Grafik: Charlie Hebdo

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Religiöse Gebote können immer nur für jene gelten, die sich ihnen freiwillig unterwerfen. Den Propheten Mohammed zu karikieren fällt unter Meinungsfreiheit.

Foto: APA/EPA/Gillieron

Ein Terroranschlag auf Journalisten, wie gegen die Redaktion des "Charlie Hebdo" in Paris, stellt einen Angriff auf die Grundfesten der Demokratie dar. Das Ziel ist das Herz der Demokratie: die Meinungsfreiheit. Nach dem ersten Schockmoment wird sich in den kommenden Tagen die Frage nach den sich aus der neuen Situation ergebenden Konsequenzen stellen.

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach und hängt auch von den handelnden Personen ab. Nach den Anschlägen in Norwegen im Jahr 2011 lautete die Botschaft von Regierungschef Jens Stoltenberg: "Wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit." Obwohl der Anschlag von einem Rechtsextremisten ausgeführt wurde, verlor Stoltenbergs Koalition bei den nächsten Wahlen im Jahr 2013 die Mehrheit, seither regieren Rechtskonservative in Oslo.

Ob Frankreichs Präsident François Hollande, der ohnehin durch zahlreiche Skandale angeschlagen ist, ebenso souverän wie Stoltenberg mit der Situation umgehen wird, ist fraglich. In seinen ersten Stellungnahmen appellierte er an die Einheit des Landes. 2017 finden in Frankreich die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Sollte dabei, was nicht unwahrscheinlich ist, die Rechtsextremistin Marine Le Pen gewinnen, würde dies die bestehenden inneren Konflikte eskalieren: Der verbindende liberale Grundkonsens der französischen Gesellschaft würde damit über Bord geworfen.

Dabei wäre ein klares Bekenntnis zu Meinungsfreiheit und Demokratie das einzig richtige Signal an die Fanatiker. Verhindern lassen sich derartige Verbrechen religiöser Extremisten ohnehin selbst mit schärfster Überwachung und Einschränkung der Freiheitsrechte nicht. Doch so ein Bekenntnis verlangt nach Taten, sonst ist es bloße Makulatur.

"Charlie Hebdo" wurde in der Vergangenheit schon mehrfach angegriffen, und zwar nicht nur durch Islamisten: 2010 wurde das Satiremagazin von ultrakonservativen Katholiken wegen einer Karikatur zum Papstbesuch verklagt – und gewann. Und auch die französische Regierung sparte 2012 nicht mit kritischen Äußerungen und mahnte zu "Toleranz und Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen".

Karikaturen, wie sie "Charlie Hebdo" regelmäßig veröffentlicht, wären auch in Österreich klagbar. Durch Paragraf 188 Strafgesetzbuch ("Herabwürdigung religiöser Lehren") ist das mit bis zu sechs Monaten Haft bedroht. Im Jahr 2006 kritisierte Bundespräsident Heinz Fischer die Veröffentlichungen von Karikaturen über den Islampropheten Mohammed als "doppelte Kränkung". Man dürfe nicht gegen Abbildungsverbote verstoßen. Der Präsident irrt. Religiöse Gebote können immer nur für jene gelten, die sich ihnen freiwillig unterwerfen.

Doch solange die Gesetzgeber in den europäischen Staaten den Religionen eine Sonderrolle zubilligen und religiöse Lehren vor Spott schützen, so lange haben Muslime eine rechtliche Grundlage für ihre Behauptung, die Darstellung ihres Propheten wäre eine Beleidigung. Natürlich haben die Gläubigen das Recht, beleidigt zu sein, doch das Recht, die Meinung frei und ohne Rücksicht auf religiöse Befindlichkeiten äußern zu können, muss in einer Demokratie einen höheren Stellenwert haben.

Satire, wusste schon Kurt Tucholsky, darf alles. Wenn die Satire jedoch eingeschränkt wird, wird die Meinungsfreiheit beschränkt. Will Europa nun also ein glaubwürdiges Zeichen für die Meinungsfreiheit setzen, muss es die Zensur durch Religionsparagrafen abschaffen. (Michael Vosatka, derStandard.at, 8.1.2015)