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Das "Illustrierte Wiener Extrablatt" vom 25. September 1874: Julius von Payer (links) und Carl Weyprecht sowie der Rest des Expeditionsteams wurden von den Medien und der Bevölkerung gefeiert.

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Johan Schimanski, Ulrike Spring: "Passagiere des Eises. Polarhelden und arktische Diskurse 1874", Böhlau, 719 Seiten, 79 Euro, ISBN: 978-3-205-79606-0

Cover: Böhlau

Wien - Als am 25. September 1874 die Rückkehrer der österreichisch-ungarischen Polarexpedition am Wiener Nordbahnhof eintrafen, versammelten sich dort zur Begrüßung Hunderttausende Menschen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Forscher bereits eine von Empfängen und Banketten begleitete Tour durch Europa hinter sich. Besonders der Medienrummel um die überraschend wieder aus dem Eis aufgetauchten Teilnehmer war enorm, wie die Historikerin Ulrike Spring erklärt.

Gemeinsam mit dem Literaturwissenschafter Johan Schimanski hat sie einen bisher unbeleuchteten Aspekt der Expedition, die das Franz-Josef-Land entdeckte, erforscht: Die Rückkehr des von Carl Weyprecht und Julius Payer geleiteten Teams in die Heimat. Ihre Ergebnisse haben sie in "Passagiere des Eises. Polarhelden und arktische Diskurse 1874" zusammengefasst. Das Buch wurde am Dienstag im Wien Museum präsentiert.

Als Forscher noch die Massen begeisterten

Obwohl Expeditionen im 19. Jahrhundert in vielen Nationen in Mode waren, sticht die österreichisch-ungarische Variante vor allem durch die Massenbegeisterung hervor, die die Forscher auslösten. Den Grund dafür sieht Spring aber nicht nur in der Entdeckung des Franz-Josef-Landes an einer Stelle, an der man eigentlich nur Eis erwartet hatte, sondern vor allem auch in der dramatischen Geschichte, die zu dieser führte. Ursprünglich hatten die Teilnehmer ein anderes Ziel, sie wollten die Nord-Ost-Passage erforschen, berichtet die österreichische Historikerin, die an der norwegischen Sogn og Fjordane Universität unterrichtet.

Doch dann wurde die Expedition vom Eis eingeschlossen und abgetrieben - über zwei Jahre lang saß man in den Eismassen fest. "Niemand hat gewusst, ob sie überhaupt noch leben. Als dann beinahe alle Teilnehmer heil zurückkamen, war die Begeisterung groß", erklärte die Historikerin. Obwohl das Schiff - und damit die meisten Ergebnisse und Aufzeichnungen - bei der Flucht aus dem Eis zurückgelassen werden mussten, beklagte das Team nur ein Todesopfer: Maschinist Otto Krisch starb an Tuberkulose.

In Wien selbst bekamen die Feierlichkeiten dann noch einen weiteren Aspekt: "Die Expedition war nicht mehr nur auf die Arktis bezogen, sondern wurde auf die österreichisch-ungarischen Verhältnisse umgelegt", so die Historikerin. Zusammengesetzt aus Teilnehmern aller Länder der Monarchie wurde das Abenteuer zum Symbol für das bereits zu bröckeln beginnende Habsburgerreich. Gemeinsam - und unter deutschsprachiger Führung - könne man doch mehr erreichen, lautete der Spin, den auch viele Medien bereitwillig übernahmen.

Per Crowdfunding in die Arktis

Dazu mischte sich der Stolz auf die hauptsächlich aus Italien und Kroatien stammenden Matrosen, die - entgegen mancher Befürchtungen - auch die arktischen Gewässer erfolgreich bezwangen. Die starke Identifikation mit den zu Helden stilisierten Forschern erklären die beiden Autoren mit der ungewöhnlichen Finanzierung der Reise. Neben privaten Großsponsoren verließ man sich auf eine frühe Art des Crowdfundings: Die Bevölkerung wurde aufgefordert, für Materialien und Versorgung zu spenden. "So wurde dann auch der Erfolg als ein Ereignis gedeutet, das erst die Wiener und Österreicher möglich gemacht haben", meinte Spring.

In seinen sozialen Aspekten sei das Massenspektakel ebenfalls nicht zu unterschätzen gewesen, so die Wissenschafterin. Denn an der Expedition nahmen Männer aus allen Gesellschaftsschichten teil - die Leiter waren Vertreter der neu erstarkten Mittelklasse bzw. des Kleinbürgertums. "Die Forscher wurden deshalb auch als Repräsentanten des neuen und modernen Österreichs gefeiert - jeder hatte plötzlich die Möglichkeit, ein Held zu werden." Vor allem liberale Zeitungen hätten das Thema deshalb gerne aufgegriffen.

Schnell wieder vergessen

Auch abseits der Medien bestimmten die Rückkehrer das Tagesgespräch und dienten als Inspirationsquelle, etwa für den Schriftsteller Peter Rosegger oder Eduard Strauss' "Weyprecht-Payer-Marsch". Nach dem ersten Hype geriet die Expedition und ihre Teilnehmer im Gegensatz zu Forschern wie dem Norweger Roald Amundsen eher in Vergessenheit. Das erklärt Spring einerseits mit den mageren Ergebnissen und andererseits den beiden Leitern, die sich zunehmend anderen Themen zuwandten. Payer orientierte sich etwa zum Historienmaler um.

In den vergangenen Jahren gewinne das Thema unter anderem durch Klimawandel und schmelzende Polarkappen allerdings zunehmend wieder an Attraktivität, erklärte Spring. Nicht nur in Österreich - wo Christoph Ransmayrs 1984 erschienener Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" der Expedition wieder mehr Popularität verschaffte -, sondern auch in den ehemaligen Ländern der Monarchie. (APA/red, derStandard.at, 17.01.2015)