Wien - Die Zukunft des Rock 'n' Roll war heute, Samstag, vor 25 Jahren nicht besonders gut drauf. Kurt Cobain und Nirvana hatten als Newcomer-Act das gesamte Jahr 1989 auf US-Tour durch nicht so tolle Clubs verbracht. Seit Wochen schon zuckelte man nun im Mini-Van gemeinsam mit der befreundeten, zart erfolgreicheren US-Band Tad durch Europa, um teilweise allein für das Barpersonal oder zwei, drei Handvoll Leute zu spielen, die dafür sogar Eintritt bezahlt hatten.

Nirvana bei ihrem zweiten Stop in Wien, 1991 gaben sie ein Konzert in der Arena.
Foto: STANDARD/Fischer

Die Zukunft des Rock 'n' Roll verkaufte damals, zwei Jahre vor dem kommerziellen Durchbruch mit Smells Like Teen Spirit und dem dazugehörigen Album Nevermind, vom im Juni 1989 erschienenen Debüt Bleach 30.000 Stück. Weltweit. Vor dem Internet war das damals für eine kleine Hinterwäldlerband aus Aberdeen im US-Bundesstaat Washington nicht wenig. Nirvana veröffentlichten zudem auf dem kleinen, erst kurz zuvor gegründeten Label Sub Pop aus Seattle. Wenn man allerdings einen Beruf gehabt hätte, wäre es zu diesem Zeitpunkt gut gewesen, ihn nicht aufzugeben.

Die Songs des Nirvana-Konzerts.

Der Mann, der an diesem Tag ausgemergelt und in einem furchtbaren, auf dem Rücken mit einem chinesischen Drachen bestickten Jeansmantel vom Flohmarkt durch das Wiener U4 zum Soundcheck schlurfte, hatte auch wieder einmal Ärger mit seiner Gitarre. Kurt Cobain hatte jeden Tag Ärger mit seiner Gitarre.

Das liegt daran, dass man sie nicht jeden Tag am Ende eines Konzerts so lange auf den Bühnenboden oder die Verstärker dreschen soll, bis der Hals bricht. Es war an diesem Tag wieder einmal nach 18 Uhr. Die Geschäfte hatten längst geschlossen. Der deswegen schon völlig entnervte holländische Tourmanager versuchte irgendwelche Instrumentenhändler zu erreichen, die für ihn noch einmal aufsperrten.

Ein Leben aus zweiter Hand

Tourmanager sind zwar grundsätzlich ungute Zeitgenossen. Sie müssen immerhin darauf achten, dass eine Handvoll drogensüchtiger, verhaltensorigineller Kleinkinder ohne besondere Sprachbefähigungen und soziale Talente nach einer Tournee wieder restgesund nach Hause kommt. Dazu müssen sich Tourmanager auch noch mit Grenzpolizei, Dealern, Soundtechnikern und entrüsteten Hotelbesitzern herumschlagen. Aber das hatte der Mann nicht verdient. Nicht täglich.

Kurt Cobain während des Konzerts im Wiener U4 im Jahr 1989.
Foto: Karin Rudolf

Schließlich klappte das irgendwie mit dem neuen Hals für die malträtierte Schrottgitarre vom Flohmarkt. Was er aber noch nicht wusste: Am nächsten Tag in Graz ungefähr zur Zeit der ORF-Hauptabendnachrichten würde sich das Spiel wiederholen. In Graz kam noch ein Schlagzeugfell dazu. Das war dann auch kaputt. Kurt Cobain köpfelte 1989 nach der rituellen Tötung der Gitarre abschließend gern in die Drums.

1989 noch nicht der Hauptact: Nirvana im STANDARD. Vier Konzerte spielte die Band 1989 in Österreich: am 20.11. in Linz, am 22.11. in Wien und die Tage darauf in Graz und Hohenems.

Kaputte Jeans, versiffte Stoffturnschuhe, Flanellhemden, verfilzte lange Haare, schlechte Laune. Ein Leben ohne Perspektiven in der US-Provinz. Ein Leben aus zweiter Hand, Flohmarkt-Style. Alles, was es gibt oder das man tun könnte, war schon einmal besser da. Jetzt hantiert man mit den Resten. Eine Ahnung dieses Lebensgefühls haben alle, die früher die Kleidungsstücke ihrer älteren Geschwister auftragen mussten.

