Khroma ist zu Gast in Wien.

Foto: NHM Wien, Kurt Kracher

Es ist Frühjahr in der Mammutsteppe Ostsibiriens: Am Flussufer der hochwasserführenden Chroma in Jakutien ist eine Herde Mammuthus primigenius, eiszeitliche Wollhaarmammuts, unterwegs. Ein nicht einmal zwei Monate altes Kalb ist unvorsichtig und wagt sich zu nahe an die unterspülte Böschung. Der aufgeweichte Boden gibt nach, das Jungtier wird von der Strömung mitgerissen und bricht sich dabei die Wirbelsäule, Schlamm verstopft seine Atemwege, und es erstickt. In einer Flussbiegung wird es angespült und eingebettet.

Rund 45.000 Jahre später, im Oktober 2008, gibt der Permafrost den tiefgefrorenen Leichnam frei. Der Entdecker, ein einheimischer Jäger, erkennt die Wichtigkeit und informiert vorbildlich die Behörden. Trotzdem sind die Aasfresser schneller: Vor der Bergung haben sich die Räuber, vermutlich Polarfüchse, bereits an Rüssel, Herz und Lunge des Mammutbabys gütlich getan.

Die abenteuerliche Geschichte von Khroma, wie das Mammutmädchen genannt wird, ist damit nicht zu Ende, sondern nimmt ganz im Gegenteil hollywoodreife Züge an. Ein Labor meldet nach Untersuchung von Proben der Eismumie die Entdeckung von Spuren von Anthrax-Erregern, woraufhin die Behörden die Verbrennung des Kadavers anordnen, um eine mögliche Kontamination mit eiszeitlichen Krankheitserregern zu verhindern. Russische und internationale Wissenschafter legen Einspruch ein und erreichen, dass Khroma desinfiziert statt eingeäschert werden soll: Mit einer mehrtägigen radioaktiven Bestrahlung werden schließlich eventuelle Keime vernichtet.

Dank des Einsatzes der Forscher konnte so eine Zeugin einer längst untergegangenen Welt bewahrt werden. Von den lediglich acht weltweit existierenden Mumien von Mammutbabys ist Khroma aus geologischer Sicht die älteste. Als einziges Exemplar wurde sie niemals aufgetaut und chemisch mit Paraffin, Ethanol oder Formalin konserviert, sondern immer im tiefgefrorenen Zustand aufbewahrt. Aus diesem Grund ist ihr Fell, vor allem an den Beinen, besonders gut erhalten.

Bei Untersuchungen wurde entdeckt, dass Khroma kurz vor ihrem Tod noch ihre letzte Mahlzeit zu sich genommen hat: In ihrem Magen fand sich eine cremig-weiße joghurtartige Masse - die unverdauten Reste von Mammutmuttermilch.

Khroma ist ab heute, Mittwoch, im Naturhistorischen Museum Wien zu sehen. (Michael Vosatka, DER STANDARD, 19.11.2014)