Muttermilch: Auf Neugeborene perfekt zugeschnitten, für den Muskelaufbau bei Erwachsenen aber Blödsinn, sagen die Experten.

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Muskelbepackte Männer trinken seit neuestem Muttermilch, um ihre Muskeln weiter sprießen zu lassen. Diesen Trend legt zumindest ein Blick in US-amerikanische Onlineforen nahe, in denen sich Bodybuilder austauschen. Die vermeintliche Logik dahinter: Muttermilch ist hochkalorisch und kommt, anders als Proteinshakes, naturgemäß ohne künstliche Inhaltsstoffe aus. Im Internet bieten Frauen anderen Müttern überschüssige Milch an. Auch Männer, die diese aus "gesundheitlichen Gründen" kaufen wollen, sind auf den Plattformen unterwegs.

Bei Experten sorgt das für Kopfschütteln: "Skurril" findet die Idee Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin. Studien gibt es dazu nämlich keine. Auch Nadja Haiden, Neonatologin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Med-Uni Wien, hat noch nie von einer derartigen Wirkung gehört: "Ich finde das absurd", sagt sie.

Muttermilch ist Mangelware

Die Milch enthalte zwar Proteine, ein erheblicher Anteil davon falle aber in die Gruppe der Abwehrstoffe, Wachstumshormone und Verdauungsenzyme und habe daher keinerlei Auswirkung auf die Muskeln. Jene Proteine, die dem Muskelaufbau tatsächlich dienen könnten, seien in viel zu geringen Dosen enthalten: 100 Milliliter enthalten ein Gramm davon. "Ein Erwachsener muss also einen Liter zu sich nehmen, damit er eine ordentliche Menge an Protein bekommt", rechnet die Neonatologin vor.

Und das ist der zweite Punkt, den Haiden absurd findet: Gespendete Muttermilch ist nämlich Mangelware und daher sehr teuer. In den USA wird rund ein Euro für den Inhalt eines Schnapsglases bezahlt, 70 Euro bezahlt man in Österreich für einen Liter. In Wien wird Muttermilch an der Semmelweisklinik gesammelt, aufbereitet und von der AGES geprüft. Diese Milch werde zwar auch an Privatpersonen verkauft, "aber nur an Familien mit kranken oder schlecht gedeihenden Kindern", betont Haiden. Genügend Milch gebe es nie.

Gefahr von Krankheiten

Vom Internethandel, den es auch in Österreich und Deutschland gibt, rät die Expertin dringend ab: Die verkaufte Milch ist ungeprüft, und Krankheiten wie HIV und Hepatitis C können durch Muttermilch auch an Erwachsene übertragen werden. "Die Zusammensetzung der Muttermilch ist sehr variabel", sagt Widhalm. Sie ist abhängig von Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten, aber auch dem Alter des Kindes. Handelt es sich bei der Mutter um eine Raucherin, werden Nikotinabbaustoffe über die Milch ausgeschieden.

Wer sich wirklich von Ernährungsgewohnheiten von Babys inspirieren lassen will, dem rät Haiden schon eher zu einer im Handel erhältlichen Babymilchnahrung: Diese wird aus Kuhmilch gemacht und enthält mehr Eiweiß als Muttermilch - und zudem auch noch jenes Eiweiß, das dem Muskelaufbau tatsächlich zuträglich ist.

Therapie mit Muttermilch

Beispiele für die positive Wirkung von Muttermilch auf Erwachsene gibt es dennoch: "Es gibt ganz schwere Fälle von entzündlichen Darmerkrankungen, wo gar nichts mehr geht - man mit Muttermilch aber Erfolg haben kann", sagt Haiden. Bei Patienten mit Morbus Crohn etwa hat es bereits erste erfolgreiche Versuche gegeben. Patienten vertrugen so wieder normales Essen.

Muttermilch enthält extrem viele entzündungshemmende Stoffe und Wachstumsfaktoren, die die Schleimhaut im Darm wachsen lassen. Welche Mechanismen aber genau dahinterstecken, wisse man noch nicht, so Haiden, denn die Forschung stehe noch ganz am Anfang: "Aber es könnte die Zukunft sein."

Andererseits: Es gibt schon jetzt zu wenig Muttermilch - umso mehr ärgert es die Expertin, wenn das wertvolle Gut für vermeintliches Muskelwachstum von Athleten getrunken wird: "Da wird die Milch einfach verschwendet, ohne jeglichen medizinischen Anspruch." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 28.2.2015)