Das lange Warten hat sich gelohnt. Hat es? Fast schon seit Ewigkeiten hat der finnische Lauf- und Sportcomputerhersteller Polar den Launch seines neuen Flaggschiffs, der Polar V800, angekündigt - und immer wieder verschoben. Nun ist es so weit. Aber: Ist diese Uhr wirklich schon fertig?

Wenn eine Geschichte mit "eigentlich" beginnt, bedeutet das nichts Gutes. Und eigentlich müsste dieser erste Test mit "eigentlich" beginnen. Bloß: Das wäre unfair. Denn die V800 ist nicht nur eigentlich, sondern tatsächlich ein geiles Teil. Ein feiner High-End-Wecker für Läufer, Radfahrer, Schwimmer, Triathleten, Inlineskater und sonstige Multisportler (und natürlich auch -innen).

Schließlich kann die Uhr alles und mehr von dem, was ihre Vorgängermodelle schon auf hohem und höchstem Niveau zustande brachten. Aber eben oft separat. Die V800 kombiniert nun viel von dem, was diese Polaruhren konnten, aber nicht in ein gemeinsames Gehäuse brachten. Beispiele? Gelaufene Höhenmeter verriet mir mein letzter Polarwecker (die RCX 5) erst nach dem Hochladen der Daten. Schritte bewerten konnte er nur, wenn ich aufs GPS verzichtete. Schwimmen ging nur ohne GPS ... Multisportanwendungen waren mühsam ... Streckenkombinationen ... und so weiter.

Nicht, dass ich das alles wirklich bräuchte. Nur: Derlei und mehr schaffen Mitbewerber halt schon lange. Doch Polar trat auf dem Stand. Und kündigte an. Und kündigte an. Und kündigte an. Seit mehr als einem Jahr hieß es, die V800 werde "bald" kommen. Im Winter wurden dann erste Presseaussendungen in die Welt geblasen. Angekündigtes Releasedate: frühes Frühjahr.

Im Frühjahr 2014, auf der ISPO, wurden Prototypen hergezeigt. Journalisten durften die Uhr kurz anfassen - und die Pressetexte nochmals abschreiben. Einzelne ausgewählte und einflussreiche Blogger (etwa DC Rainmaker) durften Betabetabeta-Versionen testen. Aber abgesehen davon wurde vor allem eines getan: vertröstet. Das sorgte für Verstimmung. Aber auch für Erwartungen. Hohe Erwartungen. Sehr hohe.

Vor zwei Wochen kam dann wieder einmal eine Ankündigung: "Wir warten auf deine Uhr - und schicken sie dann gleich weiter. Haben wir deine Postadresse?" Ja, habt ihr. Schau ma mal ...

thomas rottenberg

Umso größer war meine Überraschung, als tatsächlich das Päckchen ankam. Und so klobig-retro, wie manche Kollegen befürchtet hatten, sieht das Baby gar nicht aus. Es fühlt sich auch nicht so an. Und schon beim ersten Einschalten war klar: Das Ding dürfte einiges können - und sich trotzdem intuitiv und logisch bedienen lassen. (Zumindest dann, wenn man mit der Logik von Laufuhren halbwegs vertraut ist und sich darüber hinaus an herstellerspezifische Menüleitsysteme gewöhnt hat.)

Personalisieren der Uhr: kein Problem. Download und Anmeldung bei der Polar-Trainingsplattform "Flow": Kindergeburtstag. Download der Flow-App aufs Smartphone: detto. Das Personalisieren und Parameterfestlegen: ein Spaziergang. Schon die erste Synchronisation klappt klaglos - und lässt vieles erwarten: Die Daten aus der Uhr lassen sich "on the go" per Bluetooth mit der App syncen - und die schickt dann alles weiter an die Flow-Webplattform. Super. Das teile ich doch gern meinen Freunden in den sozialen Netzen mit. Nur: Wo ist da rasch der "Share"-Menüpunkt?

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Egal - den finde ich später noch. Jetzt einmal raus zum Laufen. Wiener Zoolauf ist heute. Das GPS findet den Standort schnell. Der Brustgurt wird auch sofort erkannt. Und los! Nach ein paar Minuten der erste Blick auf den Wecker. Alles bestens: Display 1a, superleserlich. Gute Kontraste. Auch im Halbdunkel der "Tunnel" im "Tropenhaus". Egal ob ich auf die individuell einstellbaren Displayfenster drei oder vier Funktionszeilen draufgesetzt habe.

