Guerrilla Girl "Frida Kahlo".

Foto: Regine Hendrich

"Frida Kahlo" mit STANDARD-Redakteurinnen im Depot, die sich solidarisch ebenfalls maskierten. (Masken: Leihgabe Marko Zink)

Foto: Regine Hendrich

Es ist nicht das Guggenheim in Bilbao und auch nicht das Museo Reina Sofía in Madrid, das den Guerrilla Girls (GG) zum 30-jährigen Bestehen die große Retrospektive ausrichtet. Vielmehr sind es die städtischen Kunst- und Kulturzentren Alhóndiga und Matadero, die den kämpferischen, anonym agierenden US-Kunstaktivistinnen die Ehre erweisen.

Und es ist – freilich? – auch nicht das New Yorker Museum of Modern Art, obwohl eine Ausstellung des prestigereichen Hauses 1984 sogar den ärgerlichen Impuls für die Gründung dieses "Gewissens der Kunstwelt" gab: Wer nicht Teil seines Überblicks über aktuelle Malerei und Skulptur sei, ließ der Kurator damals die Presse wissen, solle seine Karriere überdenken.

Derart angestachelt betraten die grimmigen Girls, denen ein Orthografiefehler zur Tiermaske verhalf, 1985 das aktivistische Feld. Und so rechnen sie, die sich inzwischen auch Männer als GG vorstellen können, aber den "Perfect Match" hier noch nicht gefunden haben, seither vor, wie erschreckend wenig weibliche und nichtweiße Kunstschaffende ausgestellt werden. "Do women have to be naked to get into the Metropolitan Museum?" übertitelten sie auf ihrem berühmtesten Plakat die hüllenlose Odalisque von Ingres – und verpassten auch dieser eine Gorillamaske.

Am Rande einer Lecture-Performance der Guerrilla Girls, organisiert von Depot – Kunst und Diskussion und der Akademie der bildenden Künste, trafen Anne Katrin Feßler (DER STANDARD) und Tanja Paar (dieStandard.at) das Gründungsmitglied mit dem Pseudonym "Frida Kahlo" zum Interview.

STANDARD: Die große Guerrilla-Girls-Retrospektive findet in Spanien statt – wieso nicht in den USA?

Frida Kahlo: Ich habe eigentlich keine Antwort auf diese Frage. Vermutlich, weil wir die Kunstwelt wirklich angreifen. Wir sorgen dafür, dass sich die Museen unwohl fühlen. Die US-Museenlandschaft ist sehr stark mit dem Kunstmarkt verknüpft, den wir sehr kritisieren. Wir dienen nicht dem Kunstmarkt; wir dienen einem anderen ökonomischen Paradigma. Und der Initiator in Bilbao, Xabier Arakistain, ist ein feministischer Kreuzritter – nein, vielmehr feministischer Aktivist – und unterstützt uns seit langem. Aber davon einmal abgesehen: Mehr als 50 Museen in der ganzen Welt haben Portfolios unserer Poster in ihrer Sammlung. Es gibt also Unterstützung innerhalb der Museen. Wir haben keinen finanziellen Rückhalt, niemanden, der Geld aufstellen würde – keine Galerie, keinen Sammler.

STANDARD: Würden Sie mit einer kommerziellen Galerie zusammenarbeiten?

Frida Kahlo: Nein. Wir glauben, dass der Kunstmarkt korrumpiert ist. Aber wir wurden 2014 gefragt, ob wir an der von Popmusiker Pharrell Williams kuratierten Schau "Girl" in der Pariser Galerie Perrotin teilnehmen möchten. Die Chance wollten wir nutzen, um die Musikindustrie und die Galerie selbst zu kritisieren, und reichten zwei sehr kontroversielle Vorschläge ein. Seither haben wir nie wieder etwas von ihnen gehört. Sie sollten sich das auf der Webseite der Galerie einmal anschauen: Es ist ein interessanter, aber nicht sonderlich zeitgemäßer Blick auf Frauen. Keine Ahnung, warum die ausgerechnet bei uns angefragt haben.

