Daniel hat ein wesentliches Kriterium gar nicht erfüllt. Rapid ist ihm ziemlich wurscht gewesen. Das Geschwafel über Kult, Religion, Lebensphilosophie ist spurlos an ihm vorbeigezogen. Er kannte es maximal vom Weghören. Massenansammlungen meidet er, auf der Tribüne stehen, Fahnen schwenken und grölen, "war nie meine Welt. Ich mache lieber selbst Sport." Der 29-Jährige rennt gerne, die 100 Meter schafft er in 12,4 Sekunden. Weitspringen kann er auch. Fußballprofi war nie sein Traumberuf, insofern ist egal, "dass ich es nicht geworden bin". Daniel wollte Lkw-Fahrer sein. Hat nicht geklappt, konnte nicht klappen. "Weil ich praktisch blind bin."

Die Trikots finden ihren Weg zur Mannschaft.
Foto: Christian Fischer

Er leidet an Albinismus, einer Erbkrankheit, die – medizinisch laienhaft ausgedrückt – die Haut hell und die Augen in vielen Fällen dunkel macht. Tagsüber sitzt Daniel in der Uni Wien im Callcenter. "Man muss die Dinge akzeptieren, wie sie sind."

Es ist Mittwochabend. Seit Mai sind die Mittwochabende etwas "Spezielles". Das SK Rapid Special Needs Team trainiert von 19 bis 20.30 Uhr neben dem Hanappi-Stadion, das gerade niedergerissen wird. Die Übungsplätze bleiben von den Baggern vorerst verschont. Jakob und Florian denken ab Donnerstag an den Mittwoch. Es sei "wahnsinnig aufregend", das grünweiße Rapid-Dress tragen zu dürfen, sagen sie. Sie haben das Downsyndrom, sind jeweils 18 Jahre alt und praktisch unzertrennlich. Die beiden bekommt man ausschließlich im Doppelpack. Sie lachen gemeinsam, weinen gemeinsam, kicken gemeinsam. "Und Tennisspielen können wir auch gemeinsam." Jakob ist Küchengehilfe beim Plachutta, er putzt das Besteck so lange, "bis es glänzt. Ich darf Reis und Kartoffelpüree kochen. Du glaubst gar nicht, wie gut das schmeckt. Wenn du willst, mache ich dir einmal ein Erdäpfelpüree, das ist echt kein Problem." Florian ist in einer Gärtnerei beschäftigt. Im Herbst, sagt er, sei die Arbeit stressig. "Viel Laub, das hört nie auf runterzufallen, muss aber weg."

Feuer und Flamme

"In diesem Fall spricht man nicht übers Geld."

Rückblick, Sommer 2013. Rapids Generalmanager Werner Kuhn weilte in Liechtenstein, sah ein Turnier von Behindertenteams. "Ich war fasziniert von diesem Teamgeist, dieser Freude, dieser Fairness, dieser Normalität." Die Akteure hatten unterschiedliche Handicaps, körperliche und/oder geistige. Im anglikanischen Raum gibt es diese gemischten Teams schon seit Jahren, bei Arsenal oder Liverpool sind sie eine Selbstverständlichkeit. Kuhn wollte das unbedingt "bei Rapid haben". Akademie-Leiter Peter Grechtshammer war erstens Feuer und zweitens Flamme, das Projekt kam in die Gänge.

Der Grad des Handicaps spielt eher eine untergeordnete Rolle, der Behindertensportverband hat bei der Kicker-Auswahl geholfen. Grechtshammer: "Wichtig war, dass sie sich mit Rapid identifizieren." Der Kader umfasst zumindest 16 Spieler, sie sind zwischen 16 und 35 Jahre alt. Was das Projekt kostet? Kuhn: "In diesem Fall spricht man nicht übers Geld."

Jakob und Florian passen perfekt ins Schema. Sie sind Abonnenten, versäumen praktisch keine Heimpartie der Profis. Steffen Hofmann nennen sie "Fußballgott", auch Terrence Boyd sei super. Dass der mittlerweile für Leipzig stürmt, ist ihnen wurscht oder entgangen. "Man soll die Welt nicht so eng sehen."

