Der ehemalige österreichische Mode-Star und nunmehrige Künstler Helmut Lang, fotografiert von Elfie Semotan.

Foto: Elfie Semotan

Helmut Langs dritte Einzelausstellung eröffnet an einem strahlenden, heißen Julitag in einer Galerie auf Long Island. Trotz der Affenhitze machen einige Besucher ein Gesicht wie hundert Tage Regenwetter. "Ich kann es nicht fassen", sagt etwa eine elegante New Yorkerin, "die ganzen schönen Kleider, die Taschen ... er hat einfach alles zerstört!" Wenn es stimmt, dass Kunst, um Kunst zu sein, schockieren muss - dann ist die Ausstellung ein Erfolg. Denn zumindest den zahlreichen Fans des ehemaligen österreichischen Modedesigners, die an diesem Tag den Weg in die Galerie The Fireplace Project gefunden haben, bleibt die Luft weg angesichts der 6000 Kleidungsstücke aus zwanzig Jahren Modeschaffen, die der nunmehrige Künstler geschreddert und zu Säulen geformt hat. Zu unserem Gespräch trafen wir Helmut Lang einige Tage nach der Eröffnung auf seinem Anwesen in East Hampton (wo er lebt und arbeitet). Er zog es vor, das Interview auf Englisch zu führen.

DER STANDARD: Sie haben 6000 Kleidungsstücke aus Ihrem Archiv geschreddert, um sie für Ihr Kunstprojekt zu verwenden. Warum?

Helmut Lang: Ich habe 2009 und 2010 einen Großteil meines Archivs verschiedenen Museen gestiftet. Im Februar 2010 ist in dem Gebäude, in dem sich unser Studio befindet, ein Brand ausgebrochen, der das Archiv fast zerstört hat. Viele Stücke wurden beschädigt. Als ich danach sechs Monate lang durch die Kollektionen ging, um zu sehen, in welchem Zustand die einzelnen Kleidungsstücke sind, wuchs langsam die Idee, alles selbst zu zerstören und den Kollektionen auf diese Weise gewissermaßen eine neue Form zu geben. Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir dieser Gedanke.

DER STANDARD: Welche Materialien haben Sie geschreddert?

Lang: Alles. Von Leder, Pelzen und Stoffen über Federn bis hin zu Plastik und Metall. Eigentlich so gut wie jeden Gegenstand, den ich jemals designt habe. Kleider, Taschen, Schuhe, Uhren, Gürtel. Alles wurde mit einem Industriezerkleinerer in Rohmaterial verwandelt.

DER STANDARD: Bestehen alle Säulen aus geschredderten Kleidungsstücken?

Lang: Ja. In ihnen sind 25 Jahre Designarbeit, Pigmente und Harz enthalten. Wobei nur 16 der insgesamt 100 Säulen in der Galerie Fireplace Project in den Hamptons zu sehen sind.

DER STANDARD: Was bedeutet der Titel der Ausstellung: "Make it hard"?

Lang: Er verweist auf den Vorgang, aus weichem Material etwas Hartes zu machen. Der Titel hat natürlich auch eine sexuelle Seite.

DER STANDARD: Sind weitere Ausstellungen geplant?

Lang: Die Ausstellung in den Hamptons ergab sich durch meinen Freund und Kurator Neville Wakefield. Weitere Ausstellungen wird es in London, Los Angeles, New York und vielleicht auch in Berlin geben. Entweder wird das Gesamtwerk, also alle 100 Skulpturen, oder nur einige davon zu sehen sein.

DER STANDARD: Empfanden Sie die Vernichtung Ihrer vergangenen Arbeiten als Befreiung?

Lang: Durchaus. Ich habe im Jänner 2005 aufgehört, als Designer zu arbeiten. Darauf folgten zwei bis drei Jahre, in denen wir in New York alle Kollektionen archivierten und überlegten, welche Stücke in welches Museum kommen sollten. Das war nicht nur sehr viel Arbeit, sondern auch ein schwieriger Prozess.

DER STANDARD: Kann man sich der Vergangenheit einfach dadurch entledigen, dass man 6000 Kollektionsteile zerstört?

Lang: Es war niemals meine Absicht, meine Vergangenheit abzustreifen. Ich stehe zu meiner Vergangenheit. Sie gibt mir die Möglichkeit, das zu tun, was ich heute tue. Und zwar meine gesamte Vergangenheit, nicht nur meine Zeit in der Modewelt. Ich habe sehr viel gelernt und bin dankbar für alle Möglichkeiten, die sich mir geboten haben. Es waren die besagten äußeren Umstände, die mich dazu bewegten, das Archiv in Rohmaterial umzuwandeln. Auch wollte ich mich mehr meiner Arbeit als Künstler widmen.

DER STANDARD: Als Künstler hatten Sie 2008 eine große Einzelausstellung in der Kestnergesellschaft in Hannover. Die Kritiken waren "durchwachsen". Wie sehr hat sich Ihre Arbeit im Vergleich zu damals verändert?

