Richard Gutjahr war auf Einladung der Agentur Ambuzzador in Wien. Bei der Veranstaltungsreihe "Blog n'buzz" widmete er sich der Vermarktung von Blogs.

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STANDARD: Sie sind Teil des über Crowfunding gestarteten Onlinemagazins "Krautreporter". Zufrieden mit dem Start?

Gutjahr: Absolut. Dass man am Anfang den einen oder anderen Bock schießt, war klar. Uns wurde vorgeworfen, dass wir überheblich davon gesprochen haben, den Onlinejournalismus zu retten. Das ist aus der Euphorie heraus entstanden, aber so, wie wir gestartet sind, haben wir ein unglaubliches Portfolio an Geschichten aus der ganzen Welt. Wenn uns Leser vorwerfen, dass wir zwar inhaltlich gute Geschichten schreiben, die aber zu lang sind, oder dass wir zu viel Liebe in Details investieren, dann ist das eine Kritik, mit der wir leben können.

STANDARD: Die Vorschusslorbeeren mit 18.000 Abonnenten waren enorm.

Gutjahr: Nicht jene von der Presse, sondern die von unseren Mitgliedern. Eine Million Euro sind ein enormes Vertrauen. Wenn ich unter meinem ersten Artikel lese: "Bravo, das ist genau, was ich mit von eurer Plattform erhofft habe. Dafür zahle ich gerne", dann ist das das größte Lob überhaupt für einen Journalisten, der sich so abhängig von seinen Lesern macht wie nie zuvor. Durch die direkte Bezahlung entsteht ein Druck, dass man Leser, für die man ja arbeitet, bloß nicht enttäuschen möchte.

STANDARD: Ein größeres Verantwortungsgefühl als sonst?

Gutjahr: Ja, denn sonst verläuft die Verteilung ja über mehrere Ecken. Ein klassisches Medium finanziert sich aus Verkäufen, den Werbekunden, über Sponsorings oder Quersubventionen wie Gebühren. Hier bekommt man das Geld nur vom Leser. Das eröffnet neue Freiheiten für den einzelnen Journalisten, aber auch einen gewissen Druck, der ungefiltert kommt. Der Leser ist unser Chef, unser Vorgesetzter und härtester Kritiker.

STANDARD: Legen Sie hier andere Qualitätskriterien an als bei ihren Print-Kommentaren oder Blog-Einträgen?

Gutjahr: Das mache ich generell, seit ich im Netz publiziere. Anders als in den klassischen Medien ist die Netzkritik unmittelbar und öffentlich. Mein erstes Praktikum habe ich bei der "Süddeutschen Zeitung" gemacht, bei der pro Ausgabe vielleicht fünf oder sechs Leserbriefe auf die Seite gepasst haben. Der Rest fiel in die Ablage P, also Papierkorb. Und nicht immer schafften es die kritischsten Leserbriefe dann auch in die Zeitung. Als ich in dem Beruf angefangen habe, war eine Fehlerkultur so gut wie nicht vorhanden. Wenn nicht gerade ein Anwalt mit einer Gegendarstellung in der Türe stand, hat man Recherchefehler meist einfach unter den Tisch fallen lassen. Im Rundfunk hatten wir einen Satz dafür: "Das versendet sich." Das geht online nicht und führt dazu, dass man sein eigenes Handeln schon im Vorfeld mehr reflektiert.

STANDARD: Das niederländische Vorbild von "Krautreporter", nämlich "De Correspondent", hält nach einem Jahr bei rund 28.000 Mitgliedern. Umgelegt auf Deutschland wären das 168.000 Abonnenten für "Krautreporter". Ein realistisches Ziel?

Gutjahr: Wir gewinnen täglich neue Abonnenten. Wenn das nicht abebbt, dürften wir das zweite Jahr erleben. Es ist aber noch zu früh, darüber zu spekulieren. Ein großes Ziel im nächsten Jahr wird die Arbeit der Community werden. Das sind die Benefits, die wir bieten wollen: Seminare, Lesungen oder Städtetouren. Ein Weg zurück in die analoge Welt. Das können Facebook und Google nicht bieten. Eine Community zu schaffen, die eine Seele hat und nicht nur auf Wachstum und Skalieren abzielt.

