"Mei, is' die großartig!", freut sich der Fahrer eines Land Rovers an der roten Ampel neben mir. "So muass a Motorradl sein! Simpel und ehrlich!" Simpel und ehrlich ist die Yamaha SR400 in der Tat. Nur das, was Motorradfahren in seiner Grundessenz ausmacht. Ok, vielleicht würden ein paar PS mehr nicht schaden am Weg zur Glückseligkeit, aber fehlen tun sie nicht wirklich.

Unverändert seit 1978. Normalerweise kriegen wir in Katalogen Sprüche präsentiert, die suggerieren sollen, dass die Entwicklungsabteilung keine Mühen gescheut hat, um uns die größten Innovationen der Menschheit zur gefälligen Verfügung zu stellen. Nun, genau das Gegenteil ist hier der Fall.

Die einzigen Innovationen der Yamaha SR, die in verschiedenen Kubaturen seit 1978 gebaut wird, sind eine Einspritzanlage und ein Katalysator. Sonst ist alles so, wie sie vor mehr als dreieinhalb Jahrzehnten geschaffen wurde. Nur das Nötigste ist mit an Bord.

Foto: Gianluca Wallisch

Klassiker, nicht Retro. Von den momentan ja sehr angesagten Retrobikes Triumph Bonneville, Moto Guzzi V7, Kawasaki W800 - und mit Einschränkungen die Modelle von Royal Enfield (Bullet, GT undsoweiter) - unterscheidet sich die Yamaha ganz wesentlich: Was da vor uns steht, das ist keine Neuinterpretation oder Neuauflage eines alten Themas... es IST das alte Thema! Ununterbrochen weitergebaut.

Sie ist also mit Fug und Recht eine Klassikerin... und nicht bloß eine, die so tut als ob. Hierzulande findet man immer wieder ganz alte SR-Modelle... oder aber brandneue, denn erst seit dieser Saison wird sie wieder nach Österreich importiert.

Foto: Gianluca Wallisch

Ein Kickstarter ist ein Kickstarter ist ein Kickstarter. Der endültige Beweis dafür, dass die SR400 kein Boboschickimikiretrobike ist, ist der Kickstarter. Ein beherzter Tritt nach unten, Oberkörper leicht nach vorne geneigt, den Blick wie Marlon Brando verwegen in die Ferne gerichtet... und schon springt das Werkl an.

Es empfiehlt sich allerdings, auch einige kleine technische Finessen zu berücksichtigen, sonst gibt's abgerubbelte Schienbeine und zertrümmerte Kniescheiberl...

Foto: Gianluca Wallisch

Das Schauglas zum Erfolg. Zuerst einmal sollte man den Dekompressionshebel am linken Lenkergriff ziehen, um im Brennraum jenen Überdruck abzulassen, der einem das Kickstarten echt vermiesen kann, weil man den Totpunkt nicht niederringen kann.

Also: Hebel ziehen, den Kickstarter laaangsam drücken, bis im Schauglas auf der rechten Zylinderseite (Bild oben) nicht ein schwarzes, sondern ein silbernes Dings erscheint. Kickstarter loslassen und jetzt voll durchtreten. Der Motor springt an, und zwar wie ein alter Steyr-Traktor! Tuuuuc-tuuuc-tuuc-tuc-tuc-tuc-tuc!

Foto: Gianluca Wallisch

Jööö, ein Benzinhebel! Tunlichst hat man diese Prozedur in Getriebe-Neutralstellung oder mit angezogener Kupplung absolviert. Sonst macht die Kleine einen Hupfer, einen Seufzer und einen Umfaller.

Auf der linken Seite unter dem Tank finden wir einen Bezinhahn! Eine augenzwinkernde Hommage an die früheren Zeiten, als alles noch besser war. Als Vergaser ständig absoffen. Und man dann ein Knopferl drücken musste, um den überschüssigen Sprit abzulassen. Und wenn das nicht half, Schlauch und Filter abklemmen musste und die Mopettn auf die Seite legen musste. Was dann den Asphalt oder die Wiese nachhaltig versaute. Von wegen bessere Zeiten!

Foto: Gianluca Wallisch

Endlich fahren! Das Fahren geht dann völlig unkompliziert und unhastig vonstatten. Kein Wunder, dreiundzwanzigkommazwei Pferdestärken holt man heutzutage aus jedem Großstadtroller raus. Es ist aber absolut ausreichend. Auch das maximale Drehmoment - grad einmal 27,4 Newtonmeter bei 3.000 Umdrehungen - geht in Ordnung, sogar im Soziusbetrieb. (Achtung, die SR lässt eine maximale Zuladung von 150 kg zu. Just sayin'...)

Erstaunlich die Solidität der gesamten Mechanik. Das 5-Gang-Getriebe geht butterweich zu schalten. Es gibt vielleicht solche mit kürzeren Wegen, aber einfach so flap-flap-flap machen die wenigsten. Ok, es dürfte sich um ausgereifte Technik handeln, immerhin haben sie 36 Jahre lang dran herumprobieren dürfen.

Foto: Gianluca Wallisch

Es wird getrommelt. Trommelbremsen haben es sehr schwer bei mir. Hängt wohl mit Erfahrungen aus meiner Adoleszenz zusammen. Ich hatte anno 1984/85 eine Garelli VIP3. Schauerliches Design und noch schauerlichere Bremsen.

