Joachim von Zepelin, Verleger von Urs Mannhart, der mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert wird.

Foto: Mathias Bothor

Der 100. Geburtstag von William S. Burroughs ist auch die Stunde von Thomas Antonic gewesen. Der Wiener Literaturwissenschafter, Gründer der Gruppe "William S. Burroughs Hurts", fertigte zum Jubiläum alle ab, die den toten Meister lieben - oder nicht. Am schlimmsten traf es Willi Winkler von der Süddeutschen Zeitung, der zum Jubiläum eher auf Distanz zu Burroughs ging. Winkler habe Unsinn verzapft, sei feige, es fehle ihm an geistiger Brillanz und Rückgrat, und er verbreite aus Faulheit Lügen. Und da war noch etwas: Winkler hatte sich Jahre zuvor nicht dem Protest Thomas Brunnsteiners - eines Journalisten und ebenfalls Mitglieds der Gruppe "William S. Burroughs Hurts" - gegen die Honorarpolitik der Süddeutschen Zeitung anschließen wollen. Also darf Brunnsteiner mit einem Zitat im Burroughs-Text Winkler und all die anderen "Arschlöcher" mit "Abwaschwasser in den Adern" abkanzeln.

Für solche Freundschaftsgesten (Antonic führt auch in Lesungen von Brunnsteiner ein oder lobt ihn in wissenschaftlichen Publikationen) revanchiert sich Brunnsteiner gern, kürzlich etwa in der Presse. Eigentlich ging es um die "Flut schlampiger, ambitionsloser Übersetzungen, mit verhunzten Meisterwerken" finnischer Autoren. Aber es blieb Platz, um mitzuteilen, dass Brunnsteiner sich besonders auf die Lektüre des neuesten Werks von Thomas Antonic freue.

Kein Wunder also, dass nun wieder Antonic ins Gefecht eilte, um "wissenschaftlich" festzustellen, dass Brunnsteiner von unserem Autor Urs Mannhart in dessen Buch Bergsteigen im Flachland bestohlen worden sei. "Fachgutachten" nennt er seine zu den Gerichtsakten gehörende Gefälligkeit, für die er genau die von Brunnsteiner markierten 114 Textstellen als klare Fälle von Plagiat übernahm - ohne Quellenangabe, wie es sich für einen Gefälligkeitswissenschafter gehört. Noch heiterer wird es, wenn er den Duden als Beweismittel zurate zieht. Dann ist alles ganz einfach: Da steht ein Satz, der so ähnlich auch in dem anderen Werk steht. Klarer Befund: Plagiat! Und bitte in Zukunft Brunnsteiner fragen, ob man schreiben darf: Das Kaspische Meer ist ungefähr so groß wie Deutschland.

Antonic, der ausweislich seines Literaturverzeichnisses noch nie etwas zu Urheberrechtsfragen veröffentlicht hat, lässt Fragen, was eigentlich eine geistige Schöpfung genannt werden kann oder wie das Verhältnis von Wirklichkeit und Kunst zu deuten ist, lieber aus. Das ist dem Magister Doktor zu anstrengend, die wischt er weg mit dem Hinweis auf den Fall Helene Hegemann und Axolotl Roadkill. Der ist zwar gänzlich anders geartet, aber sei's drum: Bei Hegemann ging es um 20 Textstellen, bei Mannhart um 114, also stellt der zweite Fall den ersten "wohl deutlich in den Schatten". Wissenschaft kann so einfach und mathematisch korrekt sein.

Ach ja, was eine geschützte geistige Schöpfung ist? Da gibt es ja doch eine Antwort: "Die in höchstem Maße originären Reportagen" von Thomas Brunnsteiner, die "verwandt sind" mit den Werken von Tom Wolfe, Hunter S. Thomson oder Norman Mailer. Auch wir wissen: Liebe braucht keine Argumente, sie ist einfach da. All diese Eingebungen sollen aber auch für uns wahr werden, und darum unterzeichnet Antonic nicht als Gefälligkeitsgutachter, sondern mit vorgegaukelter Neutralität und Kompetenz als Literaturwissenschafter und Max-Kade-Fellow. So zeichnete er auch den Artikel im Standard vom 18. Oktober. Dass er in keiner Weise als fachkundig ausgewiesen, aber Partei in diesem laufenden Verfahren ist, das teilte der Standard seinen Lesern nicht mit.

Wir, der Secession-Verlag, waren darauf eingestellt. Brunnsteiner hatte gedroht, er werde seine journalistischen Seilschaften von der Kette lassen, wenn wir seine Wegelagererforderungen nicht erfüllen. Schon dem halbwegs kritischen Laien müsste auffallen, dass es sich bei diesem Antonic-Werk um einen Liebesdienst handelt. Drei Beispiele: Weil vor 30 Jahren eine Kritik zu einer Peter-Zadek-Inszenierung den Titel "Bergsteiger im Flachland" trug, hält Antonic den Buchtitel Bergsteigen im Flachland für ein Plagiat. Nach dieser plumpen Lehre müssen wir eine neue Literatur fürchten, die klinisch keimfrei nach Antonics Reinheitsgebot auf nichts aufbaut, was je schon geschrieben wurde. Wer will das lesen? Was soll der Sinn dieser positivistischen Kulturverstümmelung sein?

Es gibt zweitens eine Reihe von Germanisten und Juristen, die sich auf ernstzunehmendem Niveau mit diesem Fall beschäftigt haben und zu ganz anderen Ergebnissen kommen: "Mannharts Roman ist nicht grossartig, obwohl er Dokumentarisches und Fiktives vermischt, sondern gerade weil er dies so gekonnt tut", schreibt etwa Lucas Marco Gisi, Leiter des Robert-Walser-Archivs, im Literarischen Monat. Kein Wort davon bei Antonic, kein Argument für oder gegen Fachkollegen. Und auch kein Wort davon, dass weit über 300 Schweizer Autoren sich mit Urs Mannhart gegen Brunnsteiner solidarisiert haben. Warum ausgerechnet diejenigen das tun, deren Existenz von Plagiaten bedroht ist, darüber möchte der Magister Doktor Antonic lieber nicht nachdenken. (Joachim von Zepelin, DER STANDARD, 8.11.2014)