Stilikone Caroline de Maigret: "Auch in der Modewelt darf man jetzt älter werden."

Foto: Stefan Armbruster

STANDARD: Seit ein paar Jahren werden Sie als Stil-Ikone gefeiert. Wie kommt man zu dieser Ehre?

Caroline de Maigret: Keine Ahnung! Es kommt mir ein bisschen absurd vor. Ich trage Sachen, die gut an mir aussehen und die mir gefallen. Und ich schaue gut aus, weil ich mich wohl- fühle in den Sachen, die ich trage. Gott sei Dank gelte ich als Stilikone und nicht als Modeikone.

STANDARD: Sie tragen dennoch zumeist Designerkleidung.

de Maigret: Ja, es ist natürlich fein, dass ich viele Kleidungsstücke geschenkt bekomme. Ich schaue mir jede Saison ein paar Modeschauen an. Meist suche ich mir ein, zwei Stücke aus, die zeitlos und nicht im Trend sind. Extreme Outfits interessieren mich nicht. Meine Kleiderbasis sind und waren immer schon T-Shirts und Lederjacken.

STANDARD: Den Pariserinnen wird von jeher dieser unglaubliche Stil und Chic zugesprochen. Wie sehen Sie das?

de Maigret: In anderen Ländern ist es vielleicht normal, sich mit teuren Kleidern zur Schau zu stellen. Hier in Frankreich sind wir kaum von Marken besessen und protzen nicht gerne mit dem letzten Schrei. Das gilt bei uns - wie wohl auch in Österreich, denke ich - als vulgär. In Paris tragen Frauen in erster Linie ein Selbstbewusstsein zur Schau, das nichts mit Kleidung zu tun hat. Vielleicht wirkt unser Stil deshalb so unangestrengt und lässig. Ich trage gerne ein gut geschnittenes Teil aus erstklassigem Material und glaube nicht daran, dass mich die neuesten Jimmy-Choo-Schuhe zu einer schickeren Frau machen.

STANDARD: Gab es für Sie nicht einmal als Teenager gewisse Marken, die Sie tragen mussten, um sich als zugehörig, cool oder beschützt zu fühlen?

de Maigret: Damals haben wir uns doch alle eher über Musik als über Mode definiert, oder? Und mit dieser Musik kamen bestimmte Kleidungsstücke. Von Gothic über Reggae zu Rock 'n' Roll bin ich durch verschiedene Musik- und Kleiderphasen gegangen. Jedes Mal änderte ich meinen Stil, bis ich bei Rock 'n' Roll steckenblieb. Ich trug Lederjacken und trage sie bis heute.

STANDARD: Sie wuchsen in einer aristokratischen, eher konservativen Umgebung auf. Das hat Ihren Stil wohl nicht geprägt?

de Maigret: Also Jogginganzüge wurden in unserer Familie mit Sicherheit niemals getragen. Und wenn, dann nur, um darin Sport zu treiben.

Stefan Armbruster fotografierte Caroline de Maigret in ihrer Pariser Wohnung. Sie trägt Chanel.
Foto: Stefan Armbruster

STANDARD: Stil ist also Erziehungssache?

de Maigret: Sicherlich. Stil ist, eine gewisse Haltung zu haben, eine gewisse Einstellung, einen gewissen Lebensstil. Meine Mutter gab mir einen Rat, den ich bis heute befolge: Du kannst jederzeit auf der Straße in die Person hineinlaufen, von der du immer geträumt hast. Also sei bereit. Und sie meinte das in allen Belangen, nicht nur, was das Aussehen betrifft.

STANDARD: Wie Sie aufwuchsen, unterscheidet sich aber doch sicherlich sehr von dem, wie Sie heute Ihr Leben führen.

de Maigret: Hundertprozentig. Ich sah auch, dass viele in meiner Familie unglücklich waren, aufgrund von gewissen Konventionen. Dieses Leben kam für mich nicht infrage. Aber genau aufgrund dieser Erziehung begeisterten mich das Modeln und die Modewelt. Ich traf so viele verschiedene, interessante Menschen aus allen Ländern und sozialen Schichten, von denen ich so viel lernte. Manche sagen, das Modeln sei so langweilig. Ich behaupte das Gegenteil. Ich lerne ständig etwas und habe mein Notizbuch dabei, um mir alles aufzuschreiben, was ich höre.

STANDARD: Hat sich Ihr Stil über die Jahre geändert?

de Maigret: Bis 35 ist es leicht, gut auszusehen. Dann ändern sich der Körper, die Haut und die Haare. Damit muss man lernen umzugehen. Heute gehe ich dreimal in der Woche ins Fitnesscenter und trage ein bisschen Make-up. Auch ziehe ich mich etwas schicker oder "erwachsener" an. An manchen Tagen schaue ich wie eine Geschäftsfrau aus, die die Welt erobern möchte. Das macht mir Spaß. Jeans und Lederjacke trage ich immer noch gerne, da sie zu meinem Lebensstil gehören. Ich hole meinen Sohn von der Schule ab und gehe mit ihm in den Park, da habe ich wirklich keine Lust, in hohen Schuhen herumzustöckeln.