STANDARD: Eine in Berlin und London niedergelassene Galeristin sagte einmal, männliche Künstler seien eher bereit, Zugeständnisse zu machen und auf Anforderungen des Marktes zu reagieren; Frauen seien kritischer und entschieden sich dazu, dem nicht zu entsprechen.

Frida Kahlo: Ich finde das ziemlich reaktionär, diese Sichtweise beschränkt. Ein trauriger Kommentar zur Kultur, wenn diese vom Markt bestimmt wird. Selbstverständlich braucht die Galeristin eine Meinung, die ihre finanziellen Interessen stützt. Sammler und Galeristen schreiben aber keine Kulturgeschichte, sie filtern lediglich.

STANDARD: Heute, wo die Museen noch mehr vom Markt und privaten Sammlern abhängig sind, wäre die Konsequenz dessen, dass Frauen keine Kompromisse machen wollen, ja noch gravierender. Die Situation für Künstlerinnen wäre noch schwieriger.

Frida Kahlo: Es ist verrückt. Wenn Kunst von Frauen im Wert unterschätzt ist, warum investieren Kapitalisten eigentlich nicht in sie? Sie ist doch billig. Die Kunstwelt ist doch fähig, einen Boom zu erzeugen, mit dem dann die Preise steigen. (lacht) Aber ich will damit nicht sagen, dass ich diese Idee für gut befinde.

STANDARD: In Krisenzeiten wird nur in sichere Werte und arrivierte Kunst investiert. Und die ist noch immer meistens männlich.

Frida Kahlo: Ich glaube, die Idee des heroischen, männlichen, individuellen Künstlers kommt gut an beim heroischen Unternehmer, der Kunst sammelt. Ich glaube, dass sie ihre eigenen Werte kaufen. Es hängt alles davon ab, ob man Kunst will, die das Establishment unterstützt, oder Kunst will, die das Establishment infrage stellt. Ich glaube ja, es ist Platz für alle. Aber es ist schwierig, sich eine kritische Haltung zu bewahren, wenn das Selbstverständnis von der eigenen Wichtigkeit abhängig ist vom Erfolg auf dem Kunstmarkt. Wir haben diese Situation in den USA schon ein wenig länger, weil fast alle unsere Museen privat sind. Aber niemand hinterfragt die Auswirkungen dieses Umstands. Wenn man ein Sammler ist, in Kunst investiert und gleichzeitig im Vorstand eines Museums sitzt, der entscheidet, welche Künstler ausgestellt werden, und von ebendiesen Künstlern hat man Werke in der eigenen Sammlung … Come on! Das ist ein Interessenkonflikt.

STANDARD: Erinnern wir uns an den Kurator des MoMA, Kynaston McShine, dessen Äußerung von 1984 die Guerrilla Girls auf den Plan gerufen hat. Ist es eigentlich eher der Gender-Aspekt seiner Formulierung gewesen – Stichwort "his career" – oder die Arroganz seiner zur Schau getragenen Kuratorenmacht, die Sie wütend machte?

Frida Kahlo: Wir sind ein Kollektiv. Wir haben keine monolithische Sichtweise auf die Dinge. Aber ich würde sagen: beides.

STANDARD: Gibt es solche Kuratoren heute noch?

Frida Kahlo: Ja, die Kuratoren sind Stars und Berühmtheiten geworden, und auch sie sind Filter. Aber ich möchte nicht alle Kuratoren verleumden, weil viele gute Leute in den Museen arbeiten und versuchen, das System von innen heraus zu verändern.

STANDARD: Was hat sich in 30 Jahren getan?

Frida Kahlo: Damals wurden in den Medien noch lächerliche Sachen behauptet, etwa dass Frauen und Menschen anderer Hautfarbe keine Kunst schaffen, die Teil des Kunstdiskurses ist. Heute kann man so etwas Beleidigendes nicht mehr sagen. Es gibt immer noch Diskriminierung, aber sie ist nicht mehr die Regel. Als wir anfingen, gab es in New York Galerien, die überhaupt keine Frauen ausstellten. Wenn man heute irgendeine Form des Überblicks geben will, muss man weibliche und nichtweiße Kunstschaffende integrieren. Ansonsten wird man kritisiert. Aber das heißt nicht, dass es Chancengleichheit gibt. Auf dem Karriereweg in die Institutionen scheiden Frauen vorzeitig aus. Wir schauen uns die Ausstellungshistorie der Museen an und stellen fest, dass manche Häuser über einen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren keine einzige Soloschau oder Retrospektive einer Künstlerin gezeigt haben.