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Das übliche Anzeigeprogramm (Zeit, Puls, Strecke, Pace) ist da. Die barometrisch generierten Höhenangaben (rauf, runter, absolut, Steigung) machen mich glücklich: ENDLICH! Zwischen den Seiten und Menüpunkten zu navigieren ist einfach und logisch. Der Tapscreen - etwa um Runden zu nehmen - erklärt sich von selbst. Freude. Große Freude. Schöne neue Laufuhrenwelt! Kalorien, Rundenzeiten, Maximalgeschwindigkeiten, Durchschnittspace und sonstiger Schnickschnack sind natürlich auch da, interessieren mich aber gerade nicht. Nur beim Schrittzähler dürfte ich was falsch eingegeben haben: Schrittgeschwindigkeit und -länge werden nicht angegeben. Hm. Ist wohl mein Fehler.

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Schon in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause lade ich die Daten von der Uhr in die App. Ein Knopfdruck. Klappt super: Streckengrafik, Rundenzeiten und sonstige Werte sind ebenso schnell und übersichtlich da wie die Auswertung von Trainingseffizienz und  vorgeschlagene Erholungszeiten. Und im Activity-Log der App finde ich sogar die Zahl der zurückgelegten Schritte - praktischerweise gleich mit meinen sonstigen heutigen Aktivitäts- und Inaktivitätszeiten kombiniert. Geil! (Das mit der Schrittlänge und -intensität muss ich auf der Uhr also wirklich irgendwo falsch eingegeben haben.)

Foto: thomas rottenberg

Daheim, am Rechner, ist dann alles nicht nur noch umfangreicher und übersichtlicher als auf der App, sondern auch wirklich schlüssig, tiefgreifend und doch leicht verständlich aufgedröselt. Und: Es ist da, sobald ich die Polar-Flow-Seite hochfahre - die App hat die Daten brav weitergeleitet.

Aber am lustigsten: Es gibt da einen Button "Relive" - da wird mir der Lauf als animiertes Filmchen nochmals vorgespielt. Inklusive Videoeinsprengseln von Bildern der belaufenen Region. Braucht man zwar genau überhaupt nicht - aber auf Facebook werden ein paar Freunde ihren Spaß haben. Wo ist rasch noch mal der Share-Button? Und wenn ich die Daten gleich auf die Polar-Personal-Trainer-Website spiele, kann ich sie auch gemeinsam mit meinen alten Trainingsläufen auswerten. Der Export-Button ist sicher dort, wo die anderen "Sharing"-Funktionen sind. Aber: wo?

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Nein, bedauert Julia Fuchs, es liegt nicht an meiner Blöd- oder Blindheit, dass ich diese Bereiche nicht finde: Exportieren, teilen und ins Web 2.0 stellen funktioniert "derzeit" leider noch nicht, erklärt die Sprecherin von Polar Österreich. Nein, auch nicht über Umwege. Und, nein, auch nicht von der einen Polar-Trainingsplattform auf die andere. "Wir arbeiten daran", sagt Fuchs - und ich höre zwischen den Zeilen das Wort "fieberhaft". Termin kann sie trotzdem keinen nennen, angepeilt sei der September. Und, räumt Fuchs ein, Social-Media- und Export-Funktionen sind nicht alles, was der V800 noch fehlt. "Es werden noch einige Funktionen nachgereicht werden und über Firmware-Updates hochladbar sein."

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Die Schwimmfunktion könnte eine davon sein: Während andere Hersteller in ihren Uhren längst Armzüge oder Bahnen mitzählen, kann das die V800 bis dato nicht. Und der GPS-Sensor, schreibt jedenfalls DCRainmaker (ich selbst habe es noch nicht probiert) verliert beim Schwimmen in offenen Gewässern jedes Mal die Verbindung zum Satelliten, wenn der Arm ins Wasser taucht. Aber immerhin: Die Pulsmesserei funktioniert im Unterschied zu vielen anderen Multisportuhren klaglos. (Solange der Brustgurt beim Schwimmen nicht verrutscht. Das ist aber ein Figur- und kein Gerätethema. Respektive des Gewandes: Damen sind da klar im Vorteil - und mit einem Triahtlon-Anzug hätten auch Herren kein Problem. Mal abgesehen vom Gelächter der tatsächlich schnellen Schwimmer, wenn ich mit dem Teil im Pool herumdümple ... )

