Wien, Währinger Straße 17. Von außen unterscheidet sich der 70er-Jahre-Bau durch nichts von anderen seiner Art. Die Fassade ist wenig apart, schwarz-grau durch die Abgase aus dem Straßenverkehr . Die Lettern am Schild verweisen auf ein Institutsgebäude der Universität Wien. Ein Blick hinter die Fassade in den Hof überrascht. Denn dort verschmilzt das alte Wien zu einer Symbiose mit der modernen Forschung. Ein späthistorisches Palais, der so genannte "Kavalierstrakt", beherbergt das Institut für Isotopenforschung und Kernphysik der Uni Wien. Und dort steht auch Österreichs einziger Teilchenbeschleuniger, der Vienna Environmental Research Accelerator, kurz "Vera" genannt.

Akribische Suche

40 Meter lang streckt sich Vera röhrenförmig durch das Erdgeschoss des denkmalgeschützten Hauses. Immer bereit das, was man in ihn hineinsteckt, Atom für Atom zu zerlegen. Das Gerät ist das Hilfsmittel mit dem die Spezialisten der Beschleunigermassenspektrometrie einen Blick in eine Vergangenheit werfen, in der es weder die Währinger Straße 17 und manchmal nicht einmal noch Wien gab. Es gilt, in schlichten Dingen wie Pflanzen oder Menschenknochen, die aus der Historie herübergerettet wurden, den winzigen Anteil des radioaktiven Isotops C-14 aufzuspüren. Isotope eines Elements unterscheiden sich von diesem nur durch ihre Masse. Nach dem Tod eines Organismus nimmt der C-14-Anteil kontinuierlich ab. Durch Zählen der noch vorhandenen C-14-Atome und Rückrechnung wird die Bestimmung des Alters möglich.

Für diese Spurensuche jagt Vera aus diesen Gegenständen extrahierten Kohlenstoff durch die Röhren. "Die Maschine ist wie eine Serie von sehr selektiven Filtern", erklärt Walter Kutschera, Leiter des Instituts in der Währinger Straße. Die Filter sind so eingestellt, dass sie das C-14-Atom durchlassen; leichtere und schwerere Atome werden absorbiert oder abgelenkt. C-14-Messungen sind mittlerweile Routine. Und ein Geschäft: Das Institut arbeitet mit der US-Firma Beta Analytic in Miami, Florida, zusammen, die C-14-Datierungen am Markt anbietet. In einem guten Jahr bringt das ein Zubrot von 200.000 US-Dollar.

Kunstexpertise

Als Forschungsanlage verfolgt Vera auch weniger lukrative Ziele wie die Suche nach seltenen Isotopen. In gar nicht so ferner Zukunft soll der Teilchenbeschleuniger zum Kunstkenner avancieren und in Zusammenarbeit mit dem Pariser Louvre die Silberstift-zeichnungen von Albrecht Dürer aus der Albertina analysieren.

In Aktion verbreitet Vera die Maschinenraumatmosphäre eines Donaudampfers. Er grummelt und stampft an der Grenze zur Nervenbelastung. Die Luft ist warm und geladen. Immerhin erzeugt der Teilchenbeschleuniger Spannungen bis zu drei Millionen Volt - und damit Röntgenstrahlung. Was strenge Sicherheitsmaßnahmen erfordert: Ein Bleimantel um den Beschleuniger verhindert, dass Strahlung austritt. Trotzdem wird der Raum rund um die Uhr überwacht, ein Sievertzähler hängt an der Wand (Sievert = Einheit zur Messung der Strahlenbelastung, Anm.). "Derzeit haben wir 0,159 Mikrosievert pro Stunde, das ist die normale kosmische Strahlung", erläutert Kutschera. Gefährliches sei noch nie passiert. Nur einmal hätte ein neues Gerät eine messbar erhöhte Strahlung erzeugt. Das Problem konnte aber schnell behoben werden.

Auch wer mit "Vera" arbeitet, wird regelmäßig kontrolliert. Plaketten an der Kleidung zeichnen die laufende Röntgenbelastung auf. Zumindest im Nachhinein zeigt sich, wer mehr als die natürliche Strahlendosis abgekommen hat. Alles nicht so schlimm, aber halt "kein Ort zum Kaffeetrinken", sagt Kutschera. Im Übrigen kann die Anlage voll computergesteuert betrieben werden. Nicht selten sortiert Vera für sich allein des Nachts und am Wochenende.

Der zum Kavalierstrakt gehörende Garten eignet sich dagegen optimal zum Kaffeetrinken. Nichts weist auf das Treiben im Erdgeschoss hin. Der Denkmalschutz erlaubt nur die notwendigsten Veränderungen am Haus. Und sorgt dafür, dass Vera nicht nur in seiner Arbeit, sondern auch in seinem Leben mit der Vergangenheit verschmilzt. (Martina Gröschl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19 7. 2004)