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Die genauen Ursachen von Multipler Sklerose sind nach wie vor unbekannt.

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Bei der MS sind die Myelinhüllen von Nervenfasern beschädigt.

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Die Signalleitung wird dadurch verlangsamt oder sogar ganz unterbrochen.

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Ohne sie ist eine schnelle Reizübermittlung nicht möglich. Die sogenannten Myelinscheiden liegen wie eine Schutzschicht um die Nervenfasern und sichern deren Isolierung. Ihre Funktion gleicht der von Kabelhüllen in der Elektrotechnik. Die Nervensignale werden ungestört weitergeleitet - auch dort, wo viele Neuronen gebündelt liegen. Ein kleiner Geniestreich der Natur.

Das raffinierte System kann allerdings Schaden nehmen. Bei manchen Menschen kommt es plötzlich oder schleichend zu einer Zerstörung der Myelinscheiden. Lokal bis hin zum völligen Verschwinden. Es entstehen Plaques, stark angegriffene Gehirnareale, die in MRT-Scans als deutlich sichtbare Flecken erkennbar sind und einen Durchmesser von einigen Zentimetern erreichen können. Die Diagnose lautet: multiple Sklerose (MS).

Neue Behandlungsmethoden

"Die Prognose insgesamt hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert", sagt der Neurologe Thomas Berger von der Med-Uni Innsbruck. Neue Behandlungsmethoden ermöglichen es, das Problem der Myelinzerstörung an der Wurzel zu packen, statt nur die Symptome zu bekämpfen. Die Mehrheit der Patienten kann deshalb auch 15 Jahre nach Krankheitsbeginn noch selbstständig gehen. Des Weiteren setzt man zunehmend auf Früherkennung.

Einst vergingen in Österreich zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnose einer MS durchschnittlich sieben Jahre, berichtet Berger, mittlerweile hat sich die Zeitspanne auf weniger als ein Jahr verkürzt. In Tirol zum Beispiel werden Menschen mit verdächtigen Sehstörungen - ein mögliches Frühsymptom von MS - umgehend zu Spezialisten überwiesen. Der Befund liegt dann nach spätestens 14 Tagen vor. Anschließend kann sofort mit der gezielten Behandlung begonnen werden.

Ursachen unbekannt

Die genauen Ursachen von MS sind noch nicht bekannt. "MS ist keine erblich bedingte Erkrankung", erklärt Thomas Berger. Es gibt aber Hinweise auf ein möglicherweise genetisch erhöhtes Risiko. Auch Rauchen, Vitamin-D-Mangel und weitere Umweltfaktoren könnten nach Meinung vieler Experten zur Entstehung der Krankheit beitragen.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Infektionen eine Rolle spielen", meint Berger. Schließlich beeinflussen diese das Immunsystem, dessen Fehlfunktion anscheinend für die Zersetzung der Myelinschichten hauptverantwortlich ist. Interessanterweise tragen Menschen, die noch nie mit dem weitverbreiteten Eppstein-Barr-Virus infiziert worden sind, ein statistisch höheres MS-Risiko, "das hat sich eher als Assoziation denn als kausaler Zusammenhang herausgestellt", sagt Berger. Dementsprechend könnte Kontakt mit bestimmten Erregern vielleicht sogar einen gewissen Schutz gegen MS als Autoimmunkrankheit bieten.

Bisherigen Erkenntnissen zufolge werden die Schäden an den Myelinschichten zu einem wesentlichen Teil von Entzündungsprozessen bewirkt. Am Anfang stehen dabei T-Zellen, zugehörig zur Gruppe der weißen Blutkörperchen. Im Normalfall patrouillieren diese körpereigenen Wächter auch im sogenannten perivaskulären Raum, im Bereich der Blut-Hirn-Schranke. Eine reguläre Überwachungsmaßnahme des Immunsystems, wie Berger erläutert.

Wenn autoimmungeprägte T-Zellen jedoch auf Myelinbestandteile stoßen, lösen sie eine lokale Entzündungsreaktion aus. "Dann setzt ein Schneeballeffekt ein", betont der Neurologe. Während die Blut-Hirn-Schranke durchlässig gehalten wird, greifen Abwehrstoffe die Myelinschichten an. Dadurch gelangen weitere Bruchstücke in die Blutbahn und versetzen noch mehr weiße Blutkörperchen in Alarmzustand. Die Zerstörungen dehnen sich aus, es bildet sich Plaque.

Dynamik und Geschlecht

Gänzlich irreversibel ist der Prozess allerdings nicht. Ein Teil der Myelinscheiden wird wieder aufgebaut. Innerhalb einer Plaque trifft man deshalb auf ein Sammelsurium aus zerstörten und demyelinisierten Axonen sowie remyelinisierten Fasern, erklärt Berger. "Ein buntes Bild aus Degeneration und Regeneration." Dieses Wechselspiel und unterschiedlich stark ablaufende Entzündungsvorgänge sind offenbar für die bei vielen MS-Patienten typischen Krankheitsschübe verantwortlich.

Auf die gesamte Lebenszeit bezogen erkranken in Österreich etwa 100 bis 140 von 100.000 Menschen an MS. Dies entspricht laut Berger der für Mitteleuropa gängigen Prävalenz. In nördlicheren Gefilden tritt die Krankheit im Schnitt etwas häufiger auf, in südlichen Ländern dagegen weniger, auch wenn es hier Ausnahmen gibt, wie etwa Sardinien.

Mit der Zeit hat sich zudem ein deutlich unterschiedliches Erkrankungsrisiko bei den Geschlechtern entwickelt. "In den 1920er-Jahren hieß es, MS sei eine Krankheit von Männern", berichtet Berger. Allein in den vergangenen 25 Jahren hat sich die Prävalenz bei Frauen verdoppelt. Inzwischen beträgt das Verhältnis 4:1 zuungunsten des weiblichen Bevölkerungsteils. Das sei womöglich ein klarer Hinweis auf die Bedeutung von Lebensstilfaktoren für die Entstehung von MS. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 28.5.2014)