Der Mordanschlag auf "Charlie Hebdo" ist vermutlich das radikalste Beispiel für den Streisand-Effekt. Die Attentäter wollten "den Propheten Mohammed rächen" und die Satirezeitschrift, die nach ihrer Ansicht den Erfinder des Islam beleidigt hatte, zum Schweigen bringen. Das ist ihnen nicht gelungen, die neue Ausgabe des "Charlie Hebdo" erschien planmäßig. Statt der üblichen Auflage von ein paar zehntausend Exemplaren werden fünf Millionen Hefte gedruckt, die erste Million war binnen kürzester Zeit ausverkauft. Wenn nicht weltweit Muslime gegen die Abbildung ihres Propheten protestieren würden, und zwar vermutlich zum Großteil, ohne jemals irgendeines der Objekte ihres Zorns gesehen zu haben, kaum jemand hätte außerhalb Frankreichs Notiz von der Satirezeitschrift genommen. Die Radikalen haben daher an der Verbreitung der Zeichnungen, die sie bekämpfen, selbst den größten Anteil.
Auch in den Redaktionen wurden in diesen Tagen Diskussionen über den Umgang mit den Karikaturen geführt. Darf man diese überhaupt zeigen? Oder muss man das sogar? Das Zeigen des Covers der "Ausgabe der Überlebenden" des Massakers in der "Charlie Hebdo"-Redaktion, auf dem ein trauernder Mohammed abgebildet ist, ist journalistische Chronistenpflicht. DER STANDARD zeigte in seiner Mittwochausgabe einen Parallelabdruck von zwei Seiten des neuen "Charlie Hebdo". Das stellt für den STANDARD eine besondere Auszeichnung dar, auch wenn diese Ansicht von manchen Kollegen in der Branche nicht geteilt wird.
Es trifft sicher nicht zu, dass man generell Mohammed-Karikaturen zeigen muss. Es trifft aber schon gar nicht zu, dass man Mohammed-Karikaturen nicht zeigen darf, etwa um den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten. Dafür darf die Meinungsfreiheit nicht geopfert werden, denn wer so argumentiert, müsste auch die Fristenlösung abschaffen, weil die christlichen Fundamentalisten der Pro-Life-Bewegung auch schon gewalttätig gegen Abtreibungsärzte vorgegangen sind. Die Freiheit darf sich der Gewalt nicht beugen.
Wenn sich die Medien aus Rücksicht auf "religiöse Gefühle" eine Selbstzensur in Form eines Mohammed-Bilderverbotes auferlegen, fallen sie damit auch jenen Moderaten in der islamischen Welt in den Rücken, die die Zwänge der Religion gerne irgendwann hinter sich lassen würden.
Das Abbildungsverbot ist nur ein Vorwand. Doch warum führen die muslimischen Extremisten, wie im übrigen Radikale so gut wie aller anderen Religionen ebenso, einen Kampf gegen die Satire?
Die Antwort ist nicht jene, die sie selbst auf diese Frage geben, dass nämlich die Cartoons eine Beleidigung ihres Glaubens wären. Die Antwort ist vielmehr, dass nichts so sehr eine selbsternannte Autorität untergräbt wie das Lachen darüber. Aus diesem Grund bedeutet Satire eine Gefahr für die Interessen jedes autoritären Systems wie einer Diktatur oder eben einer Religion mit dem Alleinanspruch auf die "Wahrheit".
Lachen als Gefahr für die Autorität
Umberto Eco entlarvt dies in seinem Roman "Der Name der Rose". Der blinde Mönch Jorge von Burgos ist für eine Mordserie verantwortlich, weil er ein Werk des Philosophen Aristoteles über die Komödie geheimhalten will. William von Baskerville, der die Morde aufklären soll, hält ihm vor: "Du schaffst das Lachen nicht aus der Welt, indem du dieses Buch aus der Welt schaffst." Doch Jorge erklärt ihm seine Motive: "Das Lachen ist die Schwäche, die Hinfälligkeit und Verderbtheit unseres Fleisches. (...) Das Lachen vertreibt dem Bauern für ein paar Momente die Angst. (...) Wenn das Lachen die Kurzweil des niederen Volkes ist, so muss die Freiheit des niederen Volkes in engen Grenzen gehalten werden, muss erniedrigt und eingeschüchtert werden durch Ernst."
Wenn der Text Aristoteles' öffentlich bekannt würde, warnt er seinen Gegenspieler, "dann würdest auch du, William von Baskerville, mitsamt deiner ganzen Weisheit in den Strudel gerissen". William antwortet ihm: "Ich würde mich wehren, meinen Witz dem Witz anderer entgegenstellen. Das wäre eine bessere Welt als die unsere, in der das Feuer und die glühenden Eisen eines Dolcine niedergehalten werden vom Feuer und den glühenden Eisen eines Bernard Gui."
Jorge aber fürchtet eine Welt ohne glühende Eisen, denn dies würde den Verlust von Macht und Autorität bedeuten: "Wenn eines Tages (...) die Kunst des Lächerlichmachens annehmbar würde und nobel erschiene und nicht mehr gemein, wenn eines Tages jemand sagen könnte (...) ich lache über die Inkarnation (...), dann hätten wir keine Waffen mehr, um diese Lästerung einzudämmen." Und wie alle religiösen Extremisten ist der blinde Mönch überzeugt: "Ich bin die Hand Gottes gewesen."
Die Islamisten müssen die Erfahrung machen, dass ihre Gewalt erfolglos bleibt, die freie Welt darf sich daher die Satire nicht verbieten lassen. Dann werden die Fundamentalisten vielleicht eines Tages selbst das Lachen lernen und statt glühender Eisen den Witz zu ihrer Waffe machen. (Michael Vosatka, derStandard.at, 15.1.2015)