Kussmaul: So toll können neue Lokale in Wien aussehen - wenn ein Baumagnat investiert und die Architekten von BEHF sind.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Gericht aus in krachknusprigem Tempurateig frittierter, mit Ziegenkäse und Altbrot gefüllter, mit Verjus-Rosinen und einer berückenden Kräuter-Zwiebel-Sauce kombinierter Zucchiniblüte.

Foto: Gerhard Wasserbauer

"Kussmaul" leuchtet es in schön geschwungener, für heutige Hirne kaum lesbarer Kurrentschrift über der Bar, die gleichzeitig auch Anrichte für die Küche ist und jene Bühne, auf der Mario Bernatovic endlich den Wirt und Koch im eigenen Lokal geben darf. Bernatovic kochte bis voriges Jahr im Motto am Fluss und tat sich dann mit Johannes Haselsteiner (einem Sohn) zusammen, um endlich ein Restaurant nach seinem Geschmack auf die Beine zu stellen. Ist auch sehr schön geworden, in zwei Flügel geteilt, durch den Gang samt Bar verbunden. Hinten wird auf Designgestühl aus Japan fein diniert, im Cafébereich sitzt man an rohem Holz, um die Kreationen der Patisserie (die noch, hm, ein bisserl am Üben ist) und einfachere Gerichte aus der Bistrokarte zu ordern.

Auf beiden Seiten öffnet sich je ein Wintergarten zur Gasse, einerseits Spittelberg-, anderseits Gutenberg-. Der Name Kussmaul, angeblich auf den Erfinder der Wortschöpfung Biedermeier (Spittelberg!) zurückgehend, wirkt einstweilen sperrig, er wird dem Feinesser aber bald flüssig über die Lippen gehen. So eine metropolitisch vielfältig – und doch wienerisch – angelegte, inspiriert eingerichtete und animierend bekochte Adresse hat die Stadt nämlich schon lang nicht mehr gesehen.

"Kiss the cook"

"Kiss the cook" steht auf Bernatovics Kochjacke, und man gerät durchaus in Versuchung, der Aufforderung nachzukommen. Zum ersten Mal, wenn im Fine-Dining-Bereich das hausgebackene Sauerteigbrot aufgetragen wird, das von einer ganz unwirklichen Knusprigkeit ist, bei gleichzeitig locker saftiger Krume. Das zweite Mal, wenn der Bespoke-Cocktail mit dem Namen des Lokals aufgetragen wird, eine glasklare Kreation aus Wermut, Stangenzeller und Estragon, der in seiner herben, zarten Salzigkeit gekonnt den Magen öffnet.

Drei Menüs à sechs Gänge sollen es werden, einstweilen gibt es aber nur einen Auszug, zu einem Vier- bis Achtgänger zusammengestellt. Aus der Veggie-Ecke etwa ein grandioses Gericht aus in krachknusprigem Tempurateig frittierter, mit Ziegenkäse und Altbrot gefüllter, mit Verjus-Rosinen und einer berückenden Kräuter-Zwiebel-Sauce kombinierter Zucchiniblüte – da hat wer kapiert, wie Essen auch ohne Fleisch groß wird (Bild links). Bachkrebse werden auf Sommergemüse (Minikaröttchen, -zucchini, -rüben und -patissons) gebettet und mit mächtiger, dunkel schillernder Sauce Bouillabaisse übergossen, auch gut. Noch besser ist Bernatovic, wenn er Pasta macht. Rouilleravioli in Erdapfelteig mit Eierschwammerln und einer abermals fast fettfreien Sauce aus Bratkartoffelauszügen etwa, richtig fein gewoben. Oder Schweinsfußragout (ja!) mit einem fantastischen Shitake-Raviolo und knusprigem Schweinskopf-Brötchen, wohl das beste Gericht an diesem Abend.

Café Cool

Im Vergleich dazu wirkt die Cafékarte natürlich simpel, wobei die Sandwiches, Salate und Burger deutlich feinsinniger zusammengestellt sind, als man das sonst erwarten darf – mit der à la minute geräucherten Forelle auf vielfältig köstlichen Gurkensalaten findet sich aber auch hier ein Gericht, das sehr gekonnt ins feine Restaurant hinüberschielt.

Besondere Beachtung verdient auch die Weltläufigkeit der Weinkarte von Sommelier Thomas Juranitsch, der speziell aus Bernatovics kroatischer Heimat ein paar echte Schätze gehoben hat. Nur so zum Beispiel einen Pinot noir 2008 von Tomac aus der Region Jastrebarsko. Von dem hat man zwar noch nie auch nur irgendwas gehört, dennoch schauen sehr viele ganz große Pinot-Namen gegen ihn verblüffend alt aus – wie cool ist das denn? (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 18.7.2014)