Der Spargel ist das vielleicht am meisten überschätzte Gemüse. Gute drei Monate terrorisiert die Stinke-Stange den Auswärts-Esser, keine noch so entlegene Werkskantine bleibt von der Verspargelung der Welt verschont. Selbst beim Fleischhauer lauert der Spargel im Schinken versteckt. Das ist nicht nur akut öd, sondern auch chronisch schlecht für die Esskultur.

Nicht, dass Spargel generell schlecht schmeckt: ein draller Solospargel mit frischer Hollandaise ist ein Genuss, der in seiner Üppigkeit in der Gemüsewelt selten zu finden ist. Das ist aber kein Grund, ihn von April bis Juni zum Grundnahrungsmittel zu erheben.

Foto: Tobias Müller

Sobald die "Bärlauch-Zeit" überstanden ist und bevor der Kürbis seine Schreckensherrschaft über die Speisekarten beginnt, nimmt der Spargel sämtliche die Menüs dieses Landes in Geiselhaft. Er macht es für faule Köche und Esser überflüssig, einen weiteren Gedanken an saisonales Gemüse zu verschwenden, und das in einer der schönsten Ess-Zeiten des Jahres. Seine Omnipräsenz verhindert leicht, dass die wunderbare Vielfalt des Frühlings ihren Weg auf die Speisekarten findet.

Fast jedes Gemüse hat eine begrenzte Saison, viele kürzer als drei Monate. Aber haben Sie schon jemals "Erbsen-Wochen auf einer Wirtshaus-Karte gelesen, oder Schilder, auf denen stolz "Frischer Rhabarber" beworben wird? (Gibt's eigentlich einen Fresshistoriker, der sich der Geschichte solcher Phänomene angenommen hat? "Gemüse-Absolutismus. Spargel und Kürbis in Österreich" – ich würde das sofort kaufen.)

Einmal über- einmal unterschätzt.
Foto: Tobias Müller

Mit der Spargelzeit endet im Juni jedenfalls auch die Rhabarber-Zeit. Rhabarber sieht nicht nur prächtig aus und ist botanisch interessant – er gehört zu den wenigen Gemüsen, deren Stängel essbar, die Blätter aber giftig sind – und er schmeckt auch ganz hervorragend. In Österreich wird er meist für Süßspeisen verwendet, das wird aber seinem Potential keinesfalls gerecht. Seine fruchtige Säure harmoniert wunderbar mit Salz, Chili oder Knoblauch, und eignet sich perfekt, um etwa fettes Grillfleisch auszubalancieren.

Und noch einen Dreh interessanter wird der Rhabarber, wenn man ihn fermentiert. Mit jungen Stangen geht das am Stück, wenn er schon etwas älter ist, wie derzeit meist, muss er dünn geschnitten werden, um nicht zu fasrig zu schmecken. Wer keine Lust auf selber machen hat: Hier gibt's das zu verkosten.

Fermentierter Rhabarber

Schneiden Sie den Rhabarber, ein paar Knoblauchzehen und so viel Chili, wie Sie wollen, in dünne Scheiben, etwa mit einem Gemüsehobel. Wiegen Sie das Gemüse und nehmen Sie drei Prozent seines Gewichts in Salz (100 Gramm Gemüse, drei Gramm Salz, zum Beispiel). Mischen Sie das Gemüse und das Salz mit den Händen ordentlich durch und kneten Sie es fünf Minuten.

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Packen Sie es möglichst dicht in ein Glas (etwa ein Marmelade-Glas) und pressen Sie es so richtig hinein – das Ziel ist, dass keine Luftblasen zwischen dem Gemüse bleiben und dass es von seiner eigenen Flüssigkeit bedeckt ist. Sollte sich das nicht ausgehen, gießen Sie mit fünfprozentiger Salzlake auf. Packen Sie ein Plastiksackerl, mit Wasser gefüllt, drauf (damit die Oberfläche nicht mit Luft in Berührung kommt, sonst wächst Kahmhefe) und lassen das ganze ebenfalls mindestens eine Woche an einem kühlen Ort gären.

Wenn die Gärgemüse so schmecken, wie Sie sich das vorstellen, übersiedeln Sie sie in den Kühlschrank. Das stoppt die Gärung fast und lässt das Gemüse mindesten zwei Wochen weiter halten.