Das Mannschaftsfoto von Rapid: In der ersten Reihe sitzen Jakob und Florian (Zweiter und Dritter von rechts).
Foto: Christian Fischer

Irgendein Mittwochabend seit Mai, kurz vor 19 Uhr. Alle sind pünktlich eingetroffen. Disziplin ist wichtig. Wer verhindert ist, muss sich abmelden. Sie fassen Dressen aus, Hektik in der Kabine. Jakob und Florian umarmen Trainer Jürgen Kerber (sie reißen ihn fast zu Boden), fragen, wann es denn endlich losgeht. Kerber sagt: "Gleich." Eine kurze Besprechung, Treppen hoch, raus aufs Feld. Der 29-jährige Kerber ist hauptberuflich Kindergartenpädagoge, betreut seit sechs Jahren die U14 von Rapid. Der gebürtige Vorarlberger strebte eine Karriere als Fußballer an, allerdings übertraf die Zahl der Verletzungen jene der Einsätze.

Trainer Jürgen Kerber bespricht in der Kabine, was im Training zu tun ist.
Foto: Christian Fischer

Kerber ist mittlerweile "süchtig nach den Mittwochabenden". Unterstützt wird er von Matias Costa und Dominik Formann. "Wir wollen zeigen, dass jeder, der möchte, Fußballspielen kann." Das Special Needs Team ist für Kerber "etwas ganz Normales. Es geht darum, besser zu werden, zu gewinnen. Man soll die Leute fordern, nicht überfordern." Natürlich seien gewisse Grenzen gesetzt. Es wird nur auf dem halben Feld gespielt, "das ganze wäre zu groß, zu anstrengend." Die Partien dauern zweimal 15 Minuten. "Ich versuche auch, ihnen Taktik beizubringen. Die Fortschritte sind enorm." Was er selbst von der Arbeit mit den Behinderten gelernt hat? "Demut, Geduld, Menschlichkeit, Glück."

"Demut, Geduld, Menschlichkeit, Glück."

Schlangen sind taub

Erste Aufgabe: "Jeder schnappt einen Ball." Der 34-jährige Owen stammt aus Jamaika. Er ist gehörlos, sieht das Kommando. Der Mann kann kicken, seine Schüsse sind Striche. Er arbeitet im Reptilienzentrum. "Schlangen hören auch nicht", tippt er später in sein Smartphone.

Die Bälle werden eng am Fuß geführt, Doppelpass, Gleichgewichtsübungen, Freistöße, internes Match. Daniel hatte ursprünglich Bedenken. "Ich dachte nicht, dass es funktioniert. Aber es klappt. Die Handicaps werden gegenseitig wettgemacht. Der eine sieht für mich, ich höre für den Tauben und laufe für den, dessen Beine langsam sind." Jakob schießt ein Tor, Florian ist der erste Gratulant, Kerber sagt: "Das schaut nach Profivertrag aus." Jakob: "Wirklich?" Kerber: "Ich werde mit Zoran Barisic sprechen." Fällt einer um, machen die anderen abrupt Pause. Steht er auf, applaudieren sie. Weiter geht’s.

Einblicke in das Training des Special Needs Team: "Es geht auch ums Gewinnen."
derstandard.at/von usslar

Daniel, und wie er die Welt sieht: "Ich erkenne den Ball erst, wenn er knapp vor mir auftaucht. Ich mache ihn aber nicht als Ball aus, sondern als Fetzen. Schwer zu erklären." Sein Erfolg hängt von den Zurufen ab. "Ich weiß, wo das Tor stehen muss, das Gefühl entwickelt man." Daniel hat mittlerweile auch das zweite Kriterium erfüllt. Er war im Rapideum, dem Vereinsmuseum. "Da atmet man Geschichte ein."

Ergebnisse vom Special Adventure Camp.

Das Problem ist, dass das Specials Needs Team keine Gegner hat. Um sich zu messen, muss ins Ausland gereist werden. Im Juni wurde ein Turnier in Liechtenstein und der Schweiz gewonnen. Die Gegner waren Arsenal, Chelsea, FC Zürich, Benfica Lissabon. Rapid hat kein Gegentor kassiert.

20.30 Uhr, Trainingsende. Dressen in den Wäschekorb, duschen. Jakob und Florian sind traurig, Kerber sagt: "Der nächste Mittwoch kommt bestimmt."

Daniel würde übrigens jene berühmt-theoretische Fee, die drei Wünsche vergibt, wegschicken. "Wer will schon das Gewohnte aufgeben? Ich habe, wie jeder andere, Angst vor Veränderungen. Den Mittwochabend will ich aber nicht mehr missen." Jakob sagt: "Ich will im Fußball gewinnen. Aber wenn man verliert, geht die Welt auch nicht unter. Ich koch’ dir dann ein Erdäpfelpüree." (Christian Hackl, DER STANDARD, 17.10.2014)