Die Wiener Schriftstellerin Lotte Ingrisch-Einem wohnt in der Hofburg. Doch die materielle Wohnung bedeutet ihr nicht viel. Warum sie Geister besuchen und sie sich nach dem Jenseits sehnt, erfuhr Wojciech Czaja.

"Ich wohne direkt in der Hofburg. Früher haben mein Mann Gottfried von Einem und ich im dritten Stock gewohnt, wo vor uns der Förster vom Kaiser Franz Joseph, seine Schwiegertochter und zuletzt der Mesner des Stephansdoms hausten. Es war eine schöne Wohnung, aber mein Mann wurde älter, der Lift war oft gestört, so haben wir getauscht und sind ins Mezzanin hinuntergezogen. Die Wohnung hat so um die 100 Quadratmeter, aufgeteilt auf drei große Zimmer. Die Fenster gehen hinaus in den Inneren Burghof, das runde Fenster hinter mir geht sogar direkt in die Michaelerkuppel hinein.

Lotte Ingrisch-Einem in ihrer Wohnung in der Hofburg. Beim Fenster im Hintergrund ist das Kraftfeld am stärksten, meint sie. Hier sieht sie manchmal Geister - von Menschen und Katzen. (Bildansicht durch Klick vergrößern)
Foto: Lisi Specht

Ich fühle mich hier sehr wohl. Es gibt weniger Störfelder als im dritten Stock. Auch die Geister der Habsburger sind im Mezzanin seltener zu Besuch, was wohl daran liegt, dass die Wohnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ununterbrochen als Amt genutzt wurde. Aber ein bisschen spürt man den Atem der Habsburger schon noch. Manchmal bekomme ich Besuch von ihnen.

Hinten neben dem runden Fenster ist das Kraftfeld am stärksten. Da sitze ich manchmal und sehe Menschen und Katzen, die gar nicht mehr hier sind. Und manchmal steht draußen vor der Wohnungstür irgend so eine Wahnsinnige, die mit lauter Orden behangen ist und behauptet, sie sei die Chefin von Österreich. Nein, das erschreckt mich nicht, nicht im Geringsten! Ich mag es, wenn es spukt, wenn die Toten ein und aus gehen. Bis ins zwölfte Jahrhundert war es normal, die Geomantie eines Ortes zu berücksichtigen und die Kirchen und Schlösser danach auszurichten. Ganz offenbar ist diese Energie - nennen wir sie ruhig Geister - heute noch zu spüren.

Besonders wichtig sind mir die Schlaf- und Arbeitsplätze. Ich lege Wert darauf, mich dort aufzuhalten, wo mein Geist funktioniert - an den Kraftorten. Die Möbelstücke stammen zum größten Teil aus dem Dorotheum. Ich habe früher gerne im Dorotheum eingekauft, weil diese Möbel Information speichern und Geschichte besitzen - ganz im Gegensatz zu neuen Möbeln aus dem Möbelhaus, die tot und leer sind. Ich habe die gespeicherten Informationen ganz gern. Ich nehme an, das ist es, was Sie von mir hören wollen, oder? Das Format nennt sich ja Wohngespräch. Also soll ich übers Wohnen sprechen. Denn in Wirklichkeit, um ganz ehrlich zu sein, ist mir Materie vollkommen wurscht.

Schon Buddha hat gesagt: 'Wir erschaffen die Welt durch unsere Gedanken.' Arthur Schopenhauer hat ein ganzes Buch dem Thema 'Die Welt als Wille und Vorstellung' gewidmet. Und die Quantenphysik ist der Meinung, dass wir die Wirklichkeit einzig und allein durch unsere Beobachtung erschaffen. Ich sehe das genauso. Am liebsten würde ich ja aufhören, zu sein, etwas zu sein, Materie zu sein. Am liebsten wäre ich alles und nichts zugleich. Ich hab ja ein heimliches Gspusi mit dem Nirwana. Aber sagen Sie das nicht weiter!

Mittlerweile ist mir die Wohnung viel zu groß - obwohl ich hier mit zwei Katzen wohne, aber was ist das schon im Vergleich zu den 21 Katzen, die ich in meinem Leben schon hatte? Je älter man wird, umso weniger Raum füllt man aus. In unserem Haus im Waldviertel sind die Räume so niedrig, dass sich Gottfried immer den Kopf an der Decke angeschlagen hat. Das ist die richtige Höhe, wenn man alt ist. Ich freue mich schon auf den kleinsten Raum, in dem ich je gewohnt haben werde - auf den Sarg. Ich finde, das ist ein passender Abschluss zu Allerheiligen. Ich wünschte, ich wäre tot. Wenn in Österreich die Sterbehilfe legal wäre, hätte ich mich schon längst für die Müllabfuhr gemeldet. Ich bin 84 und habe mein Lied gesungen. Ende der Vorstellung." (DER STANDARD, 31.10.2014)