Nachtrag

Das Spargel-Drama ist nicht bloß die Schuld der Köche. Wer keinen Spargel bietet, der muss um Gäste bangen, in Großbritannien wird man als Wirt angeblich sogar von den Gourmet-Führern ignoriert, wenn man gegen die Alleinherrschaft der Stange aufbegehrt. Während sich anderes, viel interessanteres Gemüse nur zögerlich verkauft, ist der Spargel ein garantierter Umsatzbringer.

Wider die virile Spargel-Fotografie.
Foto: Tobias Müller

Ich habe vor kurzem ebenfalls vor dieser Tatsache kapituliert und eine Spargelsuppe für eine Veranstaltung kredenzt. Weil die generelle Suppen-Methode auch mit sehr vielen anderen Gemüsen funktioniert, folgt hier nun aller Beschimpfung zum Trotz das Ergebnis. Es hat, zugegeben, sehr gut geschmeckt. Wenn Sie können, gehen Sie auf Ihren Markt und kaufen Sie Erbsen, Rhabarber, oder junge rote Rüben. Wenn es schon zu spät ist, und Sie den Spargel bereits haben, machen Sie wenigstens das beste draus.

Sehr altmodische, sehr cremige Spargelsuppe

Ich habe fast eine Woche mit diversen Spargelsuppen experimentiert, dieses altmodische Velouté-Rezept hat mich am meisten überzeugt. Das Ergebnis schmeckt intensiv nach Spargel und ist ziemlich samtig-cremig. Der einzige Nachteil: es dauert lang und erfordert viel Rühren.

Nehmen Sie für die Suppe am besten Spargelbruch. Das hat den doppelten Vorteil, dass er einerseits billiger ist, und andererseits vor allem aus den weniger fasrigen oberen Teilen der Stange besteht. Oft müssen diese Teile gar nicht geschält werden: beißen Sie einfach von ein paar rohen, dickeren Stangen unten ab, dann merken Sie, ob der Spargel noch gehäutet gehört. Ein Kilo Spargelbruch reicht leicht für vier Suppenesser. Sollte es jetzt heiß werden: Die Suppe ist auch geeist sehr genießbar.

Schmelzen Sie 75 Gramm Butter in einem großen Topf und sieben 60 Gramm Mehl hinein. Kochen Sie die Mischung auf niedriger Hitze, bis sie angenehm leicht nussig riecht, aber noch nicht braun geworden ist – rühren nicht vergessen.

Foto: Tobias Müller

Wenn Sie den Spargel schälen müssen, heben Sie die Schalen auf und packen Sie sie in einen anderen Topf mit zwei Liter Milch. Erwärmen Sie das ganze langsam und vorsichtig unter ständigem Rühren, bis die Milch leicht blubbert. Drehen Sie die Hitze ab und lassen Sie die Schalen eine halbe Stunde in der Milch ziehen.

Gießen Sie die Milch durch ein Sieb (sodass die Schalen draußen bleiben) in den Topf mit der gekochten Butter-Mehlmischung. Lassen Sie das ganze erneut unter ständigem Rühren und bei schwacher Hitze aufkochen. Achtung: Wenn es unten anbrennt und Sie den Bodensatz abschaben, haben Sie hässliche braune Punkte in Ihrer sonst makellos weißen Suppe. Ein bisschen was geht vielleicht noch als Pfeffer durch, zu viel wird aber unansehnlich.

Foto: Tobias Müller

Köcheln Sie die Milch so lange, bis sie durch das Mehl etwas eingedickt ist, dann werfen Sie den grob gehackten Spargelbruch dazu. Lassen Sie die Suppe ziehen, bis der Spargel genauso gekocht ist, wie sie ihn gerne essen würden, je nach Frische und Stückgröße so zehn bis 15 Minuten. Falls die Milch angebrannt ist, gießen Sie die Mischung in einen frischen Topf und passieren Sie alles ordentlich, etwa mit einem Handmixer. Mit Salz und nicht zu wenig Zitronensaft abschmecken, und mit einem pochierten (oder weichem) Ei und frisch gehackter Petersilie servieren. (Tobias Müller, derStandard.at, 25.5.2014)