Spürt auf relaxte Weise den Verwerfungen einer verwunschenen Jugend nach: der Vorarlberger Autor Arno Geiger.

Foto: Heribert Corn

Wien - Es fängt mit einem Uhu an, nicht mit einem Flusspferd. Der Ich-Erzähler ist Tierarzt, und die ihm den halbtoten Vogel bringt, war seine erste Freundin, vor fast zehn Jahren. Judith und Julian, nicht nur stabreimbedingt haben die beiden gut zueinander gepasst, bis Julian es mit der Angst zu tun bekam und die Trennung provoziert hat - die Wiederbegegnung führt zu nichts, außer zur Erinnerung an damals, an den Sommer 2004, ein Vorhang geht auf, der Schauplatz ist Wien.

Arno Geiger zeigt uns einen Mann Anfang zwanzig, der in einer veritablen Krise steckt. Julian kann die ersehnte Freiheit nicht genießen, Judiths pragmatisches Ihrer-Wege-Gehen irritiert ihn, der Alltag erscheint ihm öd; er weiß nicht, was er will, und die Familie ist weit weg, in Vorarlberg: "Die Welt war groß, unheimlich und furchterweckend, schlimmer als in der Kindheit."

Was in der Welt geschieht, setzt ihm zu. Sein früheres Ich erscheint dem Erzähler im Lichte milder Ironie: "Ein junger Mann mit Schmerzen sein, ist eine Ganztagsbeschäftigung." Weil er just Judiths Vater Geld schuldet, ist Julian gezwungen, den Sommer seines Missvergnügens durch Arbeit zu adeln. Er übernimmt die Pflege eines Zwergflusspferdes, das im Garten des ehemaligen Rektors der Veterinärmedizin vorübergehend stationiert ist, ein gar nicht zwergenhaftes Geschöpf von urzeitlicher, schwer fassbarer Schönheit, "schön wie ein Priester im dunstigen Wald".

Rätselhaft erscheint dem reinen Toren auch das zweite weibliche Wesen: Aiko, die launische Tochter des Professors, der dem Besucher wie Anfortas dem Parzival entgegentritt: todkrank und schmerzgeplagt, dabei kotzengrob. Seine Antwort auf Julians Vermutung, nach 30 Jahren Forschung müsse er doch die Gedanken des Flusspferds lesen können: "Ich weiß einen verdammten Dreck über diese Tiere." Undurchsichtig bleibt auch, warum die in Frankreich aufgewachsene Aiko ihrem Vater französische Tiraden zu halten pflegt, die dieser angeblich nicht versteht. Szenen von bitterer Komik, wobei der Autor eine leichte idiomatische Schwäche verrät, ist doch "Trampel" im Wienerischen nicht sächlich, sondern männlich.

Aiko, die unergründliche Prinzessin von Kagran, verkörpert das Gegenprogramm zu Judith, der "Frau zum Pferdestehlen". Kaum sind Julian und Aiko ein Paar und finden sich im "Halseisen des Verliebtseins", entzieht sie sich ihm auch schon wieder.

Geiger inszeniert die transdanubische Tristesse als prekäre Idylle, als Gegenbild zum städtischen "Gewurl und Gewimmel". Die körperliche Arbeit tut Julian ebenso gut wie die animalische Selbstgenügsamkeit der "Zwergin" und das "heftige Gefühl des Unwirklichen" in ihrer Nähe, das vom Erzähler mindestens einmal zu oft beschworen wird. Wenn das Flusspferd im Teich zu Grunde geht, kann ihm die Welt gestohlen bleiben.

Arno Geigers Geschichte von der ersten Trennung und der zweiten Liebe vertieft sich auf meisterliche Weise in die Erforschung jener "zwei unterschiedlichen Grün", die den "Treibstoff" des Jungseins ausmachen: das Grün des Greenhorns und das der multiplen Hoffnungen. Selbstporträt mit Flusspferd ist auch eine Rehabilitierung der "heutigen Jugend".

Einnehmende Lässigkeit

Wie sein Held ist der Erzähler Geiger ein Bewunderer des Unangestrengten. So cool wie Freund Tibor müsste man sein. Julian macht Karate, um, wie er zunächst glaubt, Selbstkontrolle zu erlernen, dann dämmert ihm, dass es um das Gegenteil geht. Der Name Tschechow fällt einmal und ruft das Ineins von Alltag und Wahnwitz auf. Etwas einnehmend Lässiges, bewusst Kunstloses und Unfertiges prägt Geigers Sprache und Handlungsführung. Lässt man das einmal gelten, gibt der Text seine diskreten Schönheiten preis. Wie sich zum Beispiel die Beziehung zwischen Julian und dem Hagestolz ganz en passant entwickelt. Weil der Grat zwischen Lässigkeit und Fahrlässigkeit jedoch ein schmaler ist, verunglückt der eine oder andere Satz: "Ferien bieten die Chance, sich vom gewohnten Alltag zu distanzieren."

Am Ende - Aiko ist schwanger und verrät nicht, von wem - rafft der Zauderer sich zur Tat auf und folgt der Geliebten nach Paris. Dort hat er, wie uns die Uhu- Episode verrät, immerhin zwei Jahre zugebracht. Kein schlechtes Rezept fürs Erwachsenwerden. (Daniela Strigl, DER STANDARD, 7./8.2.2015)