STANDARD: Es gibt doch inzwischen so viele Frauen in leitenden kuratorischen Positionen ...

Frida Kahlo: Nicht alle Frauen sind Feministinnen.

STANDARD: "In Europa ist es noch schlimmer", hieß es auf einem Ihrer Poster der späten 80er-Jahre. 15 Jahre später waren es in der Londoner Tate Britain noch immer nur zwei Prozent Soloausstellungen von Frauen, im Guggenheim-Museum in New York dagegen immerhin elf Prozent. Ist es noch immer schlimmer hier in Europa?

Frida Kahlo: Ich weiß es nicht. Wir nutzen diese Reise, um darüber nachzudenken und neues Zahlenmaterial für unsere Statistiken zu sammeln. Ich glaube, es ist anders, weil es in Europa eine Verantwortlichkeit der Museen gegenüber der politischen Struktur gibt. DER STANDARD hat, höre ich, einen feministischen Teil; die "New York Times" hat so etwas nicht. Aber es gibt immer noch Künstler wie einen deutschen Maler, der sagt, der Markt hat immer recht, und Frauen können einfach nicht so gut malen. Niemand würde das in den amerikanischen Medien sagen. Die sind vielleicht nicht feministischer, aber es gibt ein Verständnis dafür, was politisch inkorrekt ist.

STANDARD: Der deutsche Maler, den Sie ansprechen, ist Georg Baselitz. Sie haben auch andere Künstler auf ironische Weise angegriffen, ihnen Pseudolob per Brief zugestellt und etwa den "Norman-Mailer-Award für besondere Sensibilität für die Gleichheit der Geschlechter" verliehen. Hat Baselitz auch Post von Ihnen bekommen?

Frida Kahlo: Das sollten Sie ihn fragen. (lacht)

STANDARD: Warum ist die Maske nach 30 Jahren noch immer notwendig?

Frida Kahlo: Sie gibt uns große Freiheit, den Dialog zu entpersonalisieren. Mit Maske kann man sehr viel klarer über die Ideen sprechen. Abgesehen davon bin ich schüchtern, (lacht) und wenn ich diese Maske aufsetze, kann ich jemand werden, der ich im realen Leben nicht bin. Sie werden nicht glauben können, was aus Ihrem Mund kommt, wenn Sie eine Gorillamaske tragen! Versuchen Sie es! Zunächst sollte die Maske uns aber schützen: Die Kunstwelt war 1985 noch viel kleiner als heute. Wir wollten alle beruflich vorankommen, aber als die Chancen für uns nicht kamen, sehr wohl aber für unsere männlichen weißen Kollegen, begannen wir, Fragen zu stellen. Und wir hatten Angst, es unmaskiert zu tun. Es ist auch für viele erfolgreiche Künstler schwierig, gegen das System zu reden. Damals erkannten wir sehr schnell, dass die Maske auch eine sehr wirkungsvolle Strategie ist. Zunächst wollten die Leute wissen, wer wir sind, aber heute kümmert es niemanden mehr. Es droht niemand mehr damit, uns zu demaskieren oder zu outen.

STANDARD: Einmal abgesehen von Robin Hood oder Superwoman, welche realen Vorbilder gab es?

Frida Kahlo: Vorbilder kamen aus der Bürgerrechtsbewegung und dem Feminismus. Unsere Kultur ist Produkt einer Revolution – es hat eine Menge enormer Proteste gegeben. Erst später merkten wir, dass wir an eine Tradition anschlossen: Die anonyme freie Rede ist durch die amerikanische Verfassung geschützt.

STANDARD: Wie viele Frauen haben die Guerrilla Girls ursprünglich gegründet, und wie viele gibt es heute?

