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Hat sich im Roman als wahre Jeanne d'Arc der literarischen Schwatzhaftigkeit mit Selbstkritik gepanzert: Verena Roßbacher.

Foto: APA / Sarah Schlatter

Nach Brigitte Kronauers Gewäsch und Gewimmel nun also Verena Roßbachers Schwätzen und Schlachten: Textorganisation nach dem Muster entfesselter Konversation hat Konjunktur in der Literatur. Beliebt sind zudem kostbar verstaubte Wörter, mäandrische Satzschlingen und altvaterische Anreden an den p. t. Leser. Gleich im ersten Satz verrät uns die Autorin, dass jemand zu Tode gekommen ist, nämlich umgebracht wurde, und führt gleich darauf drei Freunde ein, die als Detektive jedenfalls überfordert sind, womit sie schon andeutet, was sie bald explizit macht: dass dieses Buch kein Krimi ist.

Kompliziert wird die Sache auch dadurch, dass einer der drei, der Medienkünstler Simon Glaser, selbst zum Gegenstand der Verdächtigung durch seine Mitspieler - man musiziert als Trio - wird. Frederik von Sydow studiert "Allerneueste deutsche Literatur", was ihn aus Sicht seiner allerbesten Familie noch nicht zum Erben qualifiziert.

David Stanjic, der Cellist, ist uns aus Roßbachers im Wiener Skurrilmilieu angesiedeltem Debütroman bekannt, woran uns die Erzählerin ohne falsche Bescheidenheit erinnert: "Ich habe in meinem letzten Bericht, 'Verlangen nach Drachen', einen, wie ich finde, ganz gelungenen Einblick in Stanjics Charakter gegeben." Jetzt lebt er wie die anderen in Berlin, um seine enttäuschte Liebe zur männerverschlingenden Klara zu vergessen, und verdingt sich als Zusteller für Lunchpakete. Durchgefüttert werden die Freunde von Sydows patenter Omi Auguste, die in Berlin ein stets "proppenvolles" Café namens "Visite-ma-tante" betreibt und dafür Kuchen bäckt und Suppen kocht, die immer irgendwer verkostet.

In 139 Kapiteln mit launigen, durch Kachelumrisse geschmückten Überschriften kreist die Textmasse um sich selbst, alles ist Geschwätz, alles ist Schrift: Sogar das Klopapier ist bedruckt und wird poetologisch ausgewertet, ein "aperiodisches System" soll hinter dem Kachelmuster von Roman und "Plot" stecken. Über Gott und die Welt (den Trabant, Stinkboviste, Wolfram Siebeck) wird mit einer Aufgeräumtheit schwadroniert, die man bei Zimmern eher schätzt denn bei Romanen. Von Doderer, von dem die Autorin manches entwendet und in ihrem Debüt angewandt hat, ist fast nur eine Duftspur geblieben: das Lavendelwasser.

Auf Seite 487 betritt Verena Roßbacher am Ort des Showdowns höchstpersönlich das Tableau ihrer Geschichte, doch auch die egozentrische Geste verweist seltsam ins Leere. Angesichts der überaus redseligen Burschen kapituliert die Erzählerin angeblich "in völligem Unvermögen, einen gewaltigen Redeschwall zum Stoppen zu bringen", den in Wahrheit sie selbst hervorbringt. Nun hat das retardierende Moment auch in der Epik seinen Reiz, aber 631 Seiten retardierende Momente? Vielleicht wäre so etwas wie ein Erzählanliegen doch ganz gut.

Rebellion gegen Austriazismen

Die Autorin hat all diese Einwände freilich im Buch vorweggenommen, sich als wahre Jeanne d'Arc der literarischen Schwatzhaftigkeit mit Selbstkritik gepanzert, die sie dem den Schreibprozess begleitenden Verlagslektor Olaf in den Mund legt. Just die Werkstattgespräche mit ihm sind die besten und lebensprallsten Passagen des Romans, der viel Halblustiges und manch Ganzlustiges enthält: "Versuch bitte nicht, witzig zu sein, so was liegt dir nicht."

Olaf hält der Autorin auch vor, dass Österreich schlecht wegkomme, was sie "sprachlos" macht. (Mitnichten!) In der Tat hat der "Österreichflüchtling" Stanjic einen rot-weiß-roten Abnabelungskomplex, den er vermutlich mit seiner Schöpferin teilt, deren Erstling - auch in dieser Zeitung - dafür kritisiert wurde, dass die Stammgäste des Wiener Kaffeehauses reden wie Hannoveraner. Nun rebelliert Stanjic, etwas kindisch, ausgerechnet in Berlin gegen Austriazismen. Die übrigen Seitenhiebe bedienen bekannte Reflexe vom Schnitzelland bis zum Fritzl-Land oder sind schlecht gezielt, wenn etwa Sydow den Staat, dessen Restitutionsgesetz europaweit als Pioniertat gilt, als Raubkunstparadies verhöhnt. "Was das in Österreich wieder für Rezensionen hervorbringen wird", ahnt Olaf. Doch von solchem Trauma lässt sich die Rezensentin auch nicht "den Schneid" (in Deutschland männlich) abkaufen.

Apropos Schneid. Grund für den Verdacht gegen Simon ist ein Text, den David in dessen Computer gefunden hat: "Schlachten. Ein Alphabet der Indizien", eine Vergewaltigungsfantasie über Mariä Verkündigung, hat auf Olafs Geheiß nicht Eingang in den Roman gefunden - aus gutem Grund: Alle Indizien sprechen dafür, dass es jener überschießend expressionistische Text mit demselben Titel ist, den Roßbacher beim Bachmannwettbewerb 2010 zu ihrem erheblichen Nachteil expressionistisch überschießend vorgetragen hat.

"Darf sich ein Buch vielleicht alles erlauben?" Wenn es entweder Dringlichkeit vermittelt oder brillant ist, ja. Dieses ist irgendwo zwischen Chronik eines angekündigten Todes, Emil und die Detektive und Die drei ??? und das Schloss im Osten im mecklenburgischen Moor steckengeblieben.

Für den Leser, von der Schule der Geläufigkeit ermattet, vom vielen Kuchen mehr als satt, empfiehlt sich "Roßbachers Magenbitter" - auch diesen Witz hat die Autorin sicherheitshalber gleich selbst gemacht. (Daniela Strigl, Album, DER STANDARD, 31.5./1.6.2014)