auf dem Portobello Market.

Foto: J. Lovekin aus "Genussvoll vegetarisch"
Foto: J. Lovekin aus "Genussvoll vegetarisch"

Vegetarisches Essen, das sich nicht darüber definiert, was alles nicht reindarf: geröstete Pastinaken und Süßkartoffeln mit Kapernvinaigrette.

Foto: J. Lovekin aus "Genussvoll vegetarisch"

Brunnenkressesalat mit Pistazien und Orangenblütenwasser.

Foto: J. Lovekin aus "Genussvoll vegetarisch"

Yotam Ottolenghi: "Genussvoll vegetarisch". 287 S. mit Fotos von Jonathan Lovekin, Dorling-Kindersley 2011. EURO 25,70

Foto: J. Lovekin aus "Genussvoll vegetarisch"

Es gehört Disziplin dazu, an den Auslagen der fünf Lokale vorbeizugehen, die Yotam Ottolenghi in den vergangenen Jahren in London aufgesperrt hat. Die Speisen, die einem da auf weiten Schüsseln, eleganten Serviertellern und hübsch arrangierten Etageren ins Auge springen, sehen einfach zu gut aus. Das finden auch ätherisch gebaute Zeitgenossen wie Julia Roberts oder Claudia Schiffer, die trotz notorischer Disziplin in Genussdingen seit Jahren zu den Stammgästen gehören.

Ottolenghi, der im britischen Guardian mit seiner Kolumne "The new Vegetarian" allwöchentlich Rezepte auftischt, in denen Lebensfreude stets ein wichtiges Ingrediens darstellt, gilt bereits als legitimer Nachfolger des Kochwunderknaben Jamie Oliver. Wie dieser schafft es Ottolenghi, mit seinen Rezepten Lust darauf zu machen, Gerichte auszuprobieren, auf die man selbst nie gekommen wäre - und, wohl noch wichtiger, auch absoluten Küchentouristen die Angst vor dem Erstversuch zu nehmen. Seine Kochbücher sind jedenfalls Megabestseller: einzig Jamie Oliver verkauft mehr davon auf Amazon als er. Das jüngste heißt in der Originalfassung Plenty und ist eben auf Deutsch herausgekommen, wenn auch unter dem wenig inspirierten Titel Genussvoll vegetarisch. Aber schön der Reihe nach.

Begonnen hat alles mit den Lokalen, deren Anziehungskraft ganz wesentlich in dem begründet ist, was man schon im Vorbeigehen wahrnimmt. Links vom Eingang ist der Platz für die Pâtisserie: Filigrane Baisers in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen, Tartelettes mit Passionsfrucht und Amalfi-Zitronen, schaumig zarte Weichsel-Cheesecakes, allerhand Viennoiserien und saftige Crumbles mit Rhabarber, Orangen oder gegrillter Ananas.

Zehn bis 15 Köstlichkeiten

Es werden Happen konsistenterer Natur präsentiert: elaborierte Salate aus allerhand Hülsenfrüchten, Obst und, vor allem, taufrischem Gemüse und Kräutern. Zum Beispiel knackig pochierter Spargel mit zerdückten harten Eiern und Kapern; gebackene Melanzani mit Thymian, griechischem Joghurt und Granatapfel; Kräuteromeletts, so dünn wie Palatschinken; marinierte Pilze mit Walnüssen und Tahini-Joghurt; oder Feigen mit Ziegenfrischkäse, Basilikum und Granatapfelkernen. Oder, wie im Rezept auf der folgenden Seite, Fisolen, Erbsen und ganz junger Mangold in einer Vinaigrette mit frischen Kräutern und orientalischen Gewürzen. Stets türmen sich da zehn bis 15 Köstlichkeiten, von denen man sich entweder etwas zum Mitnehmen zusammenstellen lässt (was die meisten tun) oder sich in eine Schlange einreiht, um auf einen freien Platz im Lokal zu warten.

Dass die Speisen fast ausnahmslos vegetarischer Natur sind, macht hier, in angesagten Londoner Gegenden wie Islington, Notting Hill oder Holland Park, einen erheblichen Teil des Erfolgs aus. "Wobei: Es ist sehr wichtig, dass wir nicht als exklusiv vegetarischer Laden wahrgenommen werden", sagt Ottolenghi. Schließlich galten Vegetarier auch hier lange Zeit als seltsame Sektierer. "Ich kann das gut nachvollziehen: Vegetarisches Essen definierte sich über Jahrzehnte hauptsächlich negativ - nämlich darüber, was alles nicht drin sein durfte."