Doch die Hinterradbremse der SR funktioniert tadellos. Dafür, dass das Hinterrad gern und schnell blockiert, kann die Bremse nichts, eher schon die Metzeler-Gummis. Bevorzugt verzögert man aber auch hier mit der Scheibe vorne.

Foto: Gianluca Wallisch

Ins Land einischaun. Nicht nur der 400er-Einzylinder, auch das ganze Fahrwerk und die Ergonomie überreden dich sanft, aber erfolgreich, zu einer gemäßigten Fahrweise. Alles, was sich im legalen Bereich abspielt, ist gut für die SR. Da ist weder der Murl überfordert noch ächzt das Fahrwerk noch glühen die Bremsen.

Ins Land-einischaun ist genau das, wofür die SR gemacht ist. Schneller? Ja, ein bissl ginge schon noch, aber wozu? Schau lieber, wie schön diese Wiesen und Wälder und Hügel sind!

Foto: Gianluca Wallisch

Über Stadt und Land. Die Domäne der SR ist zum einen die Stadt. Die leichtgängige Schaltung, das recht moderate Gewicht, die niedrige Sitzposition, der schmale Lenker und der sensationelle Einschlagwinkel stellen innerstädtisch eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Scooter-Armada dar.

Außerorts liebt die SR einsame Landstraßen wie jene im Weinviertel und im Marchfeld. Fast automatisch pendelt man sich bei 80 bis 100 km/h ein. Ab hier hilft nur noch der 4. Gang beim weiteren Beschleunigen, der 5. ist dafür zu lang ausgelegt, fast wie ein Overdrive.

Foto: Martina Gangl-Wallisch

Mauerblümchen? Frechheit! Die SR wird original nur in grau oder schwarz verkauft. Wahrscheinlich wissen die bei Yamaha schon, dass ein großer Teil dieser Gefährte sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin umgebaut wird zu einem schicken Café Racer oder einer erdigen Scrambler. Sogar als Bobber verdingt sich so manche SR in ihrem zweiten Leben.

Und tatsächlich: Die SR400 lässt sich - soviel erkennt man schon beim ersten Hinsehen - mit wenigen Handgriffen und Basiswerkzeug im Nu zerlegen. Am Custom-Markt gibt es eine schier unüberschaubare Vielfalt an Teilen, die man einfach nur wieder draufschrauben muss. Ein bissl Farbe da, ein wenig Politur dort, und schon hat man ein neues Bike.

Wem das zu aufwändig ist, der oder die kann den Job auch andere erledigen lassen. Die scheinen das gut zu können. (Im Yamaha-Werksbild eine SR400 GibbonSlap by Wrenchmonkees.)

Yamaha Werk

Die Sache mit dem Preis. Der ist nämlich nicht heiß. Gar nicht: 6.599,- Euro muss man hierzulande hinblättern oder überweisen, um eine SR400 besitzen zu dürfen. Legt man nur vier Hunderter drauf, bekommt man schon die brandneue MT-07. Und die hat ABS. Und bei praktisch gleichem Gewicht drei Mal so viel Kraft. Okay, okay... da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Aber man kriegt bei Yamaha offenbar viel mehr Birnen als Äpfel ums gleiche Geld.

Richtig schlüssig erklären kann sich eine solche Preispolitik wohl kaum. An der aufwändigen Entwicklungsarbeit kann es nicht liegen. Höchstens an den erwarteten niedrigen Verkaufszahlen. Dafür hat man dann aber einen echten - und noch dazu zuverlässigen - Klassiker, um den man bei der nächsten roten Ampel verlässlich beneidet wird...

Foto: Gianluca Wallisch

Technische Daten Yamaha SR400
Motor: Einzylinder-Viertaktmotor
Einspritzung: Ø 34 mm
Kupplung: Mehrscheiben/Ölbad
Bohrung x Hub: 87,0 x 67,2 mm
Hubraum: 399 cm³
Verdichtung: 8,5:1
Leistung: 17,1 kW (23,2 PS) bei 6500/min
Maximales Drehmoment: 27,4 Nm (2,8 mkp) bei 3.000 /min
Schmiersystem: Trockensumpf
Vergaser/Zündung: Einspritzung/TCI
Anlasser: Kickstarter (kein E-Starter!)
Getriebe, Kraftübertragung: 5 Gänge, Kette
Rahmen: Monoschleifenrahmen aus Stahl
Gabel: Telegabel, Ø 35 mm
Bremsen vorne/hinten Ø: Scheibe 298/Trommel 150 mm
Räder: 1.85 x 18; 2.15 x 18
Reifen: 90/100 18; 110/90 18
Bereifung: Metzeler Perfect ME 77
Radstand: 1410 mm
Lenkkopfwinkel: 63,0 Grad
Nachlauf: 111 mm
Federweg vorne/hinten: 150/125 mm
Sitzhöhe: 780 mm
Eigengewicht: 174 kg
Gesamtgewicht: 324 kg (=Zuladung: 150 kg)
Tankinhalt: 12,0 Liter
Öl-Volumen: 2,4 Liter
Service-Intervalle: 10 .000 km
Höchstgeschwindigkeit: 128 km/h
Führerscheinklasse: A2
Preis: 6.599,- Euro (NoVA 6%)

Link
Yamaha SR400 in Österreich


Edit: Bei Foto 2 nach Hinweisen der LeserInnen Relativierung der Aussagen zu Royal Enfield.


Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

Foto: Gianluca Wallisch