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Die erste Sitzung des neugewählten Parlaments in Bagdad endete vergangene Woche im Chaos. Die für eine Woche danach geplante zweite Sitzung wurde verschoben, gleich um vier Wochen.

Foto: REUTERS/Thaier Al-Sudani

Bagdad/Wien – Hunderttausende Iraker sind auf der Flucht, die Milizen des Islamischen Staats kämpfen mit der irakischen Armee um die Raffinierie in Baiji, der selbsternannte "Kalif" hält eine Predigt in der Moschee von Mossul – und die irakischen Parteien haben ihre für heute geplante Parlamentssitzung verschoben, offenbar gleich um vier Wochen. Das verlautete aus dem Büro von Mahdi al-Hafedh, ehemaliger irakischer Planungsminister und Wirtschaftsexperte mit Unido-Vergangenheit, der bei der tumultuösen konstituierenden Sitzung vor einer Woche zum Alterspräsidenten ernannt wurde.

Premier Nuri al-Maliki hatte vergangene Woche die Erwartung vertreten, die politische Krise werde sich lösen lassen – jedoch mit der Beteuerung garniert, er selbst werde, als Wahlsieger der Parlamentswahlen Ende April, den Anspruch auf das Amt des Premiers nicht aufgeben. Genau das verlangen aber seine politischen Gegner, die Kurden, die arabischen Sunniten, aber auch manche aus dem schiitischen Sektor. Maliki wird persönlich für die Entfremdung der sunnitischen Gebiete verantwortlich gemacht, die dazu geführt hat, dass die Jihadisten des Islamischen Staats die Unzufriedenen für eine Offensive gegen Bagdad einsammeln konnten.

Gratwanderung für Anwärter

An und für sich wäre das politische Prozedere so, dass das Parlament einen Parlamentspräsidenten und danach den Präsidenten der Republik wählen sollte, der danach den Führer des stärksten Blocks mit der Regierungsbildung beauftragt. Gemäß der irakischen Praxis – nicht der Verfassung – läuft es aber so, dass diese drei Posten als Gesamtpaket behandelt werden. Ist ein Posten blockiert, sind alle blockiert.

Die Sunniten, die in den vergangenen Legislaturperioden den Parlamentspräsidenten stellten, wollen nicht mit Maliki zusammenarbeiten. Auch die Kurden, die den wegen Krankheit arbeitsunfähigen Präsidenten Jalal Talabani nachnominieren sollten, haben das nicht getan. Auch diese ethnisch-konfessionelle Verteilung der Posten steht jedoch nicht in der Verfassung.

Das Rätselraten, wer Maliki ersetzen könnte, produziert in den vergangenen Tagen immer wieder dieselben Namen. Am häufigsten genannt wird Tarek Najm, der Kabinettschef Malikis – für den Fall, dass Maliki darauf beharrt, dass zumindest seine "Rechtsstaat"-Allianz, die ja die Wahlen gewonnen hat, den Posten behält. Obwohl er Maliki so nahe steht, soll Najm auch für Maliki-Kritiker – wie Großayatollah Ali Sistani in Najaf – akzeptabel sein.

Als weitere schiitische Kandidaten werden der ehemalige Vizepräsident Adel Abdul Mahdi, aber auch Ahmed Chalabi genannt: Letzterer hat entscheidend zur Konstruktion der falschen Massenvernichtungswaffenvorwürfe gegen Saddam Hussein beigetragen und galt 2003 als der Favorit der USA. Als er politisch völlig erfolglos blieb, machte er eine scharfe Kehrtwende und kam bei den religiösen Schiiten unter. Weiters ist die Rede von Ibrahim al-Jafari (Premier 2005/2006), den aber die Kurden bereits 2006 abgelehnt haben und der für eine aggressive Schiitisierungspolitik verantwortlich zeichnete, und Falah al-Fayyad, Sicherheitsberater der Regierung und aus Jafaris kleiner Partei, einer Abspaltung der Dawa-Partei Malikis.

Kandidatenreigen

Auch der von Maliki ausgetrickste knappe Wahlsieger der Parlamentswahlen von 2010, der säkulare Schiit Ayad Allawi, steht auf manchen Listen. Er wäre aber für die religiösen Schiiten kaum akzeptabel. Dass er ein Konzept zur Rettung des Staates vorgelegt hat, das sich mit Korruptionsbekämpfung befasst, ist nicht ohne Ironie. Seine Regierung - er war 2004/2005 ernannter Premier – galt als ganz besonders korrupt.

Insgesamt ist es erstaunlich, welche Kontinuität der politischen Eliten der Irak in den elf Jahren seit dem Sturz Saddam Husseins schon wieder entwickelt hat. Es gibt kaum neue Gesichter. Dass die Politik auch Familiensache ist, zeigt eine – nicht bestätigte – Meldung, die am Montag besonders durch kurdische Medien geisterte: Maliki habe seinen Sohn Ahmed, genannt "Hammoudi", zum Generalstabschef gemacht. Glaubhaft ist die Nachricht nicht, auch wenn Ahmed für Malikis "Spezialtruppen" - deren Existenz absurd genug sind – verantwortlich sein soll. Ein wichtiger irakischer General, Najm Abdullah Ali, wurde am Montag bei Gefechten nahe Bagdad getötet. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 8.7.2014)