Auch wenn das Gebiss dies nicht vermuten lässt, der Stein unter dem Kinn verrät sie: Diese im Alter von 45 bis 49 Jahren verstorbene Frau wurde verdächtigt, ein Vampir zu sein.

Foto: Gregoricka et al

Mobile/Wien - Will man Vampire davon abhalten, wieder aus ihren Gräbern emporzusteigen, so bietet sich eine ganze Reihe an Vorgehensweisen an. Pfählen ist eine Möglichkeit, Köpfen eine andere. Letztere Methode etwa wählten die frühneuzeitlichen Bewohner von Gliwice (Gleiwitz) im oberschlesischen Polen: Im Juli 2013 stießen Bauarbeiter bei der Errichtung einer Umfahrungsstraße auf einen umfangreichen Friedhof aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, in dem Archäologen vier Skelette freilegten, deren Schädel abgetrennt und zwischen den Beinen abgelegt waren.

Die Historiker vermuteten einen Beleg für den weitverbreitenen Glauben an den Upiór, eine dämonische Variante des klassischen, blutsaugenden Vampirs. Die auch als "Nachzehrer" bekannten Untoten hatten laut Überlieferung vor allem eines im Sinn: den Lebenden Schaden zuzufügen. Heute gehen Historiker davon aus, dass die vermeintlichen Wiedergänger zu Lebzeiten Mitglieder der Dorfgemeinschaft waren, die den übrigen Bewohnern unangenehm aufgefallen waren. Man machte sie für den Ausbruch von Seuchen oder Missernten verantwortlich oder hielt sie wegen ihres ungewöhnlichen Äußeren für verdächtig.

Ortsansässige oder Fremde?

Dass die mutmaßlichen Upiory tatsächlich aus dem unmittelbaren Umfeld des jeweiligen Dorfes kamen und keine Fremden von auswärts waren, blieb bisher freilich eine Annahme, die erst jetzt anhand von Untersuchungen jüngster "Vampir"-Funde belegt werden konnte: Ausgrabungen auf einem großen Friedhof im Nordwesten Polens brachten kürzlich neben hunderten herkömmlichen Bestattungen sechs Skelette aus dem 17. und 18. Jahrhundert ans Licht, denen Sicheln oder Steine unter das Kinn gelegt worden waren.

Diese apotropäischen Maßnahmen - Abwehrrituale gegen Böses - sollten, ebenso wie das Köpfen oder Pfählen, verhindern, dass die Toten wiederkehren und für Probleme sorgen. Ein Forscherteam um Lesley Gregoricka von der University of South Alabama wollte herausfinden, ob die (Un-)Toten tatsächlich zuvor Teil der Dorfgemeinschaft waren. Dafür untersuchten sie die Backenzähne der sechs apotropäisch beigesetzten Verstorbenen auf das Verteilungsverhältnis von Strontium-Isotopen. Der Vergleich mit den entsprechenden Strontium-Werten der lokalen Fauna lieferte schließlich den Beweis: Die "Vampire" kamen aus der Gegend.

Die Forscher sehen in ihrer im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Studie zudem eine Verbindung zur damals in Europa grassierenden Choleraepidemie. Die Autoren glauben, dass es sich bei den Toten um jeweils die ersten Opfer einer Krankheitswelle handelte, die nach lokaler Anschauung besonders anfällig dafür waren, als Untote zurückzukehren.

Der Vampir-Aberglaube hielt sich übrigens bis weit ins 20. Jahrhundert: Noch 1913 wurden im Fischerstädtchen Puck im Westen der Danziger Bucht Tote durch apotropäische Abwehrmaßnahmen davon abgehalten, als Vampire ihre Gräber zu verlassen. (Thomas Bergmayr, DER STANDARD, 27.11.2014)