STANDARD: Seit wann arbeiten Sie als Model?

de Maigret: Ich arbeitete viel zwischen 20 und 30. Als Model ist man immer von einem Anruf abhängig. Das ist kein angenehmes Gefühl. Ich bewundere Menschen, die eine Leidenschaft haben, wie mein Mann, der Musiker ist. Ich hatte das nie. Also modelte ich. Aber eines Tages wacht man auf und ist kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau, und denkt sich plötzlich: Und was jetzt? Es ist schwierig, mit dem Modeln aufzuhören, wenn man genug Arbeit hat. Es gibt wenige Jobs, die einem so viel Freiheit geben. Aber es machte mir keine Freude mehr, und es war mir plötzlich auch peinlich zu sagen, dass ich Model bin.

STANDARD: Damals lebten Sie in New York?

de Maigret: Ja, ich lebte ein sehr freies Leben, meine Freunde sind Künstler und Musiker. Wir hatten einen ähnlichen Lebensstil und mussten keinen regelmäßigen Arbeitszeiten nachgehen. Aber ich brauchte Veränderung und ging daher zurück nach Paris. Dort traf ich meinen Mann Yarol Poupaud, und 2006 gründeten wir die Musikproduktionsfirma Bonus Tracks. Und ich wurde Mutter. Unser Sohn Anton ist mittlerweile acht Jahre alt.

STANDARD: Sie sind vor kurzem 39 geworden. Als Model erleben Sie schon seit ein paar Jahren ein großes Comeback. Wie unterscheidet sich der Beruf heute von damals?

de Maigret: Ach, das ist heute ganz anders. Heute werde ich als die Frau fotografiert, die ich bin. Ich habe meinen Stil gefunden. Ich sehe mich nicht mehr als Model. Wenn ich zu einem Job komme, dann werde ich meistens so fotografiert, wie ich bin. Meine Haare werden nicht groß verändert, und ich werde sehr natürlich geschminkt. Ich muss mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob ich Falten habe oder Schatten unter den Augen. Heute akzeptiert man mich so, wie ich bin, und bucht mich deshalb.

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Caroline de Maigret im Vorjahr beim Besuch der Modeschau von Chanel.
Foto: apa/epa/Laurent

STANDARD: Wie kam es zum Comeback?

de Maigret: Vor drei Jahren fragte mich ein Magazin, ob ich während der Pariser Modewoche Interviews machen möchte, mit Schauspielern, Musikern oder Regisseuren, die bei den Schauen in den ersten Reihen sitzen: Mit ihnen sollte ich kurz über Musik und Mode reden. Ein Freund kam vorbei und sagte mir: "Hey, ich habe Karl Lagerfeld für dich. Er kommt in 15 Minuten vorbei." Da wurde ich ganz schön nervös! Aus den jeweils zehn geplanten Minuten wurde ein Stundengespräch. Ein paar Tage später fragte er mich, ob ich bei seiner Modeschau mitmachen möchte. Ich gefiel ihm so, wie ich aussah, und genau so ließ er mich über den Laufsteg gehen. Als ich von anderen Leuten so gesehen wurde, buchten sie mich aus den gleichen Gründen: als eine Frau um die vierzig, die gut aussieht.

STANDARD: Dieses Jahr konnte man Sie in der Louis-Vuitton-Kampagne bewundern.

de Maigret: Es ist sehr schmeichelhaft, wenn man neben Sofia Coppola, Catherine Deneuve und Giselle Bündchen für eine Marke werben kann. Ich empfinde das als Kompliment.

STANDARD: Wie kommen Sie mit dem Älterwerden zurecht?

de Maigret: Ich hatte so viel Glück in meinem Leben. Ich bin in eine gute Familie hineingeboren worden, ich schaue gut aus und habe eine gute Erziehung genossen. Ich altere gut. Bis jetzt zumindest. Cool. Auch Glück gehabt. Heute gefalle ich mir. Aber wer weiß, wie es in ein paar Jahren ist. Vielleicht bin ich dann froh darüber, dass ich mich dafür entscheiden kann, zum plastischen Chirurgen zu gehen, um mich zu verbessern. Wer weiß?

STANDARD: Sie leben heute mit Ihrer Familie in Frankreich. Glauben Sie, dass es in Europa im Gegensatz zu Amerika einfacher ist, älter zu werden?

de Maigret: Menschen in den USA und in Südamerika haben sehr früh das Bedürfnis, ihr Gesicht zu verjüngen. Diese Kulturen sind auf der Suche nach Perfektion. In Europa scheint man dieses Bedürfnis weniger zu haben. Hier ist das Altern ein natürlicher Prozess, den man akzeptiert. Auch in der Modewelt darf man jetzt älter werden. Es ist okay. (Cordula Reyer, Rondo, DER STANDARD, 14.8.2014)