Zwischen dem Sockel des CN Towers und dem Lake Ontario schießen Wohntürme wie Pilze aus dem Boden.

Foto: Putschögl

Werbetafel für "The Mercer Condominiums" in der Mercer Street in Downtown Toronto.

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Toronto ist zwar nicht die Hauptstadt, aber ganz zweifellos das wirtschaftliche Zentrum Kanadas. Das gilt insbesondere für das Immo-Business: Der extrem starke Zuzug von mehr als 100.000 Menschen jährlich in die mit dem Umland 5,6 Millionen Einwohner zählende Metropole am Lake Ontario sorgt für enormen Bedarf an Wohnraum.

Dass man diesen Bedarf erkannt hat, zeigt ein Blick vom Wahrzeichen der Stadt, dem 553 Meter hohen CN Tower: Baukräne und unfertige Wohntürme, so weit das Auge reicht. In Downtown werden viele alte Office Towers zu Wohntürmen umgestaltet, und über die ganze Stadt verteilt schießen neue Eigentumswohnungsobjekte, sogenannte Condominiums, wie Pilze aus dem Boden.

Wenige Grenzen

Die Politik setzt dieser stark auf Wohnen fokussierten Hochhausbebauung ohne erkennbare stadtplanerische Gestaltung wenige Grenzen; nur der Grüngürtel um die Stadt ist sakrosankt. Die Grenzen des Wachstums haben vielmehr mit bauwirtschaftlichen Kapazitäten zu tun: Maximal 16.000 Wohneinheiten können jährlich gebaut werden.

Gebrauchte "Condos" in Wohntürmen kosten derzeit im Schnitt 350.000 kanadische Dollar (rund 240.000 Euro) und sind damit für junge Menschen mit Kredit noch leistbar; die halbe Million, die man durchschnittlich für Einfamilien- und Reihenhäuser bezahlt, sind es nicht mehr ganz.

Preise steigen weiter

Dass die Preise noch eine Zeitlang weiter steigen werden, daran zweifelt niemand. Deshalb werden tausende Condos auch als Anlagewohnungen ver- bzw. gekauft. "Die Leute wissen: Selbst wenn sie jetzt 400.000 Dollar für eine Wohnung hinlegen, ist sie in vier Jahren, wenn sie fertig ist, mehr wert", erklärt Anwalt Mark Weisleder, der sich auf Immobilientransaktionen spezialisiert hat.

Dass Ontario und hier natürlich vor allem Toronto unter diesen Umständen auch was das Maklergeschäft betrifft der unangefochtene Hot-Spot ist, ist klar. Obwohl nur 38 Prozent der kanadischen Bevölkerung in Ontario leben, sind in dieser Provinz 55 Prozent der kanadischen Makler tätig, und diese verzeichnen wiederum 43 Prozent aller Verkäufe in Kanada.

Zu viele Makler

39.000 oder 71 Prozent der Makler Ontarios sind beim Toronto Real Estate Board, meist nur kurz TREB genannt, registriert. Bei 90.000 Kauftransaktionen pro Jahr (Einfachzählung) mit einem durchschnittlichen Preis von 560.000 Dollar erreicht das Transaktionsvolumen etwas mehr als 50 Milliarden Dollar. Grob gerechnet blieben für jeden der 55.000 Makler mehr als 40.000 Dollar an Kaufprovisionen übrig - und daneben gibt es noch ein (wesentlich kleineres) Mietgeschäft.

Doch den Löwenanteil der Provisionen streifen jene nur 31 Prozent der Makler ein, die mehr als vier Transaktionen im Jahr abwickeln. David Brown, Executive Vice President bei Remax Promotions und damit so etwas wie der weltweite Marketingchef des Franchise-Netzwerks, weiß über die Zahlen genau Bescheid: Die Topverdiener sind jene sechs Prozent, die jährlich 17 oder mehr Transaktionen abwickeln. 30 Prozent oder fast 12.000 Makler machten im Vorjahr überhaupt keinen Abschluss, 39 Prozent bzw. 15.000 schafften nur ein bis vier Stück.