Zurück zu dem, was fehlt: Integrierte Schrittzählerei etwa. Die steht aber nicht auf der Todo-Liste der Finnen. Obwohl etwa Garmin längst Schrittlänge und -frequenz über die Uhr am Handgelenk misst und damit argumentiert, dass der Arm sich ja gerade beim Laufen supersynchron zum Bein bewege, setzt Polar weiterhin auf Fußsonden. "Unsere Techniker sagen, dass das präziser und verlässlicher ist", erklärt Fuchs. Ich habe noch keine passende Sonde - aber dem Vernehmen nach soll auch beim V800 dann ein altes Leid wieder auferstehen: Die Uhr nimmt nicht GPS-Daten und Schrittfrequenz und berechnet daraus dann Schrittlänge, Tempo und Pace - sondern arbeitet, sobald der Fußpod angeschlossen ist, nur mit den Pod-Daten. Allerdings wird der Pod bei jedem Lauf zu Beginn per GPS kalibriert. Hm. Ich bin skeptisch. Aber: Mal sehen ...

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Wieso aber zeigte die App dann trotzdem Schritte an?

Nun, aus dem gleichen Grund, wie die V800 nicht ins etablierte und gut eingeführte Polarpersonaltrainer-Portal integriert ist, sondern nur mit der neueren Polar-Flow-Webseite spricht: Die neue Profisportleruhr integriert auch alle Funktionen des "Polarloop", also des Aktivity-Trackers, den Polar zu Jahresbeginn auf den boomenden Markt der "soften" Fitnesstools brachte.

Der "Loop" - und somit auch die V800 - zeichnet den gesamten Tag über alle Aktivitäten und Inaktivitäten auf: Sitzen, Gehen, Arbeiten, Laufen oder Liegen. Hängt das Ding am Handgelenk weiß es Bescheid - und wertet aus. Wer zu lange sitzt wird ge- oder verwarnt. Für Couchpotatoes eine brauchbare Motiavtionshilfe, statt des Liftes doch eimal die Treppe zu nehmen, ok. Aber wo liegt da der Nutzen für ohnehin aktive Menschen?

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Ganz einfach: In der Gesamtbewegungsstatistik - und bei der Auswertung der Erholungsphasen. Denn es macht einen Unterschied, ob man nach einem Tempoworkout mit dem Rad zwischen Trainingsstrecke, Dusche, Arbeitsplatz und Ausgehorten herumkurvt - oder den Rest des Tages sitzend am Schreibtisch verbringt. Außerdem gibt es Leute, die sowas interessiert. Gerade im Fitnesssektor. Und: Polar hofft natürlich, dass die User die Uhr dann eben auch im Alltag tragen. Als Testimonials und Werbeträger.

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Freilich: Gerade bei dieser Klientel dürfte sich der finnische Marktführer am Sportuhrenmarkt mit der fehlenden Web-2.0-Tauglichkeit des sonst so suprigen Tools ins Knie schießen. So wie schon vor Jahren, lange bevor man Daten auf Webportale hochlud und man im Polar-HQ schlicht und einfach darauf verzichtete, die Polar-Traininsgssoftware auch für User von Apple-Computern verwendbar zu machen - und etliche Kunden zu Garmin & Co abwandern ließ. Wieder einmal riskiert man die Abwanderung von Trendsettern und Early Adoptern.  Schließlich werden User eher nicht einsehen, wieso das, was ganz selbstverständlich über die "Polarpersonaltrainer"-Seiten funktionierte - das Teilen ihrer Traininsgergebnisse und Routen auch mit Menschen außerhalb der Polar-Community nämlich - auf einmal nicht mehr oder noch nicht gehen soll.
Schließlich kauft der Durschschnittssportler so ein (mit Pulsgurt) fast 500 Euro teures Gerät ja nicht, weil er es tatsächlich braucht (oder je voll ausnutzen würde), sondern weil er es will. Als Statussymbol und Imagetransporter. Also auch, um damit anzugeben.
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Das funktioniert mit der V800 im Übrigen super: Als ich beim Wiener Zoolauf das erste Mal mit dem Ding meine Runden drehte, hätte ich den Wecker sicher vier oder fünf Mal beim Laufen verkaufen können. Auch, weil es ihn derzeit noch kaum bis gar nicht im Handel gibt: Das lange Warten, erklärt Julia Fuchs, habe zu extrem langen Wartelisten geführt. Derzeit trügen nur eine Handvoll Menschen die Prestige-Uhr am Handgelenk - und das Abarbeiten der Wartelisten werde sicher einige Zeit dauern.

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Zeit, die Polar hoffentlich nutzen wird – um die V800 fertigzukriegen. Damit sich dann, wenn die Uhr tatsächlich verfügbar ist, die Frage nach dem Wort "eigentlich" vor dem Begriff "super Laufuhr" gar nicht mehr stellt.

polar.com

Was Rottenberg sonst noch so treibt:

derrottenberg.com

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