Dazu setzte es bei Nirvana gepressten Dampfdruckkochtopf-Gesang und verzerrte Gitarren. Stumpfe Hardrock-Riffs aus den 1970er-Jahren trafen auf den Zynismus des Punk und die Aggression des Hardcore. Heimlich hörte man auch Lieder mit Melodien. Die Beatles waren schon sehr Spitze.

Ich-Bezogenheit im Gitarrenverzerrer

Bei den ein, zwei Jahre vorher bekannt gewordenen Pixies konnte man sich überhaupt mittels Technik der Blaupause bedienen. Nimm einen Pixies-Song wie Where Is My Mind? von 1988 mit seiner Stop-and-go-Dynamik und jage ihn auf 1,5 Promille noch einmal zusätzlich durch Gitarrenverzerrer. Schon hast du ein wirklich gutes Nirvana-Lied.

Interview mit Nirvana in der Fanzine "Der Gürtel": "Hey, brother, I'm barefoot, you're wearing shoes. Nirvana, man, take your shoes off. You're free. We were brought into this world barefoot."

Das Debüt Kurt Cobains als Songwriter auf dem Album Bleach war also interessant, es wirkte alles auch ein wenig gallig und sehenden Auges zum Kopistentum verdammt. Cobain selbst sollte seinem Kompositionstalent bis zum Ende nicht wirklich vertrauen. Trotz extremer Ich-Bezogenheit der im U4 während einer Dreiviertelstunde gespielten frühen Songs wie Negative Creep oder Been A Son oder School sollte sich die radikale Verweigerungsästhetik Nirvanas schließlich nicht nur gegen die Welt, sondern auch gegen ihren Hauptprotagonisten wenden.

Zwischen "I'm a negative creep" von 1989 und dem finalen Statement "I hate myself and I want do die" von 1993/94 lag eine kurze Weltkarriere. Die neigte mit allen Klischees bezüglich einer künstlerischen Verfallsbiografie - und lange vor Social Media und jederzeitiger Abrufmöglichkeit von Musik und Fakten - ideal zur Mythenbildung.

Irgendwann nach dem dann doch erstaunlich energetischen U4-Konzert, bei dem man sah, dass Cobain zumindest beim Kaputtmachen von Instrumenten und seiner Lieder Lebensfreude in sich zuließ, saßen dem Verfasser schließlich auf dem Boden der Backstage-Garderobe im U4 um vier Uhr früh Nirvana zum Interview für das Wiener Fanzine Der Gürtel gegenüber. Deren Sänger hieß damals übrigens laut Bleach-Plattencover "Kurdt Kobain". Er kraulte sich sichtlich erschöpft von seiner Berufsausübung die Zehen und murmelte etwas von Nirvana als philosophischer Fluchtmöglichkeit vor Schmerz und Leid.

Backstage im U4 gab es noch Pizza, später hieß es am Würstlstand: "Man, give me a fucking Käsekrainer!"
Karin Rudolf

Das Reden überließ er dem dank Rauchwaren schon gut aufgestellten Bassisten Krist Novoselic: "Hey, brother, I'm barefoot, you're wearing shoes. Nirvana, man, take your shoes off. You're free. We were brought into this world barefoot. Fuck it, let's smoke some hash."

Dave Grohl war noch nicht mit dabei, er kam erst ab 1990. Dafür bereitete sich Noch-Schlagzeuger Chad Channing auf seine Rolle als Ex-Mitglied vor. Immerhin behagte Novoselic und Cobain nicht, dass der Mann zwar technisch versiert spielte, aber nicht hart genug "rockte". Später ging es dann gegen sechs Uhr früh noch zum Würstlstand beim Gerngross auf der Mariahilfer Straße. Nirvana hatten tags zuvor beim "Warmen Hans" in Linz entdeckt, dass man in Österreich komische Sachen mit Würsten macht: "Man, give me a fucking Käsekrainer!" (Christian Schachinger, DER STANDARD, 22.11.2014)