STANDARD: Wie die "Süddeutsche" mit dem Leseclub oder der "Guardian" mit dem Konzept des "offenen Journalismus"?

Gutjahr: Ja. Es wird nicht das Allheilmittel sein, gehört aber ins Gesamtangebot eines Mediums. Auch selbst einmal die Klappe zu halten und zu sagen: Wir stellen euch nur den Partyraum zur Verfügung, und ihr könnt untereinander reden. Zum Teil passiert das durch die Foren, hier braucht es aber Struktur. Kein Mensch würde ein großes Open-Air-Festival veranstalten, ohne für Security, Toiletten und Verpflegung zu sorgen.

STANDARD: Gibt es nicht auch eine gegenläufige Tendenz? Sueddeutsche.de beschränkt das Forum auf drei Debattenstränge pro Tag, reuters.com lässt nur mehr auf Facebook und Twitter kommentieren.

Gutjahr: Ich persönlich halte das für einen Fehler. Den Hintergrund kann ich verstehen, nämlich der Arbeit Herr zu werden, aber mir persönlich geht es zum Beispiel beim Bloggen so, dass aus der Diskussion über den Eintrag bereits das nächste Thema wächst. Hier würde ich als Letztes sparen. Die Beschränkung auf drei Foren pro Tag ist keine inhaltliche, sondern eine geldpolitische Entscheidung.

STANDARD: Sind Sie für Klarnamenpflicht in Foren?

Gutjahr: Definitiv nein, ich bin absolut dagegen. Gerade anonyme Tippgeber haben zur Aufdeckung großer politischer Skandale beigetragen oder sie teilweise sogar ins Rollen gebracht. Wenn man sich ansieht, was Politiker alles unternommen haben, um die Aufklärer einzuschüchtern – mit den teuersten Anwälten oder Klagen gegen einzelne Journalisten oder freie Autoren und nicht nur gegen das Medienhaus. Zu versuchen, sie mit einer Klage mundtot zu machen, sodass sich Journalisten mit einer Güterabwägung fragen müssen, ist es mir das persönlich wert, nur damit ich die Geschichte durchbringe? In Bayern fangen Politiker bereits an, einzelne Blogger mit Anwaltsschreiben zu schikanieren, nur um die Geschichte aus dem Netz zu halten – bei Vorwürfe, die sie sich als wahr erwiesen haben.

STANDARD: Nur zur Abschreckung?

Gutjahr: Alleine eine Androhung einer Unterlassung kann Blogger ein paar hundert Euro kosten, um einen Anwaltsbrief zurückzuschicken. Aus Angst vor juristischen Repressalien werden Kunstfiguren als Platzhalter für Politiker verwendet. Ein Phänomen, das man aus Diktaturen kannte. Gerade für die Schwächsten der Schwachen ist die Anonymität die einzige Chance, sich Gehör zu verschaffen oder auf Missstände hinzuweisen. Als Gesellschaft gewinnen wir durch die Anonymität mehr, als wir durch jene, die sie missbrauchen, verlieren.

STANDARD: Leser fungieren zwar als Korrektiv, aber nicht wenige kritisieren die Qualität von Onlinejournalismus und das Schielen auf Klicks. Ein Widerspruch?

Gutjahr: Nein, das ist ein Prozess. Journalisten werden durch dieses Korrektiv noch bessere Journalisten. Gleichzeitig lernt das Publikum in der neuen Medienwelt, seine Rolle zu finden. Das ist wie ein Pendel, das sich von einem Extrem ins andere bewegt und irgendwann die Mitte findet. Journalisten und Leser bewegen sich gerade aufeinander zu. Viele Medienmacher werden erkennen, dass Copy und Paste kein Geld bringt. Facebook und Google wissen, dass in einer Welt mit einem Überangebot an Informationen nicht die 1.000.001. Information etwas bringt, sondern dass Leute für den besseren Zugang zu der bereits vorhandenen Information Geld oder mit ihren Daten zahlen.

STANDARD: Medien sollten sich auf Nischen fokussieren?