"Von den 55.000 Maklern in Ontario verdienen wahrscheinlich nur 20 Prozent wirklich viel Geld damit", schätzt auch Anwalt Weisleder. "Ein großes Problem sind Teilzeitmakler, die von den relativ hohen Provisionen angelockt werden, dann aber unterschätzen, wie viel Arbeit das tatsächlich ist." Dieses "Glücksrittertum" ist auch daran schuld, dass das Image der Makler in Toronto so schlecht ist wie in Wien.

MLS als Rückgrat

Das kanadische Makler-Business selbst funktioniert aber wesentlich anders. Dort steht mit dem sogenannten MLS ("Multiple Listing System") so etwas wie ein elektronisches Rückgrat zur Verfügung. Eine so umfassend das Geschäft bestimmende Software gibt es in Österreich - zumindest noch - nicht. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass in Kanada Doppelvertretungen - bei denen ein Makler beide Seiten vertritt - die Ausnahme sind. Im Regelfall beauftragen Verkäufer und Käufer jeweils einen eigenen Makler.

Sucht ein Abgeber einen Makler, lässt er mindestens drei - meist ortsansässige - Makler zu einem Präsentations-Wettstreit antreten, der etwa eine Erfolgsbilanz über die zuletzt begleiteten Transaktionen beinhaltet sowie eine Auflistung dessen, was er an verkaufsfördernden Maßnahmen plant (wo wird inseriert, wird ein Homestaging durchgeführt etc.). Nur ein Makler erhält den Auftrag, das Objekt im MLS zu "listen".

Großer Vorteil

Und hier kommt der möglicherweise größte Vorteil des MLS zum Tragen: Kaum einmal komme es dadurch nämlich zu signifikant überschätzten Marktpreisen - weil sämtliche Kaufpreise der letzten Jahre nach Adressen geordnet verfügbar sind. "Ich kann jeden Quadratmeterpreis für jedes Stockwerk in meinem Viertel nennen", sagt Broker Henry Balaban. Er führt mit Sutton Group Associates eines der größeren Brokerhäuser mit 130 "Agents" (Maklern). Diese sind selbstständige Unternehmer und müssen bloß 350 bis 1.000 Dollar jeder erhaltenen Provision an Sutton abliefern.

Der möglicherweise bedeutendste Unterschied zu Österreich ist aber der, dass die Immobilienwirtschaft in Toronto mit dem TREB eine äußerst gut organisierte und durchsetzungsfähige Vertretung hat. Geldstrafen für nicht kooperative oder sich gar ungesetzlich verhaltende Makler sind gar keine Seltenheit, bei schweren Verfehlungen kann dies bis zum Verlust der Lizenz führen, erklärt Geschäftsführer John DiMichele - in Extremfällen sogar zum Verlust der Lizenz des Brokers.

Ähnliches Modell in Österreich

Der Wiener Unternehmer Roland Schmid, der mit ImmoUnited seit mehreren Jahren den heimischen Markt mit verlässlichen Kaufpreisstatistiken beliefert, inspizierte bereits mehrmals das kanadische System, kürzlich auch begleitet von Journalisten. Mit seiner jüngsten Firmengründung, imabis, würde er gerne ein ähnliches Modell in Österreich auf die Beine stellen.

Ein erster Anlauf dazu vor sechs Jahren scheiterte am Widerstand der Makler, nun setzt er darauf, "dass durch Transparenz und Kooperation eine Win-win-Situation entsteht". Mehr Alleinvermittlungsaufträge für Makler (derzeit nur 35 Prozent) sieht er dabei als Hebel, außerdem will er durchsetzen, dass die Nennung der konkreten Adresse in Immobilieninseraten der Normalfall wird - um sie später mit den Kaufpreisdaten "matchen" zu können. Dass sich die Adressangabe auch in Toronto erst in den 1990er-Jahren durchsetzte, ist ihm ein Ansporn. (Martin Putschögl, DER STANDARD, 18.7.2014)