Geräucherte Penne: Die Idee stammt aus "Ideas in Food - Great Recipes and why they work".

Foto: Tobias Müller

Kochbuchempfehlungen von Tobias Müller.

Gelesen oder gewünscht.

Als ich mich hingesetzt habe, um diese jährliche vorweihnachtliche Liste zu schreiben, habe ich gemerkt, dass ich heuer nicht viel zum Lesen gekommen bin. Der Heurige war sicher mit ein Grund, genauso wie die Tatsache, dass ich nicht viel in Österreich war. Einige Bücher, die ich mir kaufen wollte, habe ich nicht bestellt, weil sie als Lektüre für unterwegs einfach nicht geeignet sind. Die diesjährige Liste ist daher halb Empfehlung und halb eigener Wunschzettel. Und wie immer gilt: 2014 ist das Lese-, nicht zwangsläufig das Erscheinungsjahr.

The Third Plate

Hafertee und Einzel-Euter-Butter, gemischtes Gräser-Risotto, Schweineknochen-Kohle, Forelle mit Plankton und Rübensteak – so stellt sich Dan Barber, Koch des New Yorker Restaurants Blue Hill Farm, sein Menü 2050 vor. Barber ist einer der bekanntesten und lautesten Vertreter einer streng lokalen, saisonalen Küche, sein Restaurant war eines jener Lokale, für die der Begriff des Farm-to-Table-Restaurants geprägt wurde. Nun hat er sein erstes Buch geschrieben.

Ausgegangen ist er dabei von der Frage, was er wohl in 40 Jahren so kochen wird. Gelandet ist er bei einem Plädoyer für eine ganzheitliche Landwirtschaft und einigen Einfällen, wie sich die Nose-to-Tail-Idee, also die möglichst komplette Verwertung, vom einzelnen Tier auf die ganze Farm übertragen lässt. Er besucht dafür Maisbauern, Fischzüchter, Genetiker und spanische Schweinehirten, geht fast auf traditionelle Thunfischjagd und entwickelt seine eigene Getreidesorte. Er spricht mit Saatgutexperten, die ihm sagen, dass sie in ihrer ganzen Karriere noch nie gefragt wurden, für Geschmack zu züchten, isst in einem Fischrestaurant, das jede Menge Plankton serviert, und lässt sich erklären, wie Foie gras ganz ohne Gänse-Stopfen entstehen kann. Dazwischen gibt es immer wieder einige Brocken (Landwirtschafts-)Geschichte und Philosophie.

Stellenweise liest sich das etwas langatmig, generell aber ist Barber ein sehr guter Erzähler. Die Welt des Essens durch Barbers Augen zu sehen kann sie viel größer machen: Er sieht keine linearen Nahrungsketten, sondern umfassende Ökosysteme, Serrano-Schinken ist bei ihm nicht bloß eine Delikatesse, sondern Ausdruck und Endprodukt einer umfassenden Kultur, die weit über Schweine und Eicheln hinausgeht. Ich hatte am Ende durchaus Appetit auf gemischtes Gräser-Risotto.

The Omnivore's Dilemma

Der Koala hat es leicht im Leben, stellt Michael Pollan zu Beginn des Omnivoren-Dilemmas etwas neidig fest. Er kann nichts verdauen außer eine spezielle Sorte Eukalyptusblätter. Er muss sich daher nicht fragen, was er essen soll. Der Mensch aber kann theoretisch fast alles fressen und ist daher dazu verdammt, sich zu entscheiden. Das Omnivoren-Dilemma ist Michael Pollans mehrere hundert Seiten lange Antwort auf die Frage: Was soll ich nun essen? Dabei geht's nicht nur um den Geschmack, sondern auch und vor allem um Ethik.

Pollan beschreibt die Entstehungsgeschichte dreier Mahlzeiten und folgt den zahlreichen Schritten ihrer Entstehung: einer industriellen (McDonald's), einer bäuerlichen (genauer: einer Hirtenmahlzeit) und einer selbst erjagten. Er geht dabei diversen Fragen nach, etwa wie Mais zum wichtigsten Agrarprodukt der USA werden konnte, wie ethisch es ist, Fleisch zu essen, wie nachhaltig Weidewirtschaft sein kann und warum Schlachthöfe aus Glas sein sollten. Am Ende der Reise landet er schließlich bei seinem persönlichen perfekten Essen.

Weil es seit seinem Erscheinen 2006 so allgegenwärtig erwähnt, zitiert und besprochen wird, habe ich es dann doch sehr lange nicht gelesen – nach "Cooked" und "In Defense of Food". Viele der Ideen und Argumente hier sind mittlerweile von vielen anderen Autoren aufgegriffen und/oder abgeschrieben worden. Pollans knapp 500 Seiten sind aber wohl noch für Jahre eine bereichernde Lektüre für jeden Esser mit Gewissen. Und es enthält für mich eine der besten Argumentationen, warum es ein Denkfehler ist, eine vegane Ernährung für die einzig ethische oder ethischste aller Ernährungsweisen zu halten.

Foto: Verlage

Ideas in Food – Great Recipes and why they work

Sie wollten immer schon einmal Frischkäse oder Joghurt selber machen? Wissen, wie man Nudeln räuchert und noch die dicksten Penne in nur zwei Minuten Kochzeit gar bekommt? Oder einen guten Grund haben, den alten Druckkochtopf wieder aus dem Kasten zu holen? Aki und Alex haben die Antwort.

"Ideas in Food" ist das Buch zum gleichnamigen Blog, dem ich unter anderem die Nudel-Räucher-Idee verdanke oder den Versuch, Brokkoli-Mark zu verkohlen. Es versammelt äußerst kompakt das äußerst umfangreiche theoretische Kochwissen seiner Autoren. Es besticht mit etwas, das wenige Kochbücher bieten: mit optischem Understatement und sehr viel Info auf engem Raum. Bilder gibt's hier nicht, dafür genaue Beschreibungen, was mit Pasta-Stärke beim Kochen passiert oder bei wie viel Grad Bakterien Milch ordentlich stocken lassen. Klingt und ist manchmal etwas trocken, bietet aber mehrere Aha-Erlebnisse und herrlich schräge Ideen.

Heuer ist das zweite Buch der beiden erschienen: "Maximum Flavor – Recipes that will change the way you cook". Die Marketing-Abteilung des Verlags hat eindeutig ihre Finger im Spiel gehabt, hier gibt's Fotos, viel mehr Rezepte und etwas weniger Hintergrundwissen. Das Buch liegt derzeit wohlverwahrt in meinem Kasten – ich bin noch nicht zum Ausprobieren gekommen.

Bar Tartine - Techniques and Recipes

Eines der besten Gerichte, die ich je gegessen habe, war eine Schüssel scharfer, gegrillter Kutteln in Paprika-Tomaten-Sauce mit geräucherten Erdäpfeln. Der Rauchgeschmack, die Schärfe und Süße, die üppige Sauce, die knackigen Kutteln haben ganz unheimlich gut harmoniert und waren ein perfektes Wohlfühlessen. Das Rezept dazu findet sich in diesem Buch.

Serviert werden die Kutteln normalerweise in der Bar Tartine in San Francisco, dem Restaurant zur legendären Bäckerei von Chad Robertson. In der Küche stehen dort der halb ungarische Koch Nick Balla und seine Partnerin Cortney Burns. Die beiden zaubern hier aus simplen, meist eher günstigen Zutaten kleine kreative Meisterwerke - in der Form und so gut habe ich Kutteln mit Erdäpfeln vorher noch nie gegessen. Diesen November ist nun ihr erstes Kochbuch erschienen. Ich habe das Buch noch nicht gesehen, aber die Bar-Tartine-Leute waren vor ein paar Monaten so nett, mir einen Vorabauszug zu schicken.

Die Rezepte hier sind nichts für faule Köche: Die Kutteln etwa werden erst gesotten, dann frittiert und schließlich noch sehr heiß gebraten, von der Sauce ganz zu schweigen. Es zahlt sich aber aus: Ich war in drei Wochen dort dreimal essen und war jedes Mal begeistert. Und der Leser wird mit Anleitungen für die Herstellung zahlreicher Basiszutaten belohnt – in meinem Auszug etwa Rübenpulver, das die Bar-Tartine-Leute in Desserts anstatt Staubzucker verwenden.

Liquid Intelligence

Dave Arnold hat alte Bären und Löwen gekocht, eine mehrteilige Serie über Ike-jime, die japanische Kunst des Fischtötens, verfasst und wohl jede erhältliche Küchenzentrifuge oder jedes Sous-Vide-Gerät getestet. Er war technischer Direktor des French Culinary Institute und des International Culinary Center, hat eine höchst beliebte Radioshow, in der er Kochfragen beantwortet – und nun hat er vielleicht die Mutter aller Cocktailbücher geschrieben.

In "Liquid Intelligence" widmet sich Arnold dem Drink mit naturwissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit, allein dem Thema Eis sind 25 Seiten gewidmet. Ich habe es nicht gelesen, aber hier und hier etwa findet sich Vielversprechendes von Leuten, die es getan haben. Das Buch steht ganz oben auf meiner To-read-Liste.

Slow Food Guide

An dieser Stelle auch wieder die jährliche Empfehlung für den tollen "Slow Food Guid"e, herausgegeben von den Herren Corti und Desrues, mit Restauranttipps und Empfehlungen von ihnen und noch sehr vielen anderen Menschen, denen durch und durch gutes Essen ein großes Anliegen ist. Erstmals ist das auch eine Werbung in eigener Sache – der Guide enthält heuer auch unseren Heurigen: Ab Mai geht "Schwein und Wein" in die zweite Runde. (Tobias Müller, derStandard.at, 15.12.2014)