50° 30' 49,2'' N, 2° 27' 18'' W: Werner Schrödl hat seine in Wales und Südengland entstandene Leuchtturmserie von 2014 mit den jeweiligen geografischen Daten betitelt. In seiner Personale im Wiener Bank Austria Kunstforum sei man nie verloren, so der Künstler. Denn von jedem Standpunkt sei der Blick auf einen rettenden Leuchtturm möglich.

Foto: Schrödl

Wien - Bis zu 70 Meter hoch sind die Klippen am Cabo de São Vicente an der Südwestspitze des europäischen Festlands. Ein ebenso karger wie stürmischer Ort, quasi der "letzte Stopp vor Amerika", an den Touristen pilgern, um möglichst atemberaubende Sonnenuntergänge zu erleben. Kaum ist die Sonne hinter den Horizont geplumpst, beginnt dort die Lampe des Leuchtturms zu rotieren: Bis zu 32 Seemeilen (knapp 60 Kilometer) reicht der Lichtkegel in den Atlantik; der lichtstärkste Signalgeber seiner Art in Europa sichert den weltweit meistbefahrenen Seeweg.

Die warnende Funktion des Leuchtturms lasse seine Architektur völlig in den Hintergrund treten, sagt Werner Schrödl und zollt den bescheidenen Hünen in einer fotografischen Serie Respekt. In dieser, im Rahmen seiner Personale Snooky Games im Tresor des Wiener Kunstforums präsentierten Werkgruppe rückt er die Türme selbst ins Licht, verkehrt also das Prinzip; der Künstler verwendet dafür allerdings nicht mehr als - eine Taschenlampe.

Ungleiches Lichtspiel

Angesichts der Tatsache, dass ein Leuchtturm mit der Stärke von etwa 170.000 Hefnerkerzen (umgerechnet gut 150.000 Lumen) klotzt und eine herkömmliche Taschenlampe es nur auf etwa 400 Lumen bringt (Schrödl verwendete eine mit 3200 Lumen), ist das ein ziemlich ungleiches Lichtspiel. Aber Schrödls Würdigung besitzt - betrachtet man ihre Ergebnisse - keineswegs nur symbolischen Charakter: Erhaben, geradezu majestätisch erscheinen die weißen Türme, die er zwar nicht bei den Portugiesen, dafür jedoch bei einer anderen alten Seemacht, den Briten, gefunden hat. In seiner Ausstellung sei man nie verloren, so der 1971 in Attnang-Puchheim geborene und in Wien lebende Künstler. Denn von jedem Standpunkt sei hier der rettende Blick auf einen Leuchtturm möglich.

Denkt man an die augenzwinkernde Gigantomanie, die in anderen unrealisierten Projekten Schrödls schlummert, etwa eines für das Pariser Palais de Tokyo, wo er allzugern eine Lichtmaschine mit 18.000 Watt (rund 360.000 Lumen) aufstellen würde, in die man ohne zu erblinden nur mit Schutzbrille blicken kann; oder an die größte Glocke, die für die Kulturhauptstadt Linz 2009 auch beinahe gegossen worden wäre, wirkt das Taschenlampenlicht fast kümmerlich und rührend.

Großartig ist vielmehr die damit erzielte Wirkung, wie auch eine andere, ebenfalls 2014 realisierte Fotoserie beweist. Schrödl hat eine der leistungsstärksten Sendeanlagen für Mittel- und Kurzwellen, jene im niederösterreichischen Moosbrunn, auf diese Weise aus dem Dunkel der Nacht hervorgekitzelt: Zauberhafte, filigrane weiße Liniengebilde heben sich vom tiefschwarzem Hintergrund ab. Den Aufnahmen ist ein betörender, fast irrealer grafischer Effekt eigen, der an Fotogramme (also durch Auflegen auf lichtempfindliches Material gewonnene Direktbelichtungen) denken lässt. Befragungen des Mediums sind dies nicht, denn Fotografie ist für Schrödl nur ein Mittel zum Zweck - auch wenn ihn die Arbeiten des Kanadiers Jeff Wall maßgeblich beeinflusst haben.

So wie in vielen von Schrödls Arbeiten - darunter auch Performances und Installationen - geht es um das in den Objekten schlummernde Potenzial, um vorübergehende Momente und Aktionen, also um ephemere Skulpturen, die sich in Foto oder Film ("als Kunstform für mich die Königsdisziplin") manifestieren und bisweilen unwirkliche Momente produzieren.

So wie in Schrödls kurzen, ebenso nachts entstandenen Filmsequenzen ("40,000 Candela (Places)"). Mittels Leuchtrakete lässt er verschiedenste Landschaften aus dem Dunkel auftauchen und wieder verschwinden - etwa einen Waldsee, regennasse Wiesen, ein einsames Haus: Vergangenes kommt und geht, fällt dem Vergessen anheim. Ein Meteorit gab den Impuls zu dieser Werkgruppe: Im Februar 2013 trat der Meteor von Tscheljabinsk, der größte bekannte seiner Art, in die Erdatmosphäre ein. Die Himmelsbahn, die er zog, erhellte die Landschaft wie ein Scanner, erinnert sich der Künstler an die Bilder, die ihn so faszinierten. So kam es zur Idee einen leuchtenden Kometen in die Luft zu schießen.

In seinen, von diesem Ereignis inspirierten Arbeiten sorgt das Wandern der Schatten - dem Lauf der Sonne bei Tag vergleichbar -, verstärkt durch die verlangsamte Abspielgeschwindigkeit, für ein Flackern, für einen Animismus, eine Art Beseelung der Motive - und auch für eine unheimliche Atmosphäre. Ein inszenatorisches Prinzip, das er in ("40,000 Candela (Heads)") auch auf den Menschen umgelegt hat: Wenn in den streng frontal aufgenommenen Sequenzen das Licht der Signalpistole über die Gesichter der Porträtierten wandert, werden dabei zahlreiche Nuancen der Persönlichkeit sichtbar. Eine Intimität, die berührt und die Poesie dieser Arbeit nochmals steigert. Absolut sehenswert. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 8.1.2015, Langfassung)