Frida Kahlo: Es gibt heute noch zwei Gründungsmitglieder – Käthe Kollwitz, mit der ich in Wien bin, und mich. Sonst ist das schwer zu sagen: Manche sind zu einem einzigen Treffen gekommen, andere über Jahre. Vielleicht waren es im Lauf der Zeit 55, aber das ist nur eine Schätzung. Viele haben uns geholfen.

STANDARD: Haben Sie auch Guerrilla Girls in Österreich angeworben?

Frida Kahlo: Ja, mindestens eine in Wien, vielleicht zwei. (lacht)

STANDARD: Viele sprechen von einem Rückschlag im Feminismus – Sie auch?

Frida Kahlo: Sicher. Schauen Sie sich nur an, was im US-Kongress vor sich geht. Der ist voll mit weißen, konservativen Männern, die nichts für das Gesundheitswesen, zur Unterstützung arbeitender Frauen, für gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit oder für leichteren Zugang zum Bildungswesen tun. Wenn Reich und Arm auseinanderklaffen, verlieren in der Regel die Frauen.

STANDARD: Ist eine Grenzziehung zwischen Kunst und Aktivismus überhaupt notwendig?

Frida Kahlo: Wir sind professionelle Nörglerinnen. Es gab sicher einmal eine striktere Trennung. Als Gruppe haben wir schlicht getan, was getan werden musste – und es hat uns Spaß gemacht. Die Museen sahen uns bloß als Aktivistinnen, aber das hat sich geändert. Jetzt kaufen sie unsere Arbeiten, und wir werden Teil der Kunstgeschichte. Das ist vielleicht auch nicht schlecht, wenn jemand in der Zukunft wissen will: Wer waren eigentlich diese Guerrilla Girls?

STANDARD: Haben sich Ihre Taktiken und Themen innerhalb von 30 Jahren verändert?

Frida Kahlo: Ja, wir sagen immer, wir sind hormonell. (lacht) Wir haben keinen Fünfjahresplan. Humor spielt eine große Rolle, wir sind nicht dogmatisch. Anfangs haben wir uns vor allem mit Machtstrukturen und Korruption in der Kunstwelt beschäftigt, seit dem ersten Irakkrieg äußern wir uns auch zu explizit politischen Themen. In London haben wir in einer von Yoko Ono kuratierten Ausstellung eine neue Waffe, die "Östrogenbombe", gezeigt. Die GG glauben, dass die Welt mehr Östrogen braucht. Deswegen haben wir Östrogenpillen beispielsweise an George W. Bush geschickt. Und kürzlich haben wir etwas zur Geschichte der Hysterie gemacht, die doch tatsächlich mit Vibratoren behandelt wurde.

STANDARD: Was war der größte Erfolg der Guerrilla Girls?

Frida Kahlo: Dass wir als Gruppe in der Kunstwelt bestehen können. Wir hätten nie gedacht, dass wir einmal ein 30-Jahr-Jubiläum feiern werden. Wir verkaufen Bücher, T-Shirts, Poster. Wir sind keine Berühmtheiten, aber die Menschen kennen uns.

STANDARD: Ist Beschämung das effektivste Mittel in Ihrem Aktionismus?

Frida Kahlo: Ja. Aber jemanden zu verspotten hat auch mit Macht zu tun. Und bei Machtstrukturen muss man achtsam sein.

STANDARD: Satire und Humor sind auch Teil Ihrer Waffen. Sind Sie Charlie?

Frida Kahlo: Es ist furchtbar, was da passiert ist. Natürlich muss das Recht auf freie Meinungsäußerung gewahrt werden. Aber die Art, wie sich da weiße, französische Männer über eine Religion lustig machen, hat schon auch etwas von einem kolonialen Akt an sich. Natürlich haben sie das Recht dazu. Das ist sehr rutschiges Terrain, jede von uns Guerrilla Girls würde da wohl etwas anderes sagen. Ich bin Feministin. Ich bin nur zu einem Teil Charlie. Sagen wir, ich bin zu 50 Prozent Charlie. (Anne Katrin Feßler, Tanja Paar, DER STANDARD, 22.1.2015)