Diese Form des Essens, das sich "ganz stark über Schuldgefühle definiert", erachtet Ottolenghi als wenig hilfreich: "In meiner Welt ist das Leben schon eher dafür da, um es zu genießen". Wer will, bekommt bei Ottolenghi deshalb gegrillten Biolachs, Köfte vom Rind oder auch einmal jene knusprige Schweinsbrust mit Zwetschken-Rhabarber-Relish, der inzwischen auf Foodblogs in aller Welt gerühmt wird. "Dieser Antagonismus zwischen Vegetariern und Nichtvegetariern interessiert mich überhaupt nicht - es bringt doch nichts, sich gegenseitig vorzuwerfen, was man isst".

Verkettung unwahrscheinlicher Zufälle

Ottolenghi wurde als Sohn eines aus Italien gebürtigen Vaters und einer Mutter mit deutschem Background in Jerusalem geboren, an die Wohnung seiner Tante Marlies in Wien erinnert er sich mit Bewunderung: "Fantastisch, wie zivilisiert - und vor allem wie groß - die Wohnungen in Wien sind". Er hat einen Master in Philosophie gemacht und als Journalist für Haaretz in Israel gearbeitet. Dass er heute einer jener Köche ist, deren Rezepte weltweit mit einer Begeisterung nachgekocht werden, wie das sonst nur bei Jamie Oliver der Fall ist, scheint ihn selbst am meisten zu überraschen: "eine Verkettung unwahrscheinlicher Zufälle".

Italienische Wurzeln und eine Jugend im Nahen Osten haben dabei sicher geholfen - am Stiefel und im östlichen Mittelmeerraum werden bekanntlich Küchen gepflogen, die sich der Zubereitung von Gemüse mit besonderer Hingabe widmen. Seine besondere Sorgfalt beim Schreiben der Rezepte wird von Fans immer wieder gerühmt. "Es stimmt, dass ich jedes Rezept mindestens zweimal nachkoche, außerdem bekommen es vorab stets ein paar Freundinnen, die es auch ausprobieren müssen." Dass Ottolenghi nach Abschluss des Philosophiestudiums erst einmal nach London ging, um in der "Cordon Bleu"-Kochschule einen Kurs in Patisserie zu absolvieren, erwies sich im Rückblick als gute Entscheidung: "Danach bekam ich einen Job als Küchenhilfe in einem Luxusrestaurant, konnte mich von da aber zu diversen anderen Jobs weiterhanteln - bis ich in einer dieser Küchen auf Sami traf".

Sami, das ist sein Exfreund und nunmehriger Geschäftspartner Sami Tamimi, mit dem gemeinsam er die Ottolenghi-Restaurants ins Leben rief. Auch Tamimi stammt aus Jerusalem, allerdings aus dem arabischen Ostteil der Stadt. Ob der gemeinsame Erfolg als Beispiel für einen Ausweg aus der Krise in Nahost taugt? "Natürlich nicht", sagt Ottolenghi, "obwohl wir das oft gefragt werden. Aber es ist kein Zufall, dass wir zwar wenige hundert Meter Luftlinie voneinander aufgewachsen sind, uns aber erst kennenlernten, als wir tausende Kilometer weit weg von Jerusalem, hier in London, arbeiteten". Ein nächstes Kochbuch soll jedenfalls Jerusalem heißen und eine Interpretation von Gerichten ihrer jeweiligen Kindheiten beinhalten.

Die bedingungslose Frische

Ein neben den Gewürzen ganz zentrales Element seiner Küche hat Ottolenghi jedenfalls von dieser Weltgegend übernommen: die bedingungslose Frische. "In einem Souk gibt's keine Kühlhäuser wie in westlichen Großgrünmärkten. Das ist auch der Grund, warum das Gemüse da von so ausgesuchter Frische ist: Was nicht täglich frisch geerntet und mehrmals täglich frisch zubereitet wird, das verdirbt einfach".

So hält es Ottolenghi auch in seinen Lokalen: Während des Mittagessens wird wie zur Bestätigung eine Lieferung Kräuter, Spinat und Melanzani in die Küche gekarrt. Die Salate sind ebenso wie die Kuchen nicht gekühlt. "Wir machen von allem nur eine Schüssel, ein Blech. Wenn das zur Neige geht, wird frisch gekocht". Derlei kapriziöses Qualitätsdenken kostet natürlich. "Wir sind nicht billig", sagt Ottolenghi. Ein Teller Salat plus Fisch oder Fleisch kommt auf rund 15 Euro, was im rezessionsgeplagten London durchaus erklecklich ist - um das Doppelte kann man bereits in multipel besternten Luxusetablissements lunchen.

Diese Vielfalt der Möglichkeiten ist es auch, die ihn, neben der kulinarischen Abenteuerlust der Londoner, am meisten an seiner Stadt fasziniert: "London ist wahrscheinlich der einzige Platz, an dem ich mit meiner Küche so einen Erfolg landen konnte", meint Ottolenghi, "diese Stadt atmet unglaubliche Offenheit für neue Einflüsse, die Leute sind richtig durstig nach neuen Ideen und Geschmacksempfindungen". (Severin Corti/Der Standard/rondo/25/03/2011)