Erdmännchen haben keine Probleme mit Weisheitszähnen.

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Manchmal weiß der Körper schon mehr als man selbst: Das Durchbrechen der Weisheitszähne soll das ultimative Zeichen dafür sein, nun das Alter erreicht zu haben, in dem der Mensch reif und weise geworden ist – zumindest wenn es nach der Herkunft des Wortes geht. Eine Erinnerung, auf die viele getrost verzichten würden. Andere können das auch: Rund 20 Prozent aller Menschen haben keinerlei Probleme mit den Weisheitszähnen, weil bei ihnen die Zähne mit der Achterposition – von der Kiefermitte aus gerechnet – erst gar nicht angelegt sind.

Meist nicht an der Oberfläche

Null bis vier Weisheitszähne zu entwickeln ist beim Menschen üblich. Sehr selten tauchen sogar sogenannte Distomolaren auf – zusätzliche, noch hinter den Achtern wachsende Neuner oder, noch seltener, Zehner. "Gerade erst war eine Patientin bei uns mit vier Neunern und einem Zehner. Diese Zähne gelangen aber meist nicht an die Oberfläche, sind sehr klein und hätten daher auch keine normale Kaufunktion", erklärt Andreas Moritz, ärztlicher Leiter der Universitätszahnklinik Wien.

Weisheitszähne hingegen haben als Mahlzähne Kaufunktion: Brechen sie problemlos durch das Zahnfleisch, sind sie Bestandteil einer normalen Okklusion, also integriert in das Ineinandergreifen von Ober- und Unterkiefer. Meistens kommen sie zwischen dem 16. und 22. Lebensjahr durch das Zahnfleisch – oder nur teilweise, gekippt oder auch gar nicht, weil sie etwa keinen Platz haben und zurückgehalten werden. Auf dem Röntgenbild lassen sie sich spätestens ab dem 14. Lebensjahr erkennen.

Relikt unserer Vorfahren

Generell sinkt die Zahl der Personen mit angelegten Weisheitszähnen von Generation zu Generation. Der Grund: Die Achter sind ein Relikt unserer Vorfahren. Weil sich die Nahrungsgewohnheiten über viele Jahrtausende verändert haben und kräftiges Kauwerkzeug nicht mehr im selben Ausmaß benötigt wurde, passten sich Gebiss und Zähne der weicheren, gekochten Nahrung an: Der Kiefer schrumpfte, Schneide- und Vormahlzähne verbreiterten sich, doch die Weisheitszähne blieben in den meisten Fällen – als nicht mehr ganz zeitgemäße Anlage.

Da kann es eng werden im Mund – ärgerlich vor allem, wenn Kieferorthopäden Zahnfehlstellungen und Engstände (sogenanntes Crowding) in Jugendjahren bereits behandelt haben. Ob Weisheitszähne geordnete Zahnreihen durch ihr Drängen verschieben können, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert: "Es gibt viele Faktoren, die zum Crowding führen", erklärt Moritz. "Engstände können etwa auch entstehen, wenn ein Patient eine ungünstige Schluckbewegung hat. Der Weisheitszahn ist sicher nicht der Hauptauslöser des Crowdings, kann aber ein maßgeblicher Faktor sein."

Zu den häufigsten Problemen mit den Weisheitszähnen zählen Entzündungen: Wenn der Zahn nur unvollständig an die Oberfläche kommt, bildet sich oft eine Falte in der Mundschleimhaut, in der sich Keime sammeln können. Das kann selbst im hohen Alter noch zu Problemen führen. "Man kann die kapuzenförmige Zahnfleischtasche zwar säubern oder entfernen, nicht immer aber reicht das, und man muss den Zahn ziehen", erklärt Moritz.

Problem Karies

Ungenaue Putztechniken führen außerdem oft zu massiven kariösen Läsionen, die dann eine Zahnentfernung notwendig machen. Ärzte verwenden für die Extraktion einen sogenannten Beinschen Hebel oder etwa einen Drehmeißel und eine Zange. Wenn Achter nicht durchgebrochen sind, klappen die Mediziner das Zahnfleisch auf und fräsen den Knochen, um den Zahn anschließend aus der Alveole – die Vertiefung im Knochen, in der die Zahnwurzel festsitzt – herauszuhebeln.

Weil Weisheitszahnwurzeln oft verkrümmt sind und sogar richtige Haken bilden können, ist es ab und zu notwendig, den Zahn mit dem Bohrer zu teilen, um ihn entfernen zu können. Eine Extraktion kann wenige Minuten bis zu mehreren Stunden dauern, etwa wenn die Wurzel den Nerv umschließt. "Auch primär symptomlose Weisheitszähne können zu großen Komplikationen führen“" erklärt Moritz.

Weniger Komplikationen

Der Aufwendigkeit der OP lasse sich im Vorhinein nicht abschätzen. Manchmal aber erweist sich der Achter als "wahrer Segen", wie der Zahnklinikleiter erläutert: "Man kann ihn transplantieren, um etwa einen völlig zerstörten Sechser zu ersetzen – vorausgesetzt, das Wurzelwachstum des Achters ist noch nicht abgeschlossen, also in der Regel vor dem 18. Lebensjahr." Dann wächst der Zahn an der neuen Position einfach weiter.

Die präoperative Diagnostik, medikamentöse Begleittherapie und gute Nachsorge haben heute die Komplikationsraten nach Zahnentfernungen im Vergleich zu früher deutlich gesenkt. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts sollen Zähne manchmal öffentlich im Wiener Prater gezogen worden sein – zur Volksbelustigung, wie Moritz veranschaulicht. "Ohne Antibiotika und dergleichen konnte das zu massiven Abszessen führen – daran sind Menschen durchaus gestorben." (Sandra Nigischer, derStandard.at, 23.6.2014)