Gutjahr: Die Generalisten, die von allem ein bisschen, aber nichts richtig haben, werden es schwer haben. Gooogeln können die Menschen auch. Im Zweifelsfall bekommen User dort die relevanteren Infos als von einer Zeitung, die es allen recht machen möchte. Das ist die Crux an einer Paywall. Man sieht ja, wo sie funktioniert, nämlich dort, wo es keine Alternativen oder eine Nische gibt. Durch das Ausdünnen von Redaktionen passiert aber genau das Gegenteil, Leute werden nicht bereit sein zu zahlen. Das ist ein Teufelskreis. Klamme Redaktionen verteilen immer mehr Arbeit auf immer weniger Menschen. Die Leser merken den Qualitätsverfall und sind noch weniger bereit zu zahlen. Irgendwann implodiert das System. In den USA ging das Zeitungssterben schon vor vielen Jahren los, jetzt kommt es verstärkt nach Europa.

STANDARD: Reagieren Verlage zu langsam?

Gutjahr: Inzwischen passiert ja einiges, davor haben wir wertvolle Jahre ins Land ziehen lassen. Jetzt erleben wir eine Experimentierfreude, die noch nie da war. Die "Süddeutsche" baut die Wochenendausgabe aus, spekuliert wird über ein Wochenmagazin statt einer Tageszeitung. Der Rest passiert online. Das sind denkbare Szenarien, die funktionieren könnten. Aber die Zeitung als tagesaktuelles Informationsmedium? Das ist vorbei. Schauen Sie sich beim Reisen um. Auf Bahnhöfen, in Zügen oder auf Flughäfen wurden früher in erster Linie Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher gelesen, heute sehe ich nur noch Bildschirme. Die Schlacht zwischen Print und Digital ist geschlagen – zugunsten der Bildschirme.

STANDARD: Bei Ihrem Blog setzen Sie auf ein Bezahlmodell, das sich Laterpay nennt. Für zwölf Artikel haben User 1.190 Euro gezahlt, im Schnitt also 99 Euro pro Artikel. Zufrieden?

Gutjahr: Laterpay muss nicht die Antwort sein, aber es ist der Versuch, diese Mär aus der Welt zu schaffen, dass man im Internet mit Journalismus kein Geld verdienen kann. 100 Euro für einen Blogartikel, der nicht wahnsinnig aufwendig war, zahlen mir zwar noch nicht die Miete, es ist aber ein Anfang. Das Geld ist nicht das Problem, sondern die Bequemlichkeit. Und der Respekt vor dem Leser, der sich nicht mehr bevormunden lassen möchte, dass er für etwas zahlen muss, was ihn am Ende gar nicht interessiert. Das gleiche Problem wie vor einigen Jahren in der Musikindustrie, wo man ein ganzes Album kaufen musste, obwohl man nur zwei Lieder wollte.

STANDARD: Micropayment als Lösung?

Gutjahr: Diese Entbündelung findet jetzt überall statt. Meine Leser haben anscheinend kein Problem damit zu bezahlen. Ich hatte mit einem Shitstorm gerechnet, als ich begonnen habe, den ersten Beitrag zu monetarisieren. Die Warnung war, wer soll denn für private Ergüsse eines Bloggers zahlen? Die Frage ist, wie viel ist denn ein Artikel wert? Das ist schwer zu bemessen. Ich habe mit Cent-Beiträgen experimentiert, bin aber im Special-Interest-Bereich hochgegangen auf 149 Euro für Fotos von Apple-Chef Tim Cook. Für mich ist nicht die Frage, ob sie etwas bezahlen, sondern was der perfekte Preis für welches Produkt und welche Zielgruppe ist.

STANDARD: Glauben Sie, dass dieses Bezahlsystem medienübergreifend funktionieren könnte?

Gutjahr: Ich verstehe nicht, wieso diese Häuser nicht wenigstens anfangen, ihr Archiv zu versilbern. Für ein paar Cent würde ich sofort einen fundierten Artikel aus einem Archiv kaufen. Was ich nicht machen würde, ist, ein Jahresabo für ein Archiv abzuschließen. 30 Cent beispielsweise für einen Artikel sind nicht der Rede wert. Der Bezahlvorgang muss einfach sein, der Preis sollte fair sein, und der Inhalt muss stimmen. Das sehe ich noch bei keinem einzigen Onlinemedium. Medienhäuser machen es ihren Kunden so schwer wie nur irgendwie möglich, für ihre Produkte zu bezahlen, und wundern sich dann, warum die Menschen lieber zum Gratismarkt um die Ecke gehen. (Oliver Mark, DER STANDARD, Langfassung, 14.11.2014)