Lang: Meine Arbeit ist stärker geworden, was eine natürliche Entwicklung ist. Der Übergang von Mode zur Kunst ist schwer - doch ich glaube, ich bin der erste Modedesigner, dem es wirklich gelungen ist, mit Kunst erfolgreich zu sein. Als Designer begann ich 1978, meine erste Modeschau in Paris fand 1986 statt, doch der internationale Erfolg kam erst Anfang der 90er-Jahre. Der derzeitige Prozess ist meinen Anfängen als Modedesigner nicht unähnlich. Schon damals war das, was ich machte, neu, ungewohnt und anders; also waren sich viele Leute anfangs nicht sicher, ob sie es gut finden sollten oder nicht. Gute Kunst entsteht nicht von einem Tag auf den anderen. Ich arbeite seit 2005 hart und kontinuierlich. Auch in der Kunst werde ich weiterhin nur auf mich selbst hören und meine eigenen Ideen umsetzen. Neville Wakefield hat gesagt: "Es braucht Zeit, zu seiner eigenen Sprache zu finden, aber mit diesen Arbeiten ist sie gefunden worden."

DER STANDARD: Ähnelt Ihr derzeitiger Arbeitsprozess in irgendeiner Form jenem des Modedesigners?

Lang: Als Ausgangspunkt inspiriert mich in erster Linie das Material. Und eigentlich beginne ich auch immer mit Schwarz. Das war schon in der Mode so. Ausgehend vom Material erkenne ich meistens, in welche Richtung ich gehen sollte. Da wie dort ist die wirkliche Herausforderung, die richtige Form zu finden. Aus einer Fülle von Ideen muss jene herausgefiltert werden, die am interessantesten ist. In der Kunst ist die Auswahl an Materialien noch viel größer als in der Mode. Dafür muss man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob etwas tragbar oder funktionell ist.

DER STANDARD: Die wichtigsten Teile Ihrer Kollektionen haben Sie internationalen Museen wie dem Metropolitan Museum oder dem Louvre zur Verfügung gestellt. Haben Sie auch Österreich bedacht?

Lang: Ja, meine Freundin Verena Formanek, die den "Design Info Pool" im Mak gründete, hat sich in der Vergangenheit sehr darum bemüht. Nachdem ich mit Peter Noever (ehemal. Leiter des Mak, Anm.) in den vergangenen Jahren an einer Ausstellung fürs Mak gearbeitet habe, habe ich beschlossen, die wichtigsten Teile meines Archivs diesem Museum zu schenken. Also all die Videos von den Modeschauen, das gesamte grafische und architektonische Material, alle Lookbooks, Polaroids und Showprogramme. Alle Anzeigenmotive, die wir je geschaltet haben, von jenen von Robert Mapple-thorpe, Bruce Weber und Elfi Semotan bis hin zu jenen von Jürgen Teller und David Sims. Aber auch das gesamte grafische Material und sogar die Werbeschilder, die auf den New Yorker Taxis zu sehen waren. Das Mak schien mir dafür der richtige Platz, und zwar nicht nur deswegen, weil ich früher an der Universität für angewandte Kunst unterrichtet habe, sondern auch, weil Design und Architektur dort stark vertreten sind.

DER STANDARD: Die Ausstellung, von der Sie sprachen, war für Dezember geplant. Sie findet bekanntlich nicht statt. Warum?

Lang: Als ich erfuhr, dass Peter Noever als Direktor des Mak zurückgetreten ist, sagte ich das gesamte Projekt ab. Die Idee zur Ausstellung stammte von uns beiden, gemeinsam hatten wir das Konzept entwickelt und daran gearbeitet. Ohne ihn hat das Ganze keinen Sinn. Es war die richtige Entscheidung.

DER STANDARD: Können Sie sich in Zukunft ein anderes Projekt mit dem Mak vorstellen?

Lang: Ja, ein anderes, neues Projekt sehr wohl.

DER STANDARD: Es wurde gemunkelt, dass das Modehaus Hermès an Sie herangetreten ist, um Sie als Nachfolger von Jean Paul Gaultier zu gewinnen. Stimmt das?

Lang: Ja. Aber ich erhalte jedes Jahr an die vier bis fünf Anfragen von verschiedenen, großen Modehäusern, die mich als Designer unter Vertrag nehmen wollen.

DER STANDARD: Reizt Sie das denn gar nicht mehr?

Lang: Nein. Ich verspüre keinerlei Sehnsucht danach. Ich genieße es sehr, nach meinem eigenen Rhythmus zu arbeiten. Ich möchte mich heute durch etwas anderes ausdrücken als durch Mode. Eine Kooperation mit einem Modehaus als Künstler kann ich mir aber durchaus vorstellen. So ein Kunstprojekt ist auch schon im Gespräch.

DER STANDARD: Steckt in jedem Designer ein Künstler?

Lang: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es viel Mut braucht, um eine gesicherte und gute Stellung in der Modewelt - mit all dem Geld, dem Glamour und Ruhm - hinter sich zu lassen, um etwas Neues zu wagen. (Cordula Reyer/Der Standard/rondo/12/08/2011)