Matthias Walkner ist gern lästig. Also löchert er seine Teamkollegen mit Fragen. Nicht aus Jux und Tollerei, nein, der Salzburger betritt mit dem Rallyesport Neuland und dürstet nach Wissen. Die 37. Auflage der Dakar hebt am 4. Jänner in Buenos Aires an und endet ebendort zwei Wochen später. Zwischen Start und Ziel müssen die Teilnehmer 9111 Kilometer bewältigen. In Argentinien, Chile und Bolivien, über Stock und über Stein. Der Sand darf freilich auch nicht fehlen, die Tradition der einst in Afrika ausgetragenen Rallye verpflichtet.

Die persönliche Zielsetzung? "Ich will keinen Hubschrauber von innen sehen."

164 Motorräder, 138 Autos, 64 Lastwagen und 48 Quads. Für die einen ist das Rennen schlicht Wahnsinn, für die anderen das letzte große Abenteuer. Für Matthias Walkner ist es eine Premiere. Der Salzburger war 2012 Motocross-Weltmeister und auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Beim österreichischen Team von KTM ist der 28-jährige Motorradfahrer fündig geworden, er nimmt die 13 Etappen als einer von fünf KTM-Werksfahrern in Angriff. Sein Ziel ist das Ziel, seine oberste Priorität die Gesundheit, der Humor trocken: "Ich will keinen Hubschrauber von innen sehen."

Die siegreichen Dakar-Maschinen von Cyril Neveu (1979) und Marc Coma (2014).

Motocross und Dakar, da denkt der motorsportaffine Österreicher unweigerlich an Heinz Kinigadner. Siebenmal trat er an, beeindruckte mit seinem Fahrstil und gewann etliche Etappen, ohne je das Ziel zu erreichen. Ehe sich der Tiroler in den Neunzigern der Wüste verschrieb, fuhr er im Gatsch zweimal zum Weltmeistertitel. Kinigadner war es auch, der Walkners Engagement bei KTM vorantrieb: "Er bringt die Voraussetzungen in puncto Fahrtechnik mit. Für einen guten Rallyepiloten braucht es aber mehr."

Zum Beispiel Ausdauer. Und auch Übung in Sachen Navigation. Bei hohem Tempo erfordert es höchstes Geschick, Strecke und Karte gleichzeitig im Auge zu behalten. Ein gutes Gedächtnis ist hilfreich, denn jeder zusätzliche Blick ins Roadbook kostet Zeit, "man drosselt etwas das Tempo."

Ein Navigationssystem wird vom Veranstalter zur Verfügung gestellt, bildet aber nur die wichtigsten Wegpunkte ab. Nur im Notfall, also wenn sich ein Teilnehmer in der weitläufigen Landschaft des Subkontinents verirrt, dürfen weiterführende Informationen aktiviert werden, Zeitstrafe inklusive.

Die Motorräder müssen 9111 Kilometer bewältigen. 4533 km sind Verbindungsstücke, die im Straßennetzwerk bewältigt werden, 4578 km werden als Spezialwertungen gezeitet.

Das Navigieren lernt man nicht über Nacht, mit einem vierfachen Dakar-Sieger als Mentor lässt sich der Lernprozess aber beschleunigen. Also absolvierte Walkner ein mehrwöchiges Trainingslager bei Marc Coma in Spanien. Die Motorsportikone aus Barcelona fährt ebenfalls für KTM und nahm den Newcomer aus Österreich unter seine Fittiche. "Er hat sich sehr um mich bemüht", sagt ein dankbarer Walkner. Der Trophäenschrank des Vorjahressiegers hätte ihn zusätzlich motiviert, so ein Pokal würde sich auch im heimischen Salzachtal gut machen. Bei der ersten Teilnahme an der Dakar sei das Ergebnis aber nebensächlich.

Die Rolle im Team? "Wenn Coma einen Schraubenzieher benötigt, werde ich stehen bleiben."

"Er braucht Zeit, und die geben wir ihm", sagt KTM-Manager Alex Doringer und spricht von einer langfristigen Planung. Auch ein Coma hätte erst bei der fünften Teilnahme gewonnen. Vorerst soll der Debütant Erfahrungen sammeln, lernen, nicht abfliegen. Dass er auch die teaminterne Hierarchie zu beachten hat, weiß Walkner selbst: "Coma ist unsere Nummer eins. Wenn er einen Schraubenzieher benötigt, werde ich stehen bleiben."

Ein Gesamtsieger braucht seine Helfer

Schon macht das Wort vom Wasserträger, vom Rucksackfahrer, die Runde. "Das klingt schlimmer, als es ist", sagt Doringer und verweist auf den Spanier Jordi Viladoms, der in ebendieser Rolle im Vorjahr auf den zweiten Rang fuhr.

Ein Gesamtsieger braucht seine Helferlein, gegebenenfalls sollen auch die Privatfahrer von KTM – nicht weniger als 93 Maschinen der Mattighofener stehen 2015 am Start – zur Stelle sein. Vor allem auf den Marathonetappen. Dort sind die Fahrer sich selbst überlassen, technische Hilfe von außen ist untersagt.

Mehr als die Hälfte aller Motorradfahrer sind auf KTM unterwegs. Die größten Konkurrenten sind die japanischen Hersteller Yamaha und Honda.

Am 11. Jänner geht es auf einem dieser Abschnitte über 717 Kilometer von Iquique in der chilenischen Küstenebene ins fast 3700 Meter hoch gelegene Uyuni jenseits des Andenhauptkammes in Bolivien. Dort wird die Luft ungemütlich dünn.

Der Unterschied zum Motocross? "Dort war alles Instinkt, ich war ein Chaot."

Um für derartige Aufgaben gewappnet zu sein, absolvierte Walkner im Dezember ein Höhentraining auf dem Kitzsteinhorn. Das Unternehmen Dakar will akribisch geplant sein: "Im Rallyesport sollte man besser vorausdenken." War das im Motocross etwa anders? "Dort habe ich nach Instinkt gehandelt, ich war ein Chaot."

Die Motocross-Bestie einbremsen, so lautet einer der Aufträge von KTM an seinen Piloten. Schließlich gelte es, die erste Woche ohne Blessuren zu überstehen, in der zweiten Woche könne das Tempo forciert werden. "Bis zum ersten Ruhetag sind alle, die sich nicht professionell vorbereitet haben, ausgeschieden", sagt Doringer.

Was heißt schon langsam?

Es sei aber nicht einfach, einen ehrgeizigen Wettkämpfer wie Walkner für eine langsame Fahrt zu motivieren. Aber was heißt schon langsam? So oder so wird Walkner mit Geschwindigkeiten bis zu 160 Stundenkilometern durch Südamerika ziehen. Eine dramatische Tempoverschärfung im Vergleich zum Motocross, als er mit rund sechzig Sachen seine Runden drehte. "Ich kann das Tempo der Top Ten mitgehen", gibt sich Walkner optimistisch.

Von Anfang an hätte er sich auf seinem neuen Arbeitsgerät sehr wohl gefühlt, rund 50 Fahrstunden im Rennmodus waren trotzdem notwendig, um sich an das Limit der KTM 450 Rally (63 PS, 140 kg) heranzutasten: "Fahrerisch sind es ja doch zwei verschiedene Welten."

Durchkommen hat bei der Dakar höchste Priorität. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer sieht das Ziel nicht. Der große Kahlschlag erfolgt in der ersten Woche. Das wird 2015 nicht anders sein.

Bei der als Generalprobe bestrittenen Marokko-Rallye fuhr er im Oktober auf Rang elf, dort waren die Etappen jedoch deutlich kürzer. "In zwei Wochen Dakar werde ich rund 120 Stunden auf dem Motorrad sitzen, das entspricht einem halben Jahr Motocross", sagt Walkner und gibt ein Versprechen Richtung Team ab: "Ich fahre ohnehin mit Sicherheitsmarge. Das ist ein Überlebensinstinkt."

Risikomanagement? "Ich fahre mit Sicherheitsmarge. Das ist ein Überlebensinstinkt."

Überleben, das ist bei der Dakar nicht selbstverständlich. Seit der ersten Auflage 1979 sind 27 Teilnehmer tödlich verunglückt, zwei Drittel davon mit dem Motorrad. In den vergangenen drei Jahren kam jeweils ein Pilot ums Leben. Die Privatfahrer sind dabei in höchster Gefahr, aber selbst gestandene Profis sind vor einem letalen Unfall nicht gefeit. Der zweifache Champion und KTM-Werksfahrer Fabrizio Meoni verstarb 2005.

"Der Unfall geschah direkt nach einem Tankstopp", erinnert sich Kinigadner. Ein vollgetanktes Motorrad sei anders zu fahren, das könne auch mit großer Erfahrung unterschätzt werden: "Eben war es noch eine Motocross-Maschine, und plötzlich ist es ein schwerfälliges Wüstenschiff."

Seit 2001 stellt KTM alle Sieger bei der Dakar. Zwei der fünf sind bei Rallyeunfällen verstorben.

Diese Umstellung wurde 2004 bei der Pharaonen-Rallye auch dem KTM-Profi und dreifachen Dakar-Sieger Richard Sainct zum Verhängnis. Mittlerweile wurden die Reichweiten verkürzt und so die Sicherheit verbessert. Das Tankvolumen beträgt statt 50 nur noch 38 Liter.

Die Bilanz der Dakar kann sich noch erschreckender lesen. Inklusive Zusehern und Begleitpersonen kamen 65 Menschen zu Tode, unter ihnen neun Kinder. Bezeichnenderweise verunglückte 1986 auch der Gründer des Rennens, Thierry Sabine, bei einem Hubschrauberabsturz während der Rallye. Erst im Jänner stürzten zwei Mitarbeiter einer argentinischen Nachrichtenagentur mit dem Auto in eine Schlucht.

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden bei der Dakar immer wieder verbessert. Und trotzdem blieb die Rallye bis zuletzt ein lebensgefährliches Vergnügen, vor allem für die Motorradfahrer.

Die lange Liste der Todesfälle trug nicht nur zum harten Ruf der Dakar bei, sondern brachte ihr auch viel Kritik ein. Die Sinnhaftigkeit der Veranstaltung wurde nicht nur einmal infrage gestellt. Mit "500 connards sur la ligne de départ" ("500 Vollidioten auf der Startlinie", höflich übersetzt) verlieh der französische Chansonnier Renaud bereits 1992 seiner Verachtung Ausdruck. Der österreichische Filmemacher Nikolaus Geyrhalter begab sich 2007 auf Spurensuche, sein Werk "7915 KM" zeigt den Kontrast zwischen Vollgaszirkus und afrikanischer Bevölkerung.

Sicherheit? "Die Etappen werden anspruchsvoller, der Speed reduziert."

Auch innerhalb der Motorsportszene löst die Dakar nicht nur Begeisterung aus, der zweifache Rallye-Weltmeister Walter Röhrl bezeichnete die Streckenführung im vergangenen Jahr als "russisches Roulette". Schließlich könne der Pilot nicht wissen, ob es hinter einer Düne zwei oder doch zehn Meter bergab gehe.

Unkalkulierbares Restrisiko

KTM-Manager Doringer hält dagegen: "Die Etappen werden immer anspruchsvoller, die Geschwindigkeiten dadurch reduziert." Die Kriterien für einen Startplatz seien verschärft worden, Geschwindigkeitskontrollen sollen in Ortschaften zudem die Zuseher schützen. Die Amaury Sport Organisation (ASO) sei laut Doringer der beste Veranstalter in diesem Bereich.

"Alle Beteiligten wollen die maximale Sicherheit", sagt er, muss aber einschränken: "Es wird im Motorsport immer ein unkalkulierbares Restrisiko geben. Und die Dakar ist das härteste Rennen der Welt." Streckenführung, Etappenlänge, Temperaturen und Höhenlage würden die Rallye einzigartig machen.

Walkner sammelt in Tunesien erste Erfahrungen im Wüstensand.
EPICMINUTES PRODUCTION

Drei Millionen Euro lässt sich KTM eine Rallye-Saison inklusive Dakar kosten. Für Personal-, Reise- und Transportkosten sind zwei Millionen budgetiert, der Rest fließt direkt ins Material. "Wir betreiben den Sport mit Herzblut", sagt Doringer. Neben dem Engagement in der Moto3-Klasse sei die Dakar das wichtigste Vehikel für die globale Vermarktung.

Wie lange dauert die Vorbereitung? "Nach der Dakar ist vor der Dakar."

Dreizehnmal in Folge konnten die Österreicher seit dem ersten Erfolg 2001 triumphieren, 2008 ging man ausnahmsweise leer aus – damals wurde die Rallye aufgrund der brisanten politischen Lage in Afrika abgesagt. Seither wird in Übersee um die Wette gefahren, KTM schickt im Jänner zwei Lastwägen und 37 Mitarbeiter nach Argentinien.

Fahrer, Mechaniker, Ingenieure, Koordinatoren, ein Physiotherapeut und sogar zwei Google-Earth-Spezialisten sind mit von der Partie. Die logistische Herausforderung ist enorm, alles muss zur rechten Zeit am richtigen Ort sein. Doringer: "Nach der Dakar ist vor der Dakar, es gibt keine Pause."

Der große Rummel

KTM will mit Walkner einen Österreicher als potenziellen Siegfahrer aufbauen. Die Streckenbeschaffenheit in Südamerika müsste dem Motocrosser entgegenkommen, in Afrika waren die Sanddünen hinterhältiger. Aber nicht nur der Belag hat sich verändert, idyllische Zeltlager sind modernen Wohnmobilen gewichen. Das mediale Interesse an der Rallye ist hingegen ungebrochen. "Der Rummel ist jetzt schon größer als bei meinem Weltmeistertitel", sagt Walkner vor der Abreise. Ob ihn das verwundert? "Ja, denn ich habe noch nichts geleistet." (Philip Bauer, derStandard.at, 29.12.2014)