Hannes Sulzenbacher und Albert Lichtblau (re.) sollen Österreichs Ausstellung im KZ Auschwitz neu gestalten und wollen auch die Täter benennen: "Hier brechen wir ein Tabu."

Foto: Der Standard/Urban

"Natürlich war der Heldenplatzjubel Vorbedingung, aber in Auschwitz zählt: Essen, Trinken, Kleidung und Überleben."

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"Es ging viel Terror von unserem Land aus, die dazugehörige Ideologie auch: Es wäre höchste Zeit, sich dem zu widmen."

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STANDARD: Sie haben den Wettbewerb für die Österreich-Ausstellung im KZ Auschwitz gewonnen. Den meisten Österreichern ist diese Fläche im Block 17 als Standort gar nicht bekannt, wieso eigentlich?

Sulzenbacher: Er ist in der Wahrnehmung in Österreich tatsächlich nicht präsent. Das hat einerseits mit der Abwehr bestimmter Themen zu tun, aber auch damit, dass österreichische Schulen das KZ Mauthausen besuchen. Wenn es um die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager geht, steht das heimische KZ im Vordergrund.

STANDARD: Das Gleiche könnte für Deutschland gelten. Aber die sind bei den erhobenen Besucherzahlen in Auschwitz im Spitzenfeld, Österreich auffallend weit hinten.

Lichtblau: Mittlerweile wird versucht, Schulklassen nach Polen zu bringen. Gäbe es das nicht, wäre es noch weniger. Uns stellt sich die Frage, wie eine neue Ausstellung diesen Ort besser im Geschichtsbewusstsein der Menschen etablieren kann.

Sulzenbacher: Vermutlich ist in Deutschland das Interesse größer, nicht nur anhand eines exemplarischen Lagers die Struktur von Konzentrationslagern kennenzulernen, sondern auch das Vernichtungslager gesehen zu haben. Das hat sicher etwas mit dem Selbstverständnis der Täternation Deutschland zu tun.

STANDARD: Die österreichische Sicht spiegelte auch die alte, nun verräumte Ausstellung wider: Österreich als erstes NS-Opfer.

Sulzenbacher: Sie stammte aus dem Jahr 1978 und hat den Geist dieser Zeit geatmet. Man hat die Täternation abgestreift und Wert darauf gelegt, wie etwa der Widerstand in Österreich war. Auch die Spanien-Kämpfer waren Thema. Es galt, neben der Vermittlung von Geschichte auch dem Ansehen Österreichs zu dienen.

STANDARD: Kurz vor der Demontage gab es noch eine Zusatzinformation zur falschen Opferthese.

Sulzenbacher: Ja, Österreich wollte das aber länger. Das staatliche Museum Auschwitz lässt solche Interventionen nur ungern zu, um nicht in aktuelle politische Debatten zu kommen. Deshalb wird keine Geschichte nach 1945 erzählt.

STANDARD: Dann können kaum Kontinuitäten gezeigt werden.

Sulzenbacher: 1945 ist die magische Grenze, die eingehalten werden muss. Es sollten Selbstdarstellungsexzesse verschiedener Länder, wie toll sie denn den Nationalsozialismus verarbeitet haben, verhindert werden. In der Gedenkstätte von Auschwitz wird nur von Auschwitz erzählt.

STANDARD: Wie wollen Sie mehr Österreicher erreichen?

Lichtblau: Unsere ursprüngliche Konzeption hat den wenigen Besuchern aus Österreich Rechnung getragen. Es war klar: Wir müssen Auschwitz nach Wien bringen.

Sulzenbacher: Es hieß nicht ohne Grund "Entfernung. Österreich in Auschwitz. Auschwitz in Österreich". Den letzten Teil gibt es jetzt nicht mehr, weil nur der Block 17 der alleinige Gegenstand der Ausschreibung war. Das Konzept hätte vorgesehen, dass im Block 17 die Geschichte der Österreicherinnen und Österreicher in Auschwitz und an einem Ort in Wien, am sinnvollsten wohl auf dem Heldenplatz, die parallelen historischen Ereignisse auf dem Gebiet von Österreich erzählt werden. Mittels Videoinstallation hätten dann diese an den jeweils anderen Ort projiziert werden sollen. Ein Ausstellungsbesucher in Wien hätte so über Projektionswände den Innenraum des Blocks 17, die Ausstellungsstücke wie auch die dortigen Besucher in Echtzeit gesehen und umgekehrt.

STANDARD: Noch gibt es nicht einmal ein Modell, wie soll die Ausstellung jetzt aussehen?

Sulzenbacher: Ab 2016 sieht der Auschwitz-Besucher zwar weiterhin auch die projizierten Objekte, die Österreich betreffen, er kann dann aber hinter die Wand gehen - und da ist dann nichts. Alles, was Österreich war, ist weg, ist Erinnerung, Chimäre. Hier ist nur das System Auschwitz relevant. Natürlich war der Heldenplatzjubel um Adolf Hitler Vorbedingung, aber in Auschwitz zählt: Essen, Trinken, Kleidung und Überleben. Da ist selbst der Jubel nur auf einer Erinnerungsebene vorhanden.

STANDARD: Werden auch die österreichischen Täter benannt?

Sulzenbacher: Das steht unmissverständlich im Konzept. Im Mittelpunkt bleibt das Opfergedenken. Aber wir werden die erste Länderausstellung sein, die sich dem Täterthema direkt stellt. Hier brechen wir ein Tabu.

Lichtblau: Wenn man es schafft zu zeigen, dass es keine Opfer ohne Täter und Täterinnen gibt wie auch Grauzonen und Handlungsspielräume, dann wird wirklich Elementares vermittelt.

STANDARD: Werden die einzelnen Opfergruppen separat behandelt?

Sulzenbacher: Das haben wir noch nicht entschieden. Es gibt auch Opfergruppen, zu denen es vermutlich nicht einmal ein Objekt gibt. Denken Sie an die schwierigste, aber auch größte Gruppe der Juden, die keiner kennt. Jene Menschen, die an der Rampe selektiert wurden. Was soll man zeigen, wenn gerade einmal die Namen bekannt sind? Gleichwohl verdienen sie gebührend Raum.

STANDARD: Einen großen Anteil der Opfergruppe stellen Roma und Sinti dar, ihrer wird am Samstag gedacht.

Lichtblau: Es ist völlig klar, dass wir allen Opfergruppen einen Namen geben. Das darf gar nicht anders sein. Ausstellungstechnisch ist das Problem, eben Objekte zu finden.

STANDARD: Das erste Deserteursdenkmal wird in Wien errichtet, der Heldenplatz wird neu gestaltet. Gibt es jetzt eine Art Umdenken?

Sulzenbacher: In Wahrheit ist die Ausstellung in der Gedenkstätte in Auschwitz eine der wenigen Unternehmungen dieser Art, die der Bund durchführt. All die erwähnten Mahnmale sind städtische Projekte - ein Moment, über den ich mich selbst wundere.

Lichtblau: Es gibt vielerorts Holocaustmuseen und Museen, die sich mit Gewaltgeschichte auseinandersetzen. Österreich ist davon weit entfernt. Bei uns muss Mauthausen alles abdecken.

Sulzenbacher: Es gibt keine große Erzählung des Landes. Es wird aber der Salzburger Deserteure oder der Tiroler Homosexuellen nicht gedacht, weil das Ding in Wien steht und die Wiener Opfer betrifft. Es heißt: Denkt euch mit!

STANDARD: Braucht es ein "Haus der Geschichte"?

Lichtblau: Es brauchte einen Ort, der sich mit Gewaltgeschichte beschäftigt. Das ist etwas anderes.

Sulzenbacher: Es geht nicht um das nationale Selbstverständnis.

Lichtblau: Wie wäre das? Ein Raum, in dem der Holocaust abgehandelt wird? Es ging viel Terror von unserem Land aus, die dazugehörige Ideologie auch: Es wäre höchste Zeit, sich dem zu widmen.

STANDARD: Gibt es dafür Interesse in der Bevölkerung?

Sulzenbacher: Das Interesse muss geweckt werden. Wir tragen gern dazu bei.

Lichtblau: Es gibt Umfragen, wonach viele sagen, nichts mehr über die Nazizeit hören zu wollen. Trotzdem müssen wir uns damit auseinandersetzen. Was einmal geschehen ist, kann immer wieder geschehen.

Sulzenbacher: Vorurteile zeigen sich als langlebige Phänomene.

Lichtblau: Sie sind Klebemittel und dienen der Selbstdefinition: Sie schaffen ein "Wir", und sie schaffen ein "die Anderen", die dann abgewertet werden. Selbst wenn sie nicht artikuliert werden, werden sie beispielsweise familiär weitergetragen. Irgendwann kommen sie wieder hoch. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, DER STANDARD